Название: Advent, Advent, die Alster brennt
Автор: Kai Riedemann
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783937881225
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Ich kenne die kleine Kirche in Wandsbek vom Vorbeifahren, ein schlichter Backsteinbau aus den sechziger Jahren, zwischen den eintönigen Wohnblocks. Manchmal sieht man ein paar abgerissene Gestalten vor der Kirche herumlungern, ich weiß, dass sie eine Suppenküche oder einen Aufenthaltsraum für Obdachlose haben. Eigentlich habe ich die Kirche noch nie anders als still und leer gesehen, doch heute Abend ist Mitternachtsmesse. Ich höre die Orgelmusik bis auf die Straße hinaus, als ich langsam auf das Portal zugehe.
Der Jutesack liegt noch im Auto, aber er ist leer. Zum einen sind die eingepackten Geschenke verschwunden, denn ich bin der Weihnachtsengel und habe sie noch zu den braven Kindern gebracht, für die sie bestimmt waren, zu zwei jungen Familien in einer Neubausiedlung. Den Ring habe ich am S-Bahnhof Bahrenfeld in eine Fensternische gelegt, ein Geschenk für jemanden, den ich nicht kenne. Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte, aber es fühlte sich nicht falsch an. Am Hauptbahnhof habe ich die Herrenuhr einem Obdachlosen gegeben, ganz eilig, im bunten Licht der kitschigen Weihnachtsbeleuchtung habe ich nicht einmal richtig sein Gesicht gesehen, auch das scheint mir auf seltsame Weise gerecht. Nun habe ich nur noch das Bargeld, ich habe es nicht gezählt, aber wenn man es glatt streicht und bündelt, sieht es eigentlich nicht mehr nach viel aus.
Die Kirchentüren sind weit offen, im hinteren Teil drängen sich die Stehenden. Der Geruch von feuchten Jacken und zu vielen Menschen schlägt mir entgegen. Ich bleibe zögernd stehen.
Auf der Stufe des Portals sitzt ein kleiner, grauhaariger Mann und raucht. Er hat keine Mühe, in mir den Weihnachtsengel zu sehen, auch wenn ich die Flügel und den Umhang im Auto gelassen habe.
»Das ist gleich vorbei, da drin«, sagt er und schenkt mir ein zahnloses Lächeln. »Bisschen spät gekommen, das Engelchen.«
»Viel zu tun«, antworte ich, erst überrascht, dann amüsiert. »Und dann ist mir auch noch mein Weihnachtsmann abhanden gekommen.«
»Nie ist Verlass auf die Kerle, was?«
Ich muss lachen und nicke, dann strecke ich ihm einfach das kleine Bündel Geldscheine entgegen. »Können Sie mir einen Gefallen tun und das nachher für die Kollekte geben?«
Er streckt die Hand nur halb aus und sieht mich dann an, halb ungläubig, halb misstrauisch. »Wirklich?«, fragt er zurück. »Und wenn ich’s behalten würde?«
Ich zucke die Schultern.
»Weihnachten ist ja auch die Zeit der Vergebung.«
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