Die Fischerkinder. Im Auge des Sturms. Melissa C. Feurer
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Fischerkinder. Im Auge des Sturms - Melissa C. Feurer страница 2

Название: Die Fischerkinder. Im Auge des Sturms

Автор: Melissa C. Feurer

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежная классика

Серия:

isbn: 9783961400911

isbn:

СКАЧАТЬ

      Ein hysterisches Lachen bahnte sich den Weg durch Miras Kehle hinauf. Nur mit Mühe konnte sie es hinunterschlucken. So betrachtet sollte der Kauf von ein wenig Wasser, Brot und Verbandsmaterial keine große Sache für sie sein. Das Problem war das kleine Plastikbändchen an ihrem Arm. Ihr Ausweis, den sie an der Kasse würde scannen müssen. Ihr Ausweis, der möglicherweise einen Alarm auslösen würde, weil sie eine flüchtige Siebzehnjährige war, die in Verdacht stand, mit einer konspirativen Kleinstgruppe unter einer Decke zu stecken. Gleich nachdem ihre Eltern sie als vermisst gemeldet hatten, musste diese Information binnen Sekunden landesweit über die staatlichen Computer verbreitet worden sein. Das Einlesen ihrer neunstelligen ID würde sie verraten, und sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit ihr dann blieb, um − egal ob mit oder ohne die bezahlten Güter − zu fliehen. Vielleicht gar keine.

      Um ihren zum Zerreißen angespannten Nerven eine Chance zu geben, sich zu beruhigen, trat sie an ein Regal und gab vor, dessen Inhalt mit Interesse zu studieren. Sie hoffte, dass sie wie eine ganz normale spätnachmittägliche Kundin aussah, die nach Dienst- oder Schulschluss den Wocheneinkauf für die Familie erledigte.

      Und wenn sie sich weigerte, ihr ID-Band zu scannen? Oder wenn sie nur so tat, als ob? Natürlich entsprangen diese Überlegungen nur ihrer Angst. Mira wusste genau, dass sie mit einem solch billigen Trick nicht davonkäme. Es war unvermeidlich, das Armband zu scannen, und eigentlich − so viel stand fest − sollte sie deshalb schlichtweg nicht hier sein. Es wäre besser, sich von Regenwasser und Feldfrüchten zu ernähren, ja, wahrscheinlich sogar besser, zu verhungern, als aufgegriffen zu werden.

      Seit Tagen diskutierte sie mit Chas über diesen Punkt. Er war völlig aus dem Häuschen gewesen − sofern man bei einem so beherrschten Menschen von solch einer starken Gefühlsregung überhaupt sprechen konnte −, dass Mira noch das Armband trug, das sie als legale, existierende und vor allem handelsfähige Bürgerin auswies.

      „Das wird uns nur nichts bringen“, hatte Mira geseufzt, als er sie darauf hingewiesen hatte. „Es ist nämlich auch eine tickende Zeitbombe. Besser, ich werde es gleich los.“ Augenblicklich hatte sie Anstalten gemacht, sich das Plastikband vom Handgelenk zu reißen, doch Chas hatte entsetzt ihren Arm ergriffen.

      „Wir werden es noch brauchen“, hatte er heftig widersprochen. „Du kannst Lebensmittel damit kaufen. Und Wasser. Vielleicht rettet es uns das Leben.“

      „Vielleicht liefert es mich aber auch ans Messer.“ Mira hatte ihm ihren Arm entzogen. „Meine Eltern hatten genug Zeit, mich als vermisst zu melden. Da werde ich mit diesem Ding gerade noch in einen Laden spazieren und es unter einen dieser Scanner halten.“

      Chas hatte dazu reichlich wenig gesagt, aber Mira hatte das Bändchen dennoch nicht weggeworfen. Nicht weil sie vorgehabt hatte, es jemals wieder zu benutzen − sie war ja nicht lebensmüde −, sondern um Chas nicht unnötig aufzuregen. Die Brandwunde, die er sich bei ihrer Flucht zugezogen hatte, setzte ihm schon genug zu.

      Diese Verletzung war der Grund, warum Mira nach langem Hin und Her in einem Lebensmittelgeschäft in Cem stand und Konserven studierte. Zu hungern, am Morgen nicht zu wissen, was sie im Verlauf des Tages essen sollten − damit konnte sie für eine Weile leben. Aber Chas war verletzt. Ein solches Landstreicherleben war nichts für jemanden mit einer entzündeten, kräftezehrenden Wunde.

      Mira starrte auf ihre eigenen zitternden Hände, während sie zwei Flaschen mit Wasser und einen Laib in Papier gewickeltes Brot auf den Tresen legte.

