Das Tal der Untoten. Matthias Albrecht
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Название: Das Tal der Untoten

Автор: Matthias Albrecht

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежная классика

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isbn: 9783961455720

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СКАЧАТЬ knurrte es hinter mir, dann fühlte ich einen zwar sanften, doch mit allem Nachdruck geführten Stoß im Rücken. Mir lag eine Entgegnung auf der Zunge, doch als ich mich nach Mello umblickte, verkniff ich sie mir und wandte meinen Blick wieder nach vorn. Er hatte ein Grinsen aufgesetzt, das wohl jovial und um Nachsicht bittend wirken sollte, doch gerade diese Emotion nicht in mir auslöste. Es war das Lächeln eines Menschen, der es seit Jahrzehnten nicht mehr praktiziert hatte und nun spontan zur Schau zu stellen versuchte.

      „Unsere Mühle“, sagte Patty in diesem Moment und zeigte in Richtung eines größeren Fachwerkhauses, welches durch einen langgezogenen, überdachten, fensterlosen Übergang mit einem etwas niedrigeren Gebäude gleicher Bauart verbunden war. Rechts davon verbreiterte sich das schmale Tal zu einem kleinen Kessel mit mehreren Teichen inmitten üppig grüner Wiesen. Waren das die Fischteiche, die Patty erwähnt hatte?

      „Die beiden einzigen Gebäude, die halbwegs in die Zeit zu passen scheinen“, sagte ich. „Alles andere wirkt uralt und etwas deplatziert. Als habe der Bauherr dieser Schauanlage nicht richtig recherchiert. Vielleicht war es ja auch nur eine Frage des Geldes.“

      Patty sah mir eine Sekunde lang verwirrt ins Gesicht, dann vernahm ich ihr lang vermisstes Glucksen. „Oh, ich ahne, was Sie meinen, aber nein, das hamm wir alles selbst gebaut. Wir und unsere – Gehilfen. Hier soll nischt zur Schau gestellt werden. Die zwei Mühlengebäude standen allerdings schon, als wir das Anwesen übernahmen.“

      Jetzt dämmerte es mir. „Verstehe. Hätte auch gleich drauf kommen können: Es ist ein Experiment, nicht wahr? Ich meine, so eines wie das der Marsmission, als eine Handvoll künftiger Astronauten, von der Außenwelt abgeschirmt, ein Jahr lang durchhalten und sich selbst versorgen mussten. In gewächshausähnlichen, abgeschotteten …“

      „Ich weiß, was Ihnen da vorschwebt, doch es ist kein Experiment“, unterbrach sie mich.

      „Oh, dann – dann seid ihr Aussteiger, ja?“

      „Aussteiger?“

      „Aus der Gesellschaft. Leute, die sich mit den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen nicht arrangieren können oder wollen. Deshalb kein Telefon und keine Computer.“

      Ich blickte mich demonstrativ um.

      „Und wie ich vermute auch kein Strom, keine Autos, Zentralheizungen oder Ähnliches. Nur mit und von der Natur leben. Ohne technischen Schnickschnack. Ohne den geringsten Luxus. Na, ehrlich gesagt, das wäre nichts für mich.“

      „Aussteiger“, sagte Patty mit in sich gekehrtem Blick. „Ja, so könnte man’s nennen.“ Dann sah sie mich an und lächelte. „Ja, Aussteiger. Das ist sogar treffend formuliert. Oh – Sie werden uns ja noch kennenlernen und sicherlich Ihre Meinung ändern. Warten Sie’s nur ab.“ Sie wollte weitergehen, doch ich ergriff einen Augenblick lang ihr Handgelenk.

      „Hören Sie, Patty, ich bin Ihnen …“ Ich blickte mich kurz nach Mello um. „… beiden wirklich sehr dankbar. Und ich akzeptiere euer Konzept, ich meine, eure Weltanschauung oder wie man das nennen will. Aber – ich muss unbedingt mit der Zivilisation Verbindung aufnehmen, verstehen Sie? So schnell wie möglich.“

      „Das sollen Sie ja auch“, nickte sie. „Aber ’n paar Minuten werden Sie sich noch gedulden müssen. Sobald Sie sich etwas ausgeruht und gestärkt haben und Ihre Sachen trocken sann, bringt Sie Mello hoch zur Autobahn. Einverstanden?“

      Ich atmete durch. „Ja. Was bleibt mir auch übrig. Ich meine, nicht dass ich Ihre Gastfreundschaft nicht zu schätzen wüsste, aber …“

      Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Langsam drehte ich mich um. Mellos Grinsen entbehrte noch immer jeglicher Anziehungskraft, doch wirkte es nicht mehr so aufgesetzt wie zuvor. Ich nickte ihm zu und ergab mich in mein Schicksal.

