Название: Gewalt
Автор: Frank Rudolph
Издательство: Автор
Жанр: Спорт, фитнес
isbn: 9783938305799
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Jetzt erkennen Sie vielleicht, was der Daoist und der Cleaner gemein haben. Beide kümmern sich nur um sich, der eine, weil es seine Lebensauffassung ist, der andere, weil es seinem Beruf entspricht. Daoisten streben nicht nach Äußerlichkeiten, weil sie ihnen nichts bedeuten, Cleaner tun es nicht, weil es ihr Beruf erfordert.
Auf den Selbstschutz bezogen bedeutet das, dass es von Vorteil ist, sich seinem Umfeld anzupassen und sich mit dem Strom und nicht gegen ihn zu bewegen. Seien Sie in diesem Sinne ein Opportunist. Dieses Wort, das heute oft einen negativen Beiklang hat, kennzeichnet eigentlich lediglich einen Menschen, der sich den Gegebenheiten, das heißt, der Realität, anpasst. Also wie jene Vorfahren von uns, die es vorzogen, vor einem Raubtier auszureißen oder sich zu verstecken, anstatt sich von ihm fressen zu lassen. Und schützen Sie sich genau wie unsere Vorfahren mit allen Mitteln, wenn es notwendig werden sollte. Verlieren Sie jede Nachsicht und lassen Sie Ihren Instinkten in gefährlichen Situationen freien Lauf. Werden Sie überfallen, drehen Sie den Spieß um. Bricht man in Ihre Wohnung ein, greifen Sie den Einbrecher an. Natürlich gilt es abzuwägen, wann solch ein Verhalten sinnvoll ist.3 Doch die obigen Berichte zeigen deutlich genug, dass man nie wissen kann, an welche Art Kriminellen man gerät.
Gewalt im Alltag
Selbstschutz fängt im Kleinen an. Seriöse Statistiken1 der Polizei belegen, dass die meisten zivilen Gewalttaten im Bekannten- oder Verwandtenkreis stattfinden. Opfer und Täter sind oft lange miteinander bekannt, befreundet oder auch verheiratet. Freunde wissen am besten, wie man seinen Nächsten verletzt. Aus harmlosen und meist nicht ernstgenommenen Situationen kann brutalste und unkontrollierbarste Gewalt erwachsen. Kämpfe finden immerfort in allen Städten statt. Relative Harmonie schlägt immer wieder unvermittelt in die schlimmste Gewalt um.
Der Gründer der friedlichen Kampfkunst aikidō, der Japaner Ueshiba Morihei2, galt als einer der stärksten Kämpfer des 20. Jahrhunderts. Er wurde als unangreifbar angesehen. Das ist die Legende. Eine Geschichte erzählt davon, wie Ueshiba als alter Mann auf der Toilette war und einer seiner Schüler den sehr alten Mann für eventuelle Hilfe begleitete. Als Ueshiba urinierte, schaute er seinen Schüler plötzlich mit einem strengen Gesichtsausdruck an und sagte zu ihm: »Du denkst darüber nach, wie anfällig ich in dieser Situation bin und wie du mich nun schlagen könntest. Das würdest du doch aber niemals tun, richtig?« Der Schüler erschrak, denn es war genau das, was er in diesem Moment dachte. Ueshiba wurde durch solche Geschichten zu einem mystischen Krieger mit geheimnisvollen Kräften gemacht, der jeden Angriff vorhersagen konnte. Morihei als erfahrener Kämpfer hatte jedoch einfach ein Gefühl dafür entwickelt, aus Zeichen, die Menschen mit weniger Erfahrung bestenfalls als vages »Bauchgefühl« wahrnehmen, Dinge, wie die Absicht anzugreifen, zu erspüren.
Machen Sie sich klar, dass grundsätzlich alle Menschen Gegner sein können, auch diejenigen, die Ihnen freundschaftlich und wohlgesonnen erscheinen. Finden Sie heraus, wer Ihre Gegner sind. Erkennen Sie, wer indirekt gegen Sie arbeitet, wer sich wünscht, dass Sie krank und schwach sind. »Auf das Gras schlagen, um die Schlange aufzuscheuchen«, heißt das 13. chinesische Strategem.3 Máo setzte diese Taktik in seiner Kampagne »Lasst hundert Blumen blühen« ein. Er erlaubte jedem, frei zu reden und zu kritisieren. Dadurch erfuhr er, wer seine Gegner waren. Erkennen Sie ebenfalls Ihre Gegner und seien Sie nicht so naiv zu denken, dass Sie keine Gegner haben. Je erfolgreicher Sie werden, desto mehr Gegner bekommen Sie. Manchmal sind es nur Neider, manchmal Todfeinde. Bringen Sie Ihre Gegner dazu, ihre Emotionen zu zeigen, während Sie selbst Ihre Gefühle verbergen.
