Jan und Jutta. Liselotte Welskopf-Henrich
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Название: Jan und Jutta

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich

Издательство: Автор

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783957840141

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СКАЧАТЬ fuhr in seine Hosen, griff nach der Dienstpistole, entsicherte sie und nahm sich noch einen zweiten Mann mit, den er höchst unsanft aus dem Schlafe gerissen hatte.

      Die Pistole in der Hand, betrat er mit seiner Begleitung rachedrohend den Schlafsaal und ließ das Licht anschalten.

      Der Stubenälteste, im Hemd, nahm beim Eintreten des Herrn Wachtmeisters bessere Haltung an als je und machte seine Meldung.

      »Zweiundzwanzig Gefangene anwesend, Herr Wachtmeister!«

      Vürmann war so aufgeregt, daß er die Zahl »zweiundzwanzig« zunächst nicht in ihrer vollen Bedeutung in sein Bewußtsein aufnahm. Er hatte nur den unterwürfig-militärischen Ton des Stubenältesten und seine furchtsam-stramme Haltung erfaßt. Er war zufrieden, daß die Gefangenen offenbar keinen Aufruhr versuchten und daß das kostbare Leben der Wachtmeister also nicht gefährdet schien. Der Ton korrekter Unterwürfigkeit in der Meldung des Stubenältesten waren ihm ein Labsal und eine Ermutigung. Fast wollte er schon die Meldung als empfangen bestätigen, schon setzten sich seine Muskeln in Bewegung, um ein Nicken zustande zu bringen, da bemerkte er die Tatsache, die ihn nicht weniger erschütterte, als je einen Sterblichen die Voraussage des Weltuntergangs erschüttern konnte.

      Das Gitter des einen Stubenfensters war weit hinausgebogen.

      In Vürmann entstand eine Sekunde hindurch ein Wirbel der Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle.

      Dann hatte er begriffen. Im Saale schliefen 25 Gefangene; der Stubenälteste hatte gemeldet: 22 anwesend. Also fehlten drei Gefangene. Das Gitter war herausgelöst … drei waren durch das Fenster entflohen. Gefangenenflucht! Flucht der Gefangenen, für die Hinrich Vürmann verantwortlich war! Beförderung … Essig, Versetzung nach Celle oder gar nach Hannover … Essig. Vielleicht sogar …

      »Ihr Schweine! Ihr …« Vürmann fehlten einen Augenblick die Worte. Sein Stimmband krampfte sich. Seine Stirn lief rot an. Er ballte die Faust. »Ihr Ganoven, ihr Banditen … ihr haltet zusammen …« Vürmann stürzte zu dem Fenster. Er packte das Gitter, stellte fest, daß es noch in den oberen beiden Schrauben hing, und untersuchte die Fachwerkbalken, aus denen die übrigen vier Schrauben herausgelöst waren. Es wurde ihm sofort klar, daß das Gitter nicht herausgebrochen worden war, sondern daß jemand die Schrauben mit einem Schraubenschlüssel sachgemäß gelockert und herausgedreht haben mußte.

      Vürmann wandte sich wieder den Gefangenen zu, die sich in angemessener Entfernung respektvoll aufgestellt hatten. »Ihr … ihr … Schweinehunde … wer ist weg?«

      Der Stubenälteste trat einen Schritt vor und stand wieder so stramm, als es ihm möglich war. »Die Gefangenen Jan Möller, Christoph Wiesner, Franz Strom, Herr Wachtmeister!«

      »Seit wann wißt ihr denn das, ihr …«

      »Soeben bemerkt, Herr Wachtmeister, als Sie uns weckten.«

      »Ich helfe euch lügen, ihr Bande! Der Jan … der hat doch da oben geschlafen … gleich beim Fenster … den Kerl her, der im unteren Bett geschlafen hat … und nichts gemerkt haben will … den Kerl her …!«

      Der Schlosser trat zögernd vor.

      Vürmann sprang auf ihn zu, packte ihn am Arm und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. »Du Hund, du hast es gewußt, geholfen hast du ihm …!«

      »Herr Wacht …« Eine zweite Ohrfeige erstickte dem Gefangenen das Wort im Mund.

      »Halt die Schnauze, du Verbrecher! Beihilfe zur Flucht, das kostet dich noch was. Mach dich gefaßt!«

      Der Gefangene schwieg vorsichtshalber.

