Das Tal der Untoten. Matthias Albrecht
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Название: Das Tal der Untoten

Автор: Matthias Albrecht

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежная классика

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isbn: 9783961455720

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СКАЧАТЬ steht ein – Sarg! Was in aller Welt soll ein Sarg hier? Er wird geöffnet. Man legt mich hinein. Bespritzt mich mit einer Flüssigkeit. Einer der Maskenmänner tritt hinzu und wedelt mir mit einem Federbüschel im Gesicht herum, während er Worte in einer mir fremden Sprache murmelt. Ich weiß nicht, was er in der anderen Hand hält. Ich erkenne es nicht.

      Ich liege in einem – Sarg?! Warum liege ich in einem Sarg? Denken die, ich sei tot? Bin ich denn tot? Und warum – warum bin ich tot?

      Der Sarg wird geschlossen. Dunkelheit umgibt mich. Ich will schreien, aber ich kann nicht. Ich fühle, dass ich wieder getragen werde. Dann abgelegt. Dumpfe Klänge, als schaufle jemand Erde auf den Sargdeckel. ERDE! Sie begraben mich. Sie begraben mich lebendig!

      Ich kann mich nicht bewegen. Nicht den kleinen Finger rühren …

       Ich bin nicht tot! Lasst mich raus! Ich will nicht sterben! Warum hört mich keiner?

      Wie lange reicht die Luft zum Atmen in einem Sarg? Zwei Stunden? Drei, vier, fünf …

      Wohl nicht so lange.

      Niemals so lange. Niemals so …

       IV

      Zwanzig Hiebe mit der Hacke gegen den Fels. Dann rückten andere vor, während mein Nachbarkumpel und ich zur Seite traten, zurückgingen und uns in die Schlange der Dutzend Hauer einreihten, bis wir wieder an der Reihe waren. Alles lief schweigsam ab. Was sollten wir auch reden? Nicht dass es verboten gewesen wäre, doch wir hatten uns nichts zu sagen. Nur in Ausnahmefällen. Und dann so wenig wie möglich. Warum sollten sich Verstorbene auch miteinander unterhalten? Sie hatten ihre Arbeit zu tun hier im Totenreich. Und wenn sie diese zufriedenstellend erledigten, wurden sie eines Tages dafür belohnt: Mit dem Vergeben all ihrer Sünden. Und dem Einzug ins Paradies!

      Niemand wusste, woraus es bestehen sollte. Was einen da erwartete. Aber die Aufseher wussten es. Sie sagten, dass im Paradies niemand mehr arbeiten müsse. Dass man für immer schlafen könne. Bis in alle Ewigkeit.

      Schlafen! Nach getaner Arbeit in das Ruhehaus gehen, seine nach nichts schmeckende Mahlzeit hinunterschlingen, sich auf seinen Platz legen, die Medizin einnehmen (den „Drink“, wie es hier hieß) und dann – schlafen. Es war tagtäglich wie ein Vorgeschmack auf das Paradies. Nur dass dieser Schlaf leider nicht ewig währte. Stunden später wurde man geweckt und ging wieder an die Arbeit. Irgendwann, so sagten die Aufseher, würde man dann nicht mehr geweckt werden. Dann hielte man Einzug in den Garten Eden. Oder besser: Man sinke für alle Ewigkeit in Morpheus’ Arme.

      Oh, wenn es doch nur schon so weit wäre …

      Der Drink, so sagte man uns, wirke leistungssteigernd. Und wer mehr Leistung brächte, käme dem Paradies mit jedem Tag ein Stück näher. Außerdem sollte die Medizin Aggressionen, Wutausbrüche und Streitigkeiten jeglicher Art zwischen den Arbeitern unterdrücken helfen. Ich habe noch nie erlebt, dass ein Untoter einem anderen etwas getan hätte, und vielleicht war das ja gerade der Verdienst dieser Medizin. Sie hieß Atropin, und so nannte sich die Schwester, die sie uns täglich verbreichte, Atty. Es war überhaupt so, dass alle männlichen Namen der Lebenden auf O und alle weiblichen auf Y endeten. Und die der Haustiere, die nicht zum Schlachten vorgesehen waren, auf S. Wir Untoten trugen nur Nummern.

      In den Ruhehäusern, jeweils an der Stirnseite nach Norden hin, gab es große Tafeln hinter einer Gitterwand, an denen Schilder mit den Nummern der Arbeiter angebracht waren. Die Oberaufseher waren die einzigen, die darauf Zugriff hatten. Manchmal, wenn in der Nacht zuvor wieder die Fackeln und Feuer gebrannt hatten und die Trommeln und Gesänge erklungen waren, kamen neue Nummern hinzu. Und mitunter verschwanden auch welche. Wenn eine Nummer nicht mehr an der Tafel stand, wusste derjenige, dem sie gehörte, dass er am Abend darauf ins Paradies einziehen dürfe. Dennoch musste er auch jetzt gewissenhaft seine Arbeit verrichten. Tat er das nicht, wurde seine Nummer wieder angehängt. Und dann konnte es dauern, bis er wieder an die Reihe kam. Und wenn er gar selbstverschuldet zur Hölle fuhr, weil er unachtsam gewesen war oder grob fahrlässig gehandelt hatte, wurde seine Nummer auf den Kopf gestellt. Zur Abschreckung und als Warnung für andere.