Jeder Mensch hat ein gewisses Eigeninteresse und eigene Ziele. Wollen Sie Hilfe und Zustimmung, denken Sie daran, wie Sie das Eigeninteresse und die Ziele derjenigen befriedigen können, die Sie um Hilfe bitten wollen oder müssen. Verlassen Sie sich niemals darauf, dass Menschen Ihnen aus Mitleid helfen werden.
Dominanz
Bei allen Aspekten des Selbstschutzes gehen wir davon aus, dass wir den Gegner dominieren müssen. Alle Fähigkeiten, die wir haben oder uns aneignen wollen, laufen am Ende darauf hinaus. Dominanz ist ein Begriff, der vieles in sich birgt: Schnelligkeit, Stärke, Können, Gewalt, immer aber in dem Sinne, es in größerem Maße als der Gegner zu besitzen oder in größerem Maße bereit zu sein, diese Fähigkeiten einzusetzen. Wie gut diese Eigenschaften entwickelt sind, ist gegenüber der Bereitschaft, sie einzusetzen, zweitrangig. Wir dürfen physisch schwächer als der Gegner sein, aber nicht von unserer mentalen Verfassung her. So bedeutet Dominanz in diesem Zusammenhang eher die Beherrschung der Situation als die eines einzelnen Menschen. Jeden Gegner werden wir kaum physisch dominieren können. Wohl aber können wir eine Situation zu unserem Vorteil gestalten. Die meisten Kämpfe sind eine Angelegenheit von Sekunden. Sie beginnen plötzlich und sind genauso schnell wieder vorbei.
Bei sportlichen Wettkämpfen ist das etwas anders. Hier muss man nach entsprechenden Regeln agieren, muss sich an sie anpassen. In einem sportlichen Wettkampf kann man versuchen, den Gegner zu dominieren. Aber in einem realen Kampf geht es um die Beherrschung der Situation, um das Vernichten oder das Vernichtetwerden. Hierfür braucht man weniger kampftechnische Finesse als Skrupellosigkeit. Der Wǔshù-Meister Chéng Jiànpíng hat die Angewohnheit, jeden, dem er begegnet, sei es auf der Straße, bei einer höflichen Vorstellung oder bei sonstigem Kennenlernen, zunächst in Gedanken zu vernichten.1 Es geht ihm dabei nicht nur um den Sieg über einen potentiellen Gegner, es geht ihm buchstäblich um dessen Zerstörung. Dabei ist Meister Chéng stets freundlich. Sein Gesicht spiegelt seine Gedanken nicht wider. Je nachdem, wie sich die Situation entwickelt, passt er auch seine innere Geisteshaltung an. Respektiert man ihn und ist freundlich, ist er es ebenfalls. Die Chinesen haben hierfür den folgenden Spruch: »Tut der Mensch mir nichts, tue ich ihm nichts. Tut er mir etwas, tue ich ihm Schlimmeres an.«2
Perikles3 riet einst den Athenern: »Den Feinden soll man kühn entgegentreten, nicht nur mit Selbstvertrauen, sondern mit dem vollen Bewusstsein der Überlegenheit. Selbstwertgefühl kann ja auch ein Feigling haben, wenn er trotz seiner Dummheit Glück hat. Berechtigtes Überlegenheitsgefühl aber ist nur die Folge des Vertrauens auf die Erkenntnis, dass man dem Gegner wirklich überlegen ist … Das Bewusstsein der Überlegenheit aber stärkt und erhöht den Mut. Der Mutige verlässt sich bei einem gleichartigen Geschick nicht auf die Hoffnung, die erst in der Ratlosigkeit ihre Wirkung tut, sondern auf die Einsicht in die wirkliche Lage der Dinge, aufgrund derer man besser in die Zukunft zu schauen vermag als vermöge der Hoffnung.«
Wenn es darum geht, einen Gegner zu dominieren, sollte man immer damit rechnen, getroffen und verletzt zu werden. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Sich selbst als unzerstörbaren Kämpfer vorzustellen, ist keine gute Vorbereitung auf alle Eventualitäten. Wir müssen unseren Geist konditionieren, indem wir uns einen siegreichen Kampfverlauf immer und immer wieder vorstellen. Betriebsblinde Kämpfer hören hiermit irgendwann auf, unbewusst meist oder weil sie müde geworden sind. Aber diese Imagination ist für denjenigen umso wichtiger, der sich nicht einer gezielten Kampfausbildung widmen СКАЧАТЬ