Die Fischerkinder. Im Auge des Sturms. Melissa C. Feurer
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Название: Die Fischerkinder. Im Auge des Sturms

Автор: Melissa C. Feurer

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежная классика

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isbn: 9783961400911

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СКАЧАТЬ überlegt, dort unser Lager aufzuschlagen.“ Es schien ihn nicht großartig zu interessieren. Er lag auf der Seite wie ein verwundetes Tier, die Augen zwar geöffnet, den Blick jedoch glasig ins Nichts gerichtet oder auf irgendetwas, das nur er sehen konnte. Klein-Ararat vielleicht oder Edmund. Mira wusste es nicht.

      Es war nicht leicht, Chas in eine stehende Position zu hieven. Er war schwerer, als seine drahtige Statur vermuten ließ, und machte nicht die geringsten Anstalten, mitzuhelfen und ihr ein wenig des Gewichts abzunehmen.

      Mira erinnerte sich daran, wie sie Ari nach dem verheerenden Feuer in den Armenvierteln den ganzen Weg bis nach Klein-Ararat getragen hatte. Aber Ari war ein unterernährter Siebenjähriger. Chas dagegen überragte sie um einen halben Kopf und machte es ihr fast unmöglich, ihn aus dem Gerstenfeld zu schleifen, ohne verräterische Spuren zu hinterlassen.

      „Bitte“, keuchte Mira, als sie endlich am Rand des Feldes angekommen waren. „Bitte, Chas, du musst dich zusammenreißen. Nur für ein paar Minuten.“ Ihre Kehle brannte, und ein paar vereinzelte kalte Tränen rannen über ihr erhitztes Gesicht. „Wenn sie uns erwischen … Chas!“

      Sie drohte unter seinem Gewicht einzuknicken, als Chas’ Blick sich auf ihr verzweifelt verzogenes Gesicht fokussierte. „Nicht weinen“, krächzte er.

      Ein erleichtertes Lachen zwang sich aus Miras Kehle. Zum ersten Mal an diesem Morgen nahm Chas sie wirklich und wahrhaftig wahr. „Du musst mithelfen, Chas“, sagte sie eindringlich. „Es ist nicht weit, aber alleine schaffe ich es nicht.“

      Chas antwortete nicht, doch er setzte sich, schwer auf ihre Schultern gestützt, langsam in Bewegung. Mira sah, wie viel Mühe es ihn kostete, wie er um jeden Schritt, jeden Atemzug rang. Aber gemeinsam schafften sie es bis zu dem Platz, den Mira im Sinn hatte. Er war näher an der Stadt als ihr Lager im Gerstenfeld, aber gut geschützt und viel schneller zu erreichen. Kein vernünftiger Mensch würde einen Fuß auf das heruntergekommene Gelände voller rostiger Autowracks setzen. Zerbeulte Metallruinen mit glaslosen Fenstern und zerkratztem Lack drängten sich dicht an dicht, waren zu ganzen Türmen und Bergen angehäuft, die keinen allzu stabilen Eindruck machten.

      Obwohl sie unter Chas’ Gewicht alle Kraft für den Rest des Weges brauchte, konnte Mira nicht umhin, die plumpen Fahrzeuge neugierig zu betrachten. Kaum zu glauben, dass früher nahezu jede Familie, wenn nicht jeder Mensch, ein solches Ungetüm besessen hatte und damit herumgefahren war. Weite Strecken sogar, weiter, als sie je in ihrem Leben gereist war, weiter als die Grenzen ihres Landes.

      Nach Verbot des Imports hatten die Menschen die antriebslosen Maschinen auf Geländen außerhalb der Städte gesammelt. Ohne Benzin, ohne Erdgas, ohne irgendwelche derartigen Rohstoffvorkommen im eigenen Land waren sie nutzlos geworden. Das Metall freilich war anfangs noch wiederverwendet worden, aber mittlerweile hatte der Rost die Oberhand gewonnen. Das Gelände am Rande von Cem war verlassen, die Autowracks wurden Wetter und Verfall überlassen. Mit einem klammen Gefühl in der Magengrube musste Mira an einen Friedhof denken.

      Hinter einem einigermaßen standfest aussehenden Berg aus Karosserien und Reifen ließ Mira Chas zu Boden sinken. Sein Hemd war von der Anstrengung schweißgetränkt, das schwarze Haar klebte ihm nass und schmutzstarr an der Stirn, und sein Blick war wieder ins Nichts gerichtet.

      „Danke“, flüsterte Mira, halb an ihn, halb an Gott gewandt, und wischte sich selbst den Schweiß von der Stirn. Ihre Beine fühlten sich an, als wollten sie ihr jeden Moment den Dienst versagen, und sie gab dem Drang nach, sich ebenfalls kurz zu setzen. Sie trocknete mit ihrem Ärmel Chas’ Stirn ab und suchte nach seinem Puls, aber mehr als dessen rasendes Klopfen beunruhigte sie die immer noch unnatürliche Hitze seiner schweißnassen Haut.