       III

      Auf dem Weg zur Mühle trafen wir ein halbes Dutzend Gestalten, die, wie ich, graue Freizeitanzüge trugen. Der Unterschied: Mit dem meinen hätte ich auf dem Wiener Opernball wohl nur mäßige Aufmerksamkeit erregt. Es war jedoch nicht nur der Schmutz, der mich frappierte, sondern auch das Verhalten der Männer. Sie nahmen keine Notiz von uns, ja schienen uns überhaupt nicht zu bemerken. Diese abwesenden, stumpfsinnigen, in die Ferne oder auf den Boden gerichteten Blicke, die halb offenstehenden Münder, die bleichen, ausdruckslosen Gesichter, die langsamen, gleichförmigen Bewegungen – all dies wirkte roboterhaft, als stünden sie unter dem Einfluss von Medikamenten oder Drogen. Sie erinnerten mich an meinen Großvater im Altenpflegeheim. Er litt an Alzheimer und fortgeschrittener Demenz. Ein halbes Jahr vor seinem Ableben lief er genau so ziellos umher wie diese Typen. Nur dass er es auf dem Gang des Heims tat. Mit dem Rollator.

      Ich hatte keine Zeit, diese Betrachtungen zu vertiefen. Auf meine Frage hin meinte Patty nur, dass es Bergarbeiter wären, die eine schwere Schicht gehabt hätten und nun nach Hause gingen, um ihren wohlverdienten Feierabend zu genießen.

      „Wonach graben die denn?“, fragte ich.

      „Oh, nach allem Möglichen. Ich weiß das selbst net so genau. Mit den Bergleuten hab ich net so viel zu tun. Kümmre mich eher um die Korbflechterei. Jetzt kommen Sie erst mal rein, damit wir Ihre nassen Klamotten trocken kriegen.“

      Wir betraten das Mühlengebäude. Über der Tür war eine Inschrift aus verschnörkelten Buchstaben angebracht. Ich hatte keine Zeit, sie zu entziffern. Von einem engen Flur aus zweigten einige Türen ab. Patty wandte sich einer steilen, hölzernen Treppe zu und begann sie zu erklimmen. Es lag ein dumpfer, säuerlicher Geruch in der Luft.

      „Stoßen Sie sich net den Kopf am Sturz. Hier sann die Decken sehr niedrig.“

      „Sie arbeiten also in der Korbflechterei?“ Ich fragte nur, um etwas zu sagen. Um meine Sicherheit wieder zu gewinnen. Denn ich fühlte mich hier irgendwie deplatziert.

      „Ja. Geht mit der Zeit ganz schön über die Finger. Und die Zehen.“

      „Die Zehen?“ Ich war überrascht. „Ich wusste gar nicht, dass man die dafür benötigt.“

      „Dann haben Sie noch nie gesehen, wie ’n Weidenkorb entsteht, net wahr?“

      „Ehrlich gesagt nicht. Ich nehme an, ihr verkauft die Körbe. Alles könnt ihr ja bestimmt nicht selbst herstellen, was zum Leben so benötigt wird.“

      „Richtig. Aber auch Gemüse, Obst, Eier und Fleisch bieten wir auf den Märkten an. Dafür kaufen wir dann Salz, Seife, Werkzeuge und so ’n Zeugs. Ansonsten sind wir sehr genügsam. Wir brauchen keinen Luxus.“

      „Ja, davon bin ich überzeugt“, sagte ich und folgte ihr in einen kleinen Raum im ersten Stock. Er war recht spärlich eingerichtet. Das Mobiliar schien obendrein bunt zusammengewürfelt zu sein – kaum etwas passte geschmacklich zueinander. Überdies gab es nichts, das unbeschädigt war. Ich hatte den Verdacht, dass Patty und ihre Gesinnungsgenossen regelmäßig die Sperrmüllplätze plünderten, denn selbst im An- und Verkauf wären hochwertigere Möbelstücke zu ergattern gewesen. Doch dafür reichte wohl das Geld nicht.

      Ein Kaminofen, der auch bessere Tage gesehen haben mochte, verbreitete wohlige Wärme.

      „Ruhen Sie sich aus“, sagte Patty und wies auf eine Couch, die allem Anschein nach ebenfalls von anno dazumal stammte. Immerhin lag eine saubere Decke darauf. Ich setzte mich, während Patty meine feuchten Sachen auf eine vor den Ofen gespannte Leine hing.

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