Advent, Advent, die Alster brennt. Kai Riedemann
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Advent, Advent, die Alster brennt - Kai Riedemann страница 6

Название: Advent, Advent, die Alster brennt

Автор: Kai Riedemann

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

Серия:

isbn: 9783937881225

isbn:

СКАЧАТЬ voll Schnee«, ist das, was mir einfällt, aber dann kommt es mir komisch vor, dass das Christkind ein Mützchen tragen soll. Der Moment, in dem ich Philipp noch hätte retten können, verstreicht, und der kleine Junge bricht in stumme Tränen aus.

      »Oh, Philipp«, höre ich hinter mir die Mutter zischen, und in diesem Moment ist es mir egal, was die Rolle des Weihnachtsengels am Heiligen Abend ist. Ich beuge mich zu Philipp hinunter. »Es macht überhaupt nichts, wenn man das Gedicht nicht kann«, sage ich entschieden. »Wollen wir vielleicht lieber ein Weihnachtslied singen?«

      »Alle zusammen«, sagt Stefan mit feierlicher Stimme, nun bin ich es, die sich ein Lachen verbeißen muss. Wir singen:

      »Alle Jahre wieder«, und auch Philipps Mutter singt mit. Zumindest bewegt sie die Lippen.

      »Fröhliche Weihnachten!«

      Unsere nächsten braven Kinder sind schon ein wenig zu alt für den Weihnachtsmann, aber sie feiern Weihnachten offenbar mit ihren Großeltern und sind mit der gebührenden Geduld dabei. Die Wohnung in dem alten Backsteinbau ist unglaublich dunkel, der Weihnachtsbaum ist sorgfältig geschmückt, aber viel zu klein für das große Wohnzimmer. Es riecht durchdringend nach irgendeinem Braten.

      Stefan marschiert fröhlich durch das Wohnzimmer. »Frohe Weihnachten!«

      Die beiden Mädchen sind im Teenageralter, ordentlich zurechtgemacht mit der Sorgfalt, die man an den Tag legt, wenn man als Teenager anfängt, sich zu schminken.

      »Frohe Weihnachten«, sagen sie höflich und bieten an, etwas zu singen. Als sie mit »Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen« geendet haben, zwinkert Stefan ihnen zu und fragt, ob sie auch »Last Christmas« können. Sie kichern, aber sie singen schön, und beide bekommen sorgfältig verpackte Geschenke.

      Der ganze Weihnachtsabend ist etwas beschwingter, als wir uns verabschieden.

      Auf der Straße ist es fast schon dunkel. Die Lichtkreise der Laternen zwischen den kahlen Ästen der Bäume sind groß und golden.

      »Wohin jetzt?«, frage ich Stefan eifrig, und er lächelt.

      »Die nächsten Familien sind alle in den Elbvororten, Nienstedten und so. Mein Auto steht hier um die Ecke.«

      Der alte, weiße Mittelklassewagen ist einige Straßen weiter ordentlich geparkt, aber unter dem Scheibenwischer klemmt trotzdem ein Strafzettel. Stefan nimmt ihn, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen, faltet ihn achtlos und wirft ihn in die Mittelkonsole. Etwas sorgfältiger zieht er den Weihnachtsmannmantel aus und legt ihn auf den Rücksitz. Er trägt ganz normale Kleider darunter, eine schwarze Stoffhose und einen dunklen Pullover über einem hellgrauen Hemd. Ich komme mir seltsam neben ihm vor in meinem hellblauen Kleid, als ich den Umhang und die Flügel auf den Rücksitz lege und einsteige.

      Stefan lässt den Motor an und fährt los, das Autoradio erwacht zum Leben und spielt das Weihnachtsprogramm des Norddeutschen Rundfunks. Jenseits der Windschutzscheibe zieht das stille, weihnachtliche Hamburg vorüber. Wir fahren am Bahnhof Dammtor vorbei, und die Lichter an der Fassade und die großen Sterne in den Rundbogenfenstern, die ich sonst immer kitschig fand, erscheinen mir heute schön. Als wir den Bahnhof passiert haben, recke ich den Hals, um einen Blick auf das Panorama der Innenstadt rund um die Binnenalster zu erhaschen, die erleuchteten Fassaden der Kaufhäuser und den Weihnachtsbaum auf dem Ponton der Alsterfontäne, aber ich bin mir nicht sicher, dass ich wirklich etwas gesehen habe, ehe wir abbiegen. Stefan sieht mich von der Seite an und lächelt.

      »Was würdest du heute Abend tun, wenn du nicht der Weihnachtsengel wärest?«, fragt er.