      „Du musst durchhalten.“ Mira schluckte. Sie hatte nur eine vage Vorstellung davon, was Chas fehlte, und keine Ahnung, welche Medikamente er brauchte. Aber welche Wahl hatte sie? Einfach hierzubleiben war keine Option. Sie konnten nicht länger abwarten und darauf hoffen, dass Chas von selbst wieder zu Kräften kommen würde. Und dann war da ja auch noch Filip, für den mit jedem Tag der Prozess näher rückte. Doch fortsetzen konnten sie ihren Weg nicht. Das würde Chas nicht schaffen. Und zurücklassen konnte Mira ihn auf keinen Fall. Schon gar nicht in diesem Zustand.

      Also was hätte sie tun sollen? Sie konnte nicht tatenlos abwarten, während Chas immer schwächer wurde. Ihr Vorhaben war wahnwitzig, einen besonders guten Plan hatte sie nicht. Sie wusste noch nicht einmal, wie genau sie es anstellen wollte. Aber eines wusste sie mit Sicherheit: Sie musste es versuchen.

      Chas regte sich nicht mehr. Entweder er war vor Erschöpfung eingeschlafen, oder er hatte das Bewusstsein verloren. Aber das war ihr recht. So konnte er wenigstens nicht fragen, wohin sie ging und was sie vorhatte.

       Kapitel 2

       In der Falle

      Das Gesundheitszentrum war eine Festung. Mira hatte den gesamten Morgen und einen Großteil des Nachmittags damit zugebracht, das Gebäude und das rege Treiben außen herum zu beobachten. Da gingen wichtig aussehende Staatsgesundheitsbeamte ein und aus, wurden Kranke gebracht, Spaziergänge in Krankenhauskluft unternommen, Lebensmittel geliefert und Müllsäcke abgeholt.

      Mira suchte seit Stunden fieberhaft nach einer Schwachstelle. Blieb die Tür hinter einem der Beamten länger als nötig offen, sodass sie hindurchhuschen konnte, ohne ihr Armband zu scannen? Gelangte jemand durch den Besuchereingang, ohne von der Frau hinter dem Schalter aufgehalten zu werden? Blieb der Lieferanteneingang unbeaufsichtigt offen stehen? Aber nichts davon war der Fall.

      Mira überlegte, was die Helden in ihren Lieblingsromanen an ihrer Stelle getan hätten. Sich als Staatsgesundheitsbeamter ausgegeben vielleicht, eine Krankheit vorgetäuscht und sich selbst im Gesundheitszentrum aufnehmen lassen, um nachts aus dem Zimmer zu schleichen. Ein Fenster eingeschlagen, den Feueralarm ausgelöst, einen Tunnel gegraben. Aber all diese Ideen, die in Büchern so gut funktionierten, erschienen Mira für die Realität zu kurzsichtig. Zu viel konnte schiefgehen, zu viel stand auf dem Spiel. Mira konnte nicht riskieren, erwischt und eingesperrt zu werden.

      Als es schließlich dämmerte, saß Mira immer noch auf einem Stein im Hinterhof und sprang jedes Mal in die Büsche hinter sich, wenn sich etwas regte. Doch auch das wurde seltener. Der geschäftige Tagesbetrieb hatte schon vor Stunden ein Ende gefunden. Die Besucher waren gegangen. Dort drinnen, hinter den hell erleuchteten Fenstern, wurden jetzt vermutlich Kranke versorgt, bekamen Brot und Suppe zum Abendessen, um wieder zu Kräften zu kommen, nahmen Medikamente ein und schliefen in weichen Betten.

      An so einen Ort gehörte Chas. Nicht auf einen rostigen, schmutzigen Autofriedhof. Vielleicht war es dumm von Mira, ihn jetzt noch zu decken. Was, wenn er starb? Würde es wirklich so schlimm sein, wenn seine wahre Identität ans Licht käme? Ein Skandal wäre es natürlich − verschwundener Kronprinz wieder aufgetaucht! Aber konnten sie ihn wirklich als Verräter anklagen? Er war immerhin Nicholas Auttenbergs Sohn! Vielleicht sollte sie ihn einfach zum Gesundheitszentrum bringen. Chas hatte weder Kraft, Fragen zu stellen, noch, sich zu wehren. Und vielleicht rettete es ihm das Leben.

      Je länger sie darüber nachdachte, desto sinnvoller erschien ihr diese Idee. Sie hatte keine Ahnung, wie man einen Kranken richtig versorgte − zumal sie nur eine vage Vermutung hatte, was Chas fehlte und dass das Fieber von einer Infektion seiner Wunde herrühren musste. Es sah auch nicht so aus, als hätte Gott vor, ihre verzweifelten Gebete zu erhören und ihr Zugang zu den Medizinvorräten des Zentrums zu verschaffen. Vielleicht weil er wusste, dass Chas dort draußen keine Chance hatte.

      Mira erhob sich und streifte sich Staub und Steinchen von der Kleidung, da ließ das Knirschen von Reifen auf Asphalt sie zusammenschrecken. СКАЧАТЬ