      Der Mann an der Kasse sah von seinen Unterlagen auf, über denen er brütete, seitdem Mira den Laden betreten hatte. Er war ausgesprochen ordentlich gekleidet. Neben seinem Hemd hatte Miras Bluse einen deutlichen Gelbstich, und sie hoffte, dass ihm die Risse an ihren Ellbogen nicht auffielen. Ihr braunes Haar war vielleicht ordentlich geschnitten; immerhin hatte sie bis vor Kurzem in der wohlorganisierten Innenstadt von Leonardsburg gelebt und zumindest augenscheinlich ein rechtschaffenes Leben geführt. Aber sicher sah man deutlich, dass es schon seit Tagen nicht mehr gewaschen worden war. Sie spürte, wie es ihr strähnig in die Stirn hing, und widerstand nur mühsam dem Drang, es zurückzustreichen.

      „Ist das alles, was Sie brauchen?“ Mira hatte den Eindruck, den Ladeninhaber mit ihrem Einkauf eher zu belästigen. Vielleicht machte man in einer Stadt wie Cem keine solch bescheidenen Besorgungen. Mira hätte beileibe mehr gebraucht. Gemüse oder Obst, das Chas half, wieder zu Kräften zu kommen, einen Rucksack, um ihre wenigen Habseligkeiten zu verstauen, desinfizierende Salbe. Aber sie hatte nur eine einzige Rationskarte übrig.

      „Fast alles.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Haben Sie Verbandsmaterial?“

      Der Mann ließ den Stift sinken und seufzte. „Pflaster oder Verbände?“, fragte er und erhob sich.

      „Verbände.“ Mira nestelte, nun, da sie ihre Einkäufe abgelegt hatte, an ihrem Ausweisband herum.

      „Scan es doch schon einmal“, wies der Verkäufer sie an, während er sich an einem Schrank hinter dem Tresen zu schaffen machte.

      Mira zögerte. Ihr Plan war es gewesen, nach dem Scannen ihres Armbands so schnell wie möglich das Weite zu suchen. Aber nicht ohne das Verbandsmaterial, das Chas so dringend benötigte. Wenn sie zur Flucht gezwungen war, ehe sie die Verbände hatte, wäre alles umsonst gewesen.

      Der Mann hinter dem Tresen öffnete einige Kartons im Inneren des Schrankes. Mira zog die Rationskarte aus ihrer Tasche, strich sie sorgfältig glatt und legte sie neben ihre Einkäufe.

      Aber dann hatte sie keine Ausrede mehr. Umständlich schob sie ihren Ärmel zurück und streckte das Handgelenk unter das blaue Licht des Scanners. Ein Klicken ertönte, und Mira fuhr zusammen. Sekundenlang herrschte Stille. Erst als der Mann eine knisternde Packung Verbände auf den Tresen fallen ließ, wurde Mira bewusst, dass sie den Atem angehalten hatte. Wie versteinert starrte sie auf den silbernen Scanner. Kein Alarm erschallte. Gar nichts geschah.

      „Na dann“, sagte der Mann und lehnte sich wieder über seine Unterlagen. „Auf Wiedersehen.“

      „Auf Wiedersehen.“ Der Scanner verschwamm vor Miras Augen, und ein dicker Kloß bildete sich in ihrer Kehle. Hastig raffte sie ihre Einkäufe zusammen, presste sie an den Körper und rannte Hals über Kopf aus dem Laden.

      Ihre Eltern hatten sie nicht gemeldet. Mira rannte den ganzen Weg zu dem Versteck, in dem sie Chas zurückgelassen hatte, und konnte an nichts anderes denken. Der neunstellige Code auf ihrem Armband war ein Fingerabdruck ihrer Identität. Alles, von ihrem Bürgerstatus über ihre Noten im Staatsunterricht bis hin zu jedem noch so kleinen Einkauf, den sie je getätigt hatte, war damit einsehbar. Vorstrafen, eingeschränkte Rechte, verdächtige Verhaltensweisen − alles wurde gespeichert. Ihr Code hätte einen Alarm auslösen oder zumindest eine Warnung an den Ladenbesitzer abgeben müssen, dass sie auf der Flucht war und aufgehalten werden musste.

      Und die einzige Erklärung, warum das nicht passiert war, war die, dass ihre Eltern sie nie als vermisst gemeldet hatten. Dass sie immer noch so taten, als befände sich ihre Tochter mit einer ansteckenden Krankheit in ihrem Zimmer und habe das Haus nie verlassen.

      Aber warum? Ihre Mutter hatte ihr geholfen, zu fliehen. Sie hatte Mira sicher wissen wollen. Aber ihr Vater, der nichts so sehr liebte wie den Staat und seine Gesetze … war auch er zum Lügner geworden, um sie zu decken?

      „Was ist passiert?“ Chas richtete sich auf, als Mira nach Luft ringend ihr Lager erreichte und fast über ihn stolperte. Sie konnte nicht antworten. Ihre Kehle war zu eng und die Atemluft zu knapp.

      Sie ließ sich neben Chas auf den Boden sinken und presste beide Hände an ihren stechenden Brustkorb.

СКАЧАТЬ