Wieso rückten die denn noch enger zusammen, anstatt ihr Platz zu machen?
„Lassen Sie mich doch bitte einfach hier durch …“ Sie lächelte Hinterköpfe an. Passierte da irgendetwas Interessantes am Eingang? Jeder einzelne der Körper strahlte so viel Wärme ab. Susanna fühlte sich langsam, als könne sie keinen einzigen richtigen Atemzug mehr tun.
Muss … hier … raus.
„Er ist hier.“
„Wo?“
„Ist er das?“
„Ach du liebes …“
In ihrem Kopf dröhnte das Flüstern. Wer war hier? Endlich ergab sich eine kleine Öffnung inmitten der Smokings und Kleider. Susanna kam in einer kleinen kühlen Schneise heraus, als gerade drei dunkelhaarige Männer mit einer greifbaren Aura der Autorität die Gäste zurückweichen ließen. Susanna wurde aus ihrer Schneise heraus wieder in die flüsternde Hitze hineingeschoben.
„Er ist es nicht.“
„Oh, wie schade. Bist du sicher?“
„Wahnsinn, er ist es wirklich. Großer Gott, er ist hier.“
Ja, nun, sie jedenfalls war draußen. Vergiss Gage und die Schmeicheleien, Susanna brauchte frische Luft. Es war nicht nur der überfüllte heiße Ballsaal, es war das ganze Leben, das sich auf sie stürzte und ihr die Luft nahm. Als ihr Handy in ihrer Clutch klingelte, war es die perfekte Ausrede, sich fürs Erste aus dem Staub zu machen.
„Entschuldigung. Bitte entschuldigen Sie mich.“ Susanna schlug sich nach Osten zum Ausgang des Ballsaals durch und ließ den geheimnisvollen Gast und die Menschenmenge hinter sich. Außerdem hatten die besonderen Gäste alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen, sodass vorläufig sowieso jegliches Einschmeicheln zum Erliegen gekommen war.
Gage hätte sein Abendessen und seine Komplimente besser darauf verwendet, die Veranstaltungsmanagerin nach dem Überraschungsgast auszufragen. Aber so, wie sie ihn kannte, interessierten ihn nur die Namen der wichtigen Entscheidungsträger im Komitee für den Bau des Krankenhausflügels.
„Hallo?“ Ihre Stimme hallte durch das hohe, kuppelüberspannte Foyer, als sie den Ballsaal verließ. Ihre Absätze klackerten auf dem polierten Boden.
„Suzy, wo – wo bist du?“ Avery.
„Ich bin mit Gage unterwegs. Bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung bei den Butlers. Aves, geht’s dir gut?“ Susanna trat durch die Haustür in die diesige rosa Nacht. Ihre Schwester war 17, athletisch, schlau, beliebt und ein bisschen verwöhnt, aber der Unterton in ihrer Stimme klang nach mehr als der üblichen Teenagerdramatik.
„Was ist passiert?“
„Es geht um Daddy. Er hat in der Küche gearbeitet … und auf einmal lag er auf dem Boden und hielt sich den Arm.“
„Ruf den Notarzt!“
„Das hat Catfish schon gemacht, aber Suz, Daddy sagt, er will nicht ins Krankenhaus, und Mama ist nicht hier.“
„Erinnere ihn daran, dass sie früher oder später zurückkommen wird.“
„Daddy.“ Averys Stimme klang dumpf. „Suzy sagt, Mama kommt sowieso früher oder später nach Hause.“
Susanna konnte ihren Vater im Hintergrund reden hören.
„Okay, er sagt, er fährt mit.“ Avery klang sehr erleichtert.
„Ruf mich an, wenn ihr im Krankenwagen seid. Ich mache mich auf den Weg zum Krankenhaus.“ Sie kehrte um und ging zum massiven doppeltürigen Eingangsportal der Butlers. Sie musste Gage finden.
„Suz, ich habe Angst.“
„Es wird alles gut werden, Avery. Die Sanitäter werden sich um ihn kümmern. Bleib einfach ruhig.“
„Mach ich. Aber bitte, bitte bete.“
Susanna lehnte sich gegen eine der Säulen des Portals und konzentrierte ihre Gedanken. Ihr Gebet war kurz, kam aber voller Kraft aus der Tiefe ihres Herzens. Mach Daddy gesund.
Durch das Telefon hörte sie Averys Weinen und das Tatütata des Krankenwagens.
„Sie sind hier.“
„Dann fahr mit. Sei bei Daddy. Ich treffe euch im Krankenhaus.“
Als Susanna das Foyer wieder betrat, klatschten die Gäste gerade und versuchten, an das Stirnende des Raumes zu kommen.
Gut, Gage, wo bist du?
Ihr Lächeln ließ die Gesichter der Gäste warm aufleuchten und ihr ursprünglich zweifelndes Flüstern war nun voller Überzeugung.
„Kannst du das glauben? Und das hier auf St. Simons Island.“
„So eine wunderbare Rede.“
„Kurz und auf den Punkt. Genau wie ich es mag.“ Das Kreischen einer Rückkopplung zerschnitt die Luft und ließ die Gäste mit viel „Oh“ und „Ah“ zurückweichen.
„In 15 Minuten wird das Abendessen serviert. Bitte begeben Sie sich in das Speisezimmer.“
Susanna drängte sich durch die Menschenmenge bis dorthin vor, wo sie Gage zuletzt gesehen hatte. Die Gäste drängten sich in den schmalen Türen zum Speisezimmer. In diesem Durcheinander würde sie ihn nie finden.
Sie versuchte, Gage auf dem Handy anzurufen, aber schon nach dem ersten Klingeln sprang die Mailbox an.
Warte. Denkfehler. Gages Auto und die Autoschlüssel waren doch bei der Parkaufsicht. Der Wachmann würde ihren Notfall sicher verstehen und den Wagen vorfahren.
Als sie sich unvermittelt umgedreht hatte, machte Susanna genau einen Schritt, bevor sie in einen Mann hineinrannte.
„Entschuldigung, tut mir leid, aber ich muss wirklich ganz schnell –“
„Susanna?“
Sie sah hinauf in das kantige Gesicht von Nate Kenneth. „Nate? Hallo. Was machen Sie denn hier?“
„Das Gleiche könnte ich Sie fragen.“ Er lächelte und verbeugte sich leicht. Eine Art Stromschlag fuhr ihr durch den Bauch. „Ich bin hier, um die Finanzierung des neuen Krankenhausflügels zu unterstützen.“
„Ich bin mit meinem Chef hier. Er versucht, den Auftrag für die Erweiterung an Land zu ziehen.“ Sie warf einen Blick zurück in den Ballsaal. Letzte Chance, Gage zu finden, bevor sie sich seinen Wagen auslieh. Er würde wahnsinnig wütend werden, aber wenn er herausfand, was passiert war, hätte er sicher Verständnis. Vollstes Verständnis. Oder? Gut, mal davon abgesehen, dass sein Auto seine erste und einzige große Liebe war.
„Sie sehen besorgt aus.“
„Ich muss ins Krankenhaus.“ Komm schon, Gage. Wo bist du? Ich leih mir mal schnell dein Auto. „Meine Schwester СКАЧАТЬ