Das Tal der Untoten. Matthias Albrecht
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Название: Das Tal der Untoten

Автор: Matthias Albrecht

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежная классика

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isbn: 9783961455720

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СКАЧАТЬ Aufseher sagten, er werde nie ins Paradies einziehen, denn er war unaufmerksam gewesen, habe die Zimmerung beschädigt, so den Unfall verursacht und sich damit selbst gerichtet. Sie ließen ihn ins Haupthaus bringen; darauf bekam ihn niemand mehr zu Gesicht. Nach Ende der Schicht hing sein Nummernschild verkehrt herum an der Tafel. Und sein geborstener Schädel steckte am nächsten Tag auf dem Zaun am Richtplatz. Ohne Zeremonie und Opfermahl.

      Zurück zu den Schwestern: Man munkelt, dass diese – die wie die Aufseher nicht zu den Untoten zählten –, mit den schlafenden Arbeitern mitunter Sachen machten, welche weit über das Waschen und Salben hinausgingen. Ich habe das von Nummer W188 erfahren, auf die ich noch kommen werde. Sie wollte es aus einem Gespräch zwischen zwei Aufsehern erlauscht haben. Näheres wusste sie auch nicht zu berichten, doch die Aufseher sollen gelacht haben, als sie davon sprachen. Sie gönnten den Schwestern ihren Spaß. Wie sie selbst den ihren mit den weiblichen Untoten aus der Gärtnerei und Korbflechterei hätten. Und ab und zu auch mit den männlichen. Es schien dies eines von vielen Gerüchten zu sein, welche sich um unser Dasein im Lager rankten. Und wenn man auch gemeinhin davon ausging, dass an jedem Gerücht etwas dran sei, so wusste ich nicht, worin die Wahrheit bestehen sollte. Dazu fehlten mir jegliche Vorkenntnisse. Wie die Bereitschaft und Fähigkeit, darüber tiefgründig nachzudenken.

      Das Nachdenken übrigens gehörte auch zu den Dingen, welche ein Arbeiter tunlichst zu vermeiden hatte, wenn er ins Paradies kommen wollte. Abgesehen davon, dass er es – bis zu einem gewissen Grad – gar nicht erst fertigbrächte. Worüber hätte er auch nachdenken sollen? Das Einzige, das mir und meinen Gefährten tagtäglich durch den Kopf ging, war der Gedanke an den wohlverdienten Schlaf nach getaner Arbeit. Nur darum drehte sich alles. Sonst um nichts! Und natürlich an den Einzug ins Paradies. Aber – das hatten wir ja schon …

      Wenn ein Hauer, Schachtzimmerer oder Huntstößer nicht mehr in der Lage war, seine Norm zu erfüllen, wurde er zu anderen, leichteren Arbeiten eingesetzt. Keiner der Lebenden wäre auf den Gedanken gekommen, einen Simulanten in ihm zu vermuten. Untoten war es ja von Natur aus verwehrt, freie Entscheidungen treffen zu können, wären doch solche wieder mit Denkprozessen verbunden gewesen. Ein Arbeitswechsel bedeutete allerdings, dass sich dadurch sein Einzug ins Paradies verzögerte. Es sei denn, der Betreffende war anderen gegenüber geschickter und schneller und konnte so beim alles entscheidenden Voodoo-Meister Pluspunkte sammeln. Den bekam man nicht zu Gesicht. Nur seine Gestalt, die in eine weiße Tunika gehüllt war. Mit weit überhängender Kapuze und einer Maske. Er äußerte selbst nie ein Wort; nahm lediglich Besitz vom Bokor, dem Schwarzmagier, wenn er Lebenden und Untoten etwas mitteilen wollte und sprach dann durch ihn wie ein Geist in einer spirituellen Sitzung, der in den Körper des Mediums fährt.

      Was Bestrafungen betraf, so bekam man es nur mit zwei Arten zu tun, welche es allerdings in sich hatten: Man konnte auf dem Weg zum Paradies zurückgestellt werden. Einmalig oder immer wieder, je nachdem, wie viele Verfehlungen man in welcher Zeit beging. Und man konnte gleich zur Hölle fahren. Mit Pauken und Trompeten. Oder besser gesagt: Mit Trommeln und Fackeln. Und dem Sägemesser.

      Andere Formen der Maßregelung gab es nicht. Sie hätten auch keinerlei Wirkung gehabt. Für Lebende vielleicht. Nicht jedoch für uns Untote.

      Zurückgestellt zu werden war schlimm. Doch ganz gleich, wie oft es passierte – man durfte noch immer Hoffnung haben, eines Tages ins Paradies zu kommen. Anders bei der finalen Bestrafung, der Hinrichtung. Diese war endgültig.

      Der Richtplatz war weiträumig von einem niedrigen, hölzernen Zaun umgeben. Jeder Pfeiler am Ende eines Zaunfeldes überragte dessen oberen Riegel um einen halben Meter und war angespitzt.

      Fiel ein Untoter der finalen Bestrafung anheim, wurde ihm eine bestimmte Medizin verabreicht, die ihn in einen tiefen Schlaf versetzte. Dennoch wurde er gefesselt. Aus rein psychologischen Gründen, wie ich später erfuhr. Niemand sollte denken, er habe sich mit seinem Schicksal abgefunden und ließe alles freiwillig über sich ergehen.

      Dann wurde er bäuchlings auf den Opferstein gelegt. Nun traten die Gehilfen des Scharfrichters herbei – vier an der Zahl – und hielten den Delinquenten fest. Unmittelbar neben ihnen sorgten sechs Fackelträger dafür, dass die Zuschauer das Ritual in all seinen schrecklichen Details wahrnehmen konnten. Der bis dahin abseits wartende Scharfrichter zog sein „Instrument“ aus der Scheide. Dieses bestand aus einer Art Machete mit Sägezähnen an der Schneide. Ähnlich einer achtzig Zentimeter langen Säge, welche man zum Ausästen verwendet. Am unteren Ende befand sich der sogenannte Vorschneider. Ein fünfundzwanzig Zentimeter langer, nicht gezahnter, dafür aber rasiermesserscharfer Abschnitt der Klinge, mit welchem zunächst Haut, Sehnen und Muskeln des Halses durchtrennt werden mussten, bevor mit dem eigentlichen Sägen begonnen werden konnte. Dieser Vorschnitt durfte nur mittels eines einzigen Zuges geschehen.

      Nachdem die Trommeln und Gesänge verstummt waren, verkündete einer der sieben Oberaufseher, der zuvor vom Voodoo-Meister zum Bokor bestimmt worden war, das Urteil, dem eine kurze Begründung folgte. Die Versammelten schrien nach der Urteilsverkündung: „Houay, hou-ay, hou-ay!“ Der Bokor führte nun die Gesetzestexte auf, gegen welche der Delinquent verstoßen hatte, worauf die Anwesenden abermals ihr dreimaliges Hou-ay brüllten. Er schloss mit den Worten: „Vollstrecker – walte deines Amtes!“ Wieder erklangen die Trommeln. Mit jedem feierlichen, gemessenen Schritt, den der Scharfrichter in Richtung des Opfersteins tat, wurden die Intervalle kürzer, bis der Trommelwirbel abrupt endete. Der Vollstrecker setzte sein Instrument an und trennte mit genau sieben Hüben zwischen dem vierten und fünften Nackenwirbel den Kopf vom Körper des Verurteilten, der dabei nur einen kurzen, brennenden Schmerz verspürte und Mund und Augen weit aufriss, bis seine Grimasse in Sekundenbruchteilen regelrecht versteinerte. Das soll wohl bei allen Hinrichtungen so gewesen sein.

      Der Vollstrecker musste penibel darauf schauen, dass er die ganze Länge des Sägeblatts – beim ersten und siebten Schub zudem mittels Vorschneider – unter mäßigem Druck, mal schiebend, mal ziehend, ausnutzte, um die vorgeschriebene Zahl der Sägeschnitte einzuhalten. War er zu schnell und der Druck zu groß, trennte er den Kopf bereits mit sechs oder gar fünf Hüben ab. War er zu langsam und der Druck zu schwach, benötigte er mehr als er durfte. Je nach Laune des Oberaufsehers wurde er dann selbst bestraft: Mit teilweisem bis völligem Ausschluss vom Opfermahl oder der Zurückstellung der Paradies-Erlangung für eine mindere bis längere Zeit. Diese konnte im schlimmsten Fall sieben Monate währen.

      Der Vollstrecker war also darauf bedacht, sorgsam zu Werke zu gehen. Er konnte ja nicht üben. Das wäre auch nicht sinnvoll gewesen. Selbst für den Fall, dass er zur nächsten Höllenfahrt erneut berufen wurde, war es ihm unmöglich, sich an die letzte zu erinnern, sofern der Abstand mehr als drei Wochen betrug. Und daran, was er unter Umständen falsch oder richtig gemacht hatte. Oftmals half ihm deshalb der Oberaufseher, welcher selbst von einer gelungenen Hinrichtung profitierte, indem er zuvor die richtige Stelle am Hals des tief schlafenden Opfers mit dem Strich eines Permanentmarkers versah. Mehr konnte er nicht tun.

      Ich habe vier solcher Hinrichtungen miterlebt. Miterleben müssen. Wenn über einen Delinquenten in der sogenannten „Kammer“ Recht gesprochen wurde, war keiner der Untoten anwesend. Zur Vollstreckung allerdings schon. Aus Gründen der Belehrung und Abschreckung wurden dann nach Sonnenuntergang sämtliche Arbeiterinnen und Arbeiter zusammengetrommelt. Sie mussten sich auf dem Opferplatz hinter den Fischteichen einfinden und hatten ihre Hocker aus den Schlafbaracken mitzubringen. Die Arbeit ruhte in dieser Zeit bis zum Morgengrauen. Die Bergleute fuhren aus, die Korbflechterinnen unterbrachen ihre Tätigkeit, und die Gemüsebauern, Viehhirten und Bediensteten kamen gar nicht erst in den wohlverdienten Schlaf. Alle Untoten hatten an der Zeremonie teilzunehmen. Alle mit Ausnahme derer, die im Krankenrevier lagen. Aber das war stets nur eine Handvoll.

      Der Richtplatz war hell erleuchtet. Besonders der weiße Altar. Es schien, als phosphoresziere er. Als käme das Licht aus seinem Inneren. Es wäre wohl ein Zauber, der ihn so leuchten ließ, munkelte man. Hinter ihm befand sich die „Tribüne“, ein langes Podest, auf welchem der СКАЧАТЬ