Название: Das Kreuz
Автор: Astrid Seehaus
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783940002419
isbn:
Das Leben in Amerika hatte sie verstummen lassen – vielleicht waren es aber auch Peter und die Medien gewesen, – was an sich keine Kunst war, da sie noch nie eine große Rednerin gewesen war. Aber das waren die hiesigen Bauern auch nicht, und dennoch hatte sie stets das Gefühl begleitet, ein unsichtbares Band hielte sie zusammen. Die Trennung von Peter bedeutete nicht automatisch den Wegzug aus Boston. Im Nachhinein war das vielleicht ein Fehler gewesen. New York, das Mekka der Intellektuellen, wäre eine Option gewesen. An Los Angeles hatte sie nie ernsthaft gedacht. Trotz der Touristen war Los Angeles nur Potemkinsche Kulisse.
Dass Valentin ohne Vater aufwuchs, war ihre größte Sorge. Er war zwar schon vierzehn, aber brauchte nicht gerade ein Vierzehnjähriger einen Vater? Peters Brief war unmissverständlich. Er wollte in Erziehungsfragen ein Wörtchen mitreden. Auf einmal?! Woher kam dieser plötzliche Sinneswandel? Sie hasste ihn. Doch ganz gleichgültig, wie ihre Situation momentan aussah, noch lag alles in ihren Händen, und das nächste Buch konnte wieder ein Bestseller werden. Aber Percys Themenvorschlag für das neue Buch lag ihr im Magen. Sie könnte Percy und ihre Ideen natürlich auch ignorieren, und der Kommissar bliebe nicht der ewig mürrische, ruppige Ermittler mit schlechtem Benehmen, ohne Takt und Einfühlungswillen. Aber was käme dann? Würde Percy die Zusammenarbeit auflösen? Lizzy brauchte sie. Valentins ungute Entwicklung hatte sie in ihrem Wunsch bestärkt, Amerika den Rücken zu kehren, doch das warf große Risiken auf. Sollte sie den Bostoner Verlag wirklich verlassen? Alternativen hatten sich bisher nicht aufgetan. Sie hatte aber auch keine gesucht.
Ohne in den Rückspiegel zu schauen, bremste sie, hielt am Fahrbahnrand und zog ihr Handy heraus. Die Finger glitten über die Ziffern. Eine Zahlenfolge, die sie wöchentlich wählte und dabei Unsummen für die Gespräche ausgab. Das Freizeichen erklang. Sie ließ es klingen. Als niemand abhob, versuchte sie es erneut. Sie wählte und wartete.
Was fühlte sie? Diese Frage war eine von den vielen Fragen, die sie neuerdings nicht mehr mit Sicherheit beantworten konnte. Die Amerikaner verstanden sich gut darin zu manipulieren. Und sie war jahrelang Teil dieser Manipulationsmaschinerie gewesen, hatte in Interviews gesagt, was man ihr vorgab und was die Leute hören wollten, hatte getragen, was man ihr vorgab und die Leute sehen wollten etc. pp. Und das gleiche hatte sich dann auch bei der Schreiberei eingestellt. War sie zu Anfang ihrer Karriere noch eine frei denkende und handelnde Autorin gewesen, so wurde auch da die Maschinerie um sie herum immer perfekter. Verlagsmenschen oder Percy höchstpersönlich arbeiteten plötzlich an ihren Themen, gaben ihr Themen vor, wollten sie in der Erfolgsspur halten. Einmal ein Krimi, immer ein Krimi. Einmal eine Liebesromanze, immer eine Liebesromanze. So ähnlich wie bei der Besetzung der Schauspieler: einmal der Böse, immer der Böse. (Peter hatte die Rolle des Herzensbrechers bevorzugt. Beruflich wie auch privat.) Und das war so lange gut gegangen, bis die Medien Sand hineingestreut hatten. Sie dachte an Hella Lemkowsky und das verpatzte Interview. Ihre Gedanken schlugen eine plötzliche Kapriole. Natürlich ging es um den Hof.
Lizzy legte das Handy weg. Es hatte keinen Sinn, ihre Mutter aufzusuchen. Sie schien nicht da zu sein.
Es war immer um den Hof gegangen.
Im Mittelpunkt hatte in dieser Familie nie etwas anderes gestanden. Und auf einmal wusste Lizzy, was sie wollte. Sie hatte es niemals aus den Augen verloren (vielleicht verdrängt, aber nicht verloren), und ihr Entschluss stand so klar vor ihr wie ein Foto, das man jemandem zeigte. Sie wollte den Hof. Es war ihr Hof. Sie war die Erbin. Die einzige Erbin. Gesa war Mitte siebzig. Warum klammerte sie sich an einen Hof, den sie nicht wollte? Nie gewollt hatte? Den sie im Grunde ihres Herzens hasste?
Sie schrak zusammen, als das Handy in ihrer Hand klingelte.
„Ja?“ Sie rechnete mit Gesa, doch es war ein Kommissar aus Heiligenstadt, der sie treffen wollte. „Etwa jetzt?“
„Spricht etwas dagegen, Ms. Connolly?“, fragte Rothe.
„Ja, ich habe zu tun.“ Lizzy dachte an das Exposé, das sie noch ausarbeiten musste.
„Dann vielleicht später?“
„Möglich, es kommt darauf an. Worum geht es denn?“
„Ich möchte mich nur mit Ihnen unterhalten.“
„Ach ja, und Sie meinen, das geht nicht am Telefon? Hören Sie, es passt mir jetzt gar nicht. Rufen Sie mich später noch einmal an!“
Grußlos legte sie auf.
Beunruhigt dachte sie darüber nach, was sie ihrer Gastgeberin erzählt hatte. Warum sonst sollte ein Kommissar aus Heiligenstadt anrufen, wenn er nicht etwas von diesem Brief wüsste? Nervös trommelte Lizzy mit den Fingern auf dem Lenkrad. Was hatte sie erzählt? Sie hatte es doch in Scherze verpackt: Peter! Was ihm denn da plötzlich einfiele. Hatte doch sonst keine Vatergefühle. Ob sein Therapeut ihm da ins Gewissen geredet hätte? Sie hatten gelacht, und doch schien Lizzy ihre Sorgen nicht genügend verschleiert zu haben. Natürlich waren sie beschwipst gewesen. Lizzy hatte es gut getan, sich mal keine Gedanken über ihr Äußeres zu machen oder über ihre Wirkung auf die Öffentlichkeit. Sie hatten sich einen angezwitschert und Spaß gehabt. Na und? Was war schon dabei? Nichts, wenn da nicht dieser Brief wäre, den sie vermutlich vorgelesen hatte. Wahrscheinlich ein wenig theatralisch, gespickt mit Scherzen, was aber nichts von seiner Bedrohlichkeit genommen hatte.
Lizzy griff in die Manteltasche und zerknüllte Peters Brief. Sie sollte ihn vernichten, und diesen Kommissar musste sie auch loswerden. Sie befühlte die raue Struktur des Papiers und lächelte böse. „Nun denn, Herr Kommissar aus Heiligenstadt, so leicht werde ich es Ihnen nicht machen.“
***
Gesa Meyer hatte das Telefon gehört. Den ganzen Tag klingelte es schon. Wie auch den Tag davor, und den Tag davor und davor … würde es denn nie aufhören?
Sie lag auf dem Sofa, zu schwach um aufzustehen, und ebenso lustlos.
Vielleicht sollte sie sich doch so ein schnurloses Telefon zulegen. Doch bei Lustlosigkeit würde auch ein schnurloses Telefon sie nicht dazu bekommen, an den Apparat zu gehen. Ächzend richtete sie sich auf. Deprimiert. Müde. Ihre Kopfschmerzen kehrten zurück. Doch sie war zu langsam, das Klingeln hatte aufgehört und sie dämmerte wieder weg.
Sie sah ihre drei Schwestern vor sich: Meta, Antonia und Lizzy. Lizzy war nur zehn Minuten älter als sie gewesen und seit über sechzig Jahren tot.
Tot. Was СКАЧАТЬ