      Mein Name übrigens lautete: M203. Und ich hoffte inständig, er würde nie verkehrt herum an der Tafel stehen!

      Die Hölle, so wurde uns eingetrichtert, sei ein Ort, an dem man niemals schlafe. Man würde dort wachgehalten werden, bis es schmerzt. Und dann weil es schmerzt. Auf Ewigkeit! Es sei so, als ob man atmen wolle, aber nicht könne. Als Lebender fiele man irgendwann in Ohnmacht. Als Untoter jedoch würde die Qual des Erstickens niemals aufhören. Sie steigerte sich sogar ins Unendliche.

      Versuchen Sie es getrost: Atmen Sie aus und halten Sie dann die Luft an. Solange Sie es vermögen. Und darüber hinaus! Noch ein paar Sekunden. Weiter, nicht aufhören! Weiter, weiter – spüren Sie es? Nein, nicht – oh, jetzt haben Sie geschummelt. Ja, atmen Sie ruhig. Sie dürfen es ja. Sie sind nicht in der Hölle der Untoten. Aber Sie haben einen kleinen Vorgeschmack bekommen, nicht wahr? Nur einen klitzekleinen …

      Nach der Schicht wurde man gewaschen. Man konnte das nicht selbst tun, denn niemand von den Hauern, Huntstößern, Karrenläufern, Gemüsebauern, Ziegenhirten, Korbflechterinnen und anderen Arbeitern wusste, wie das ging. Keiner kannte sich damit aus. Nur die Schwestern. Jede von ihnen kümmerte sich um zehn Untote. Stets um dieselben. Sie wechselten nie die zu Betreuenden. Nur in Ausnahmefällen. Das hatte Gründe. Die Schwestern kannten ihre Untoten. Jede Veränderung wäre ihnen sofort aufgefallen. In Ermangelung labortechnischer Analyseverfahren durften ihnen auch die kleinsten Anzeichen für Abweichungen der Norm nicht entgehen. Die Untoten reagierten verschieden auf die Medizin. Der eine benötigte eine höhere, der andere eine niedrigere Dosis Atropinsulfat.

      Nach getaner Arbeit, völlig ausgepumpt und müde, nahm man die Schwestern und die weiblichen Untoten, die ihnen bei den Untersuchungen assistierten und uns allabendlich die Medizin einflößten, kaum zur Kenntnis. Für mich sahen sie ohnehin alle gleich aus. Ich hätte nicht einmal zu sagen vermocht, ob beide weiblich oder männlich waren. Erst mit der Zeit lernte ich, sie voneinander zu unterscheiden.

      Die Schwestern kamen als Wäscherinnen wieder, wenn man tief schlief. Diesmal ohne Begleitung untoter Assistentinnen. Und vor Beginn der nächsten Einfahrt war man dann sauber und gesalbt. Gesalbt hieß hier: verarztet. Man trug plötzlich Verbände und Pflaster, wo zuvor noch keine gewesen waren. Es kam ja immer wieder vor, dass man sich verletzte. Sei es durch Steinsplitter, welche die Haut ritzten, wenn man mit der Hacke gegen den Fels schlug. Durch unaufmerksame Huntstößer, die einem die schwere Lore gegen die Beine schoben. Oder durch Steinschläge, hereinbrechende Stöße und einstürzende Schalungen. Man bekam das selbst ja kaum mit. Spürte höchstens ein leichtes Ziehen oder Kribbeln, nie jedoch Schmerz. Nur wenn es tiefer ging. Wenn einem ein Bein abgetrennt oder der Unterleib zerquetscht wurde. Oder man unglücklich fiel und sich die Spitze der Hacke in den Brustkorb bohrte. Dann spürte man das.

      Ich hatte es einmal miterlebt. Nicht am eigenen Leibe. Aber ich hatte gesehen, wie Nummer M156 von einem angespitzten Holzpfeiler durchbohrt wurde, als ein Teil der Joche und Kappen einer verlorenen Zimmerung infolge des Einbrechens eines Stoßes nachgab. Nein, falsch. Ich hatte nicht wirklich mitbekommen, wie es passiert war. Nur dass der Kumpel dann am Boden gelegen und sich im diffusen Schein der Grubenlampen gewunden hatte. Halb begraben von zentnerschwerem, lockerem Gestein. Dabei war ein Fauchen von seinen, mit schaumigem, blaugrauem Blut bedeckten Lippen gekommen. Seine Arme hatten sinnlose, zuckende Bewegungen vollführt. Das Weiße in seinen Augen war erst rosa, dann violett geworden. Schließlich hatte er mit dem Kopf immer wieder gegen den harten Boden geschlagen, bis sein Schädel brach. Es hatte sich angehört, als habe einer der Gemüsebauern eine Melone auf den steinigen СКАЧАТЬ