      »Nicht viel«, antworte ich langsam. »Meine Eltern haben sich im Sommer getrennt. Meine Mutter veranstaltet ein großes Weihnachtsfest mit ihrer ganzen Familie, meiner Großmutter und sämtlichen Tanten, und mein Vater feiert mit seiner neuen Freundin. Ich hatte auf beides keine Lust.«

      »Ich verstehe«, sagt Stefan ruhig. »Tut mir leid.« Er sagt es ganz gelassen, aber es klingt trotzdem nicht wie eine Floskel.

      Ich nicke stumm, aber dann nehme ich mir doch ein Herz. »Und du?«, frage ich.

      »Meine Eltern sind schon seit ein paar Jahren tot«, antwortet Stefan und hebt abwehrend die Hand, als ich betroffen aufsehe und etwas sagen will. »Schon gut. Ich könnte mit der Familie von meinem Bruder feiern, aber …« Er lächelt. »Eigentlich gefällt es mir ganz gut, der Weihnachtsmann zu sein, überall ein und aus zu gehen, wie ich es für richtig halte und auch einmal etwas von Weihnachten zu haben.«

      Etwas an seinem Tonfall irritiert mich, ich sehe ihn von der Seite an. Bunte Lichter spielen im Seitenfenster des Autos. Wir fahren über die Reeperbahn, die so aussieht wie an einem beliebigen Abend in der Woche, große Leuchtreklamen, hier und dort ein paar Fußgänger.

      »Macht dir das wirklich Spaß?«, frage ich unwillkürlich.

      Stefan wirft mir einen kurzen Blick zu. »Nicht immer«, sagt er. »Aber meistens schon, besonders hinterher. Und warte ab, bis du Blankenese an Weihnachten siehst.«

      Ich hatte nicht gedacht, dass ich die Elbvororte einmal noch stiller und feierlicher finden könnte, als sie es ohnehin schon sind. Stefan ist irgendwo von der Elbchaussee abgebogen und fährt durch stille Straßen, mit vornehmen Häusern und dunklen Gärten. In den Villen sind meist nur die Fenster im Erdgeschoss erleuchtet. Hier und dort ist ein Tannenbaum oder ein Strauch mit Lichtern geschmückt.

      An einer kleinen Kreuzung parkt Stefan das Auto am Straßenrand. »Es ist dort vorne«, sagt er und deutet in die Straße hinaus. »Wir sollten laufen, es muss niemand sehen, dass der Weihnachtsmann mit dem Auto und nicht mit dem Rentierschlitten kommt.«

      Das Haus ist eine kleine, weiße Villa, alle Fenster sind hell, hinter den Gazegardinen bewegen sich lebhafte Schatten. Es ist Musik zu hören, nicht sehr laut, aber sie passt trotzdem nicht in die stille Straße.

      Stefan öffnet ohne Umstände die kleine Gartenpforte. An der Haustür dauert es lange, bis auf unser Klingeln endlich geöffnet wird. Eine Frau steht auf der Schwelle, fast bin ich über ihre Erscheinung erschrocken, trotz des eleganten Kleides. Sie schwankt ein wenig auf ihren hohen Absätzen, ich rieche Alkohol, obwohl ich einen halben Schritt hinter Stefan stehe. In der freien Hand hält sie eine brennende Zigarette.

      »Kommen Sie herein«, sagt sie langsam, bei ihren ersten Silben hört man noch, dass sie sich Mühe gibt, die Worte sorgfältig auszusprechen, aber dann ist da schon ein Lallen in ihrer Stimme. »Wir dachten nicht, dass Sie noch kommen.« Es hätte ein Vorwurf sein können, aber so, wie sie es sagt, mühsam artikulierend, klingt es völlig gleichgültig. »Die Kinder sind im Weihnachtszimmer.« Sie tritt zurück und in den Flur hinein. Durch eine offene Tür erhasche ich einen Blick auf ein Wohnzimmer, in dem Erwachsene stehen, trinken und sich unterhalten, aber sie weist zur Seite auf eine angelehnte Tür.

      »Fröhliche Weihnachten«, sagt Stefan ernst. Ich werfe einen raschen Blick durch den Flur, auf eine übervolle Garderobe, eine steile Treppe in das Obergeschoss hinauf. Als ich mich wieder zu der Dame umwenden will, ist sie plötzlich verschwunden. Stefan zuckt unmerklich die Schultern und öffnet dann mit großer Geste die Tür. »Fröhliche Weihnachten!«

      Vor den bodentiefen Fenstern des Zimmers steht der Weihnachtsbaum, übervoll geschmückt. Auf den beiden großen Sofas und auf dem Parkettboden liegt überall Geschenkpapier herum, geöffnete Spielzeugkartons und Verpackungen. Die Kinder, die dazwischen auf dem Boden sitzen, sehe ich erst auf den zweiten Blick. Es sind drei Jungen und zwei Mädchen, der älteste bestimmt schon zehn, СКАЧАТЬ