      »Himmelherrgott, verfluchte Wirtschaft …« Vürmann sah, daß sein zweiter Kamerad aus der Wachstube auch noch nachgekommen war. »Da haben wir die Bescherung!« schrie er ihm zu. »Drei Mann weg! Wir müssen sofort Meldung machen!«

      Die Vorstellung, daß jetzt der Hauptwachtmeister und Kommandoführer Vürmanns Blamage erfahren würde, schürte Hinrich Vürmanns Wut von neuem an.

      Er rannte im Saal umher und entdeckte, daß drei Laken fehlten.

      »Die Laken haben sie gestohlen! Wegen Diebstahls werden sie verurteilt, die Herren ›Politischen‹…!«

      An der Tür erschien ein weiterer Wachtmeister. »Zum Hauptwachtmeister!« gab er Vürmann zu verstehen.

      In der Kommandostube stand der Hauptwachtmeister schon am Telefon. Er empfing Vürmann mit einem vernichtenden Blick. Als er die telefonische Meldung gemacht hatte, legte er den Hörer knackend wieder auf die Gabel.

      »Der Marloh ist schön in Fahrt«, sagte er dabei vor sich hin.

      »Aber es wird alles alarmiert, bis zur holländischen Grenze hin. Bei den Kommunistenschweinen in Hamburg wird sofort Haussuchung gemacht! Wir kriegen die verfluchten Verbrecher heute noch wieder.«

      Wer Marloh war, das wußten alle im Zimmer Anwesenden. Marloh, geschworener Feind aller Kommunisten, berühmt und berüchtigt durch die Art und Weise, wie er neunundzwanzig rote Matrosen im Jahre 1919 hatte betrügen und niederknallen lassen, war Direktor des Zuchthauses in Celle, von dem das Arbeitskommando im Moor abgeordnet war. Marloh war Oberleutnant gewesen und ließ nicht mit sich spaßen, weder den Gefangenen noch den Wachmannschaften gegenüber. Vürmann fühlte eine Übelkeit im Magen. Aber wenn die drei wieder eingefangen wurden, die sollten es zu spüren bekommen.

      Der Hauptwachtmeister ging mit seinen Untergebenen in den Hof, um sich den Fluchtweg genauer zu besehen. »Von heute an jedenfalls Verstärkung anfordern und auch Außenposten aufstellen«, bemerkte er zum Oberwachtmeister. »Vor allem müssen wir uns über den Hausvater in Celle beschweren, der uns derart unzuverlässiges politisches Gesindel hierherschickt, das unter den hier gegebenen Umständen gar nicht ordnungsgemäß zu bewachen ist …«

      Vürmann atmete ein wenig auf. Die Schuld abschieben, ja die Schuld abschieben, das war der einzig mögliche Weg.

      Einer der Wachtmeister fand die Laken in der Regentonne.

      »Als ob sie uns verhöhnen wollten!« schrie Vürmann.

      »Dieser Jan muß ein ganz gewiegter Gauner sein! Wie er sich immer verstellen konnte! Ich denke noch, er liest den ›Völkischen‹…«

      »Das interessiert uns jetzt weniger«, bemerkte der Hauptwachtmeister spitz. »Aber wo hatte er den Schraubenschlüssel her?«

      »Der Schlosser … Er kommt sofort in die Arrestzelle!«

      »Na ja, gewiß, der Schlosser! Aber wieso wird hier nicht besser auf das Werkzeug geachtet? Kann hier jeder alles mitnehmen, wohin es ihm beliebt? Wie? Die Schluderwirtschaft hört jedenfalls auf!«

      Vürmann wurde blaß.

      In der Stube des Hauptwachtmeisters rasselte das Telefon. Hoffnung beflügelte alle Wachmannschaften. Vielleicht war das schon die Meldung, daß die Entflohenen wieder gefaßt seien. Vürmann war der erste, der in der Stube anlangte und den Hörer zitternd abnahm, um ihn dem Hauptwachtmeister zu reichen. Alle Ohren lauschten, es war mäuschenstill im Raum.

      Auch in den Mienen des Hauptwachtmeisters hatte sich die angenehme Hoffnung abgezeichnet. Aber auf seiner Stirn erschienen gleich wieder Falten. »Ich habe doch die Personenbeschreibung durchgegeben … nein. Nein!! habe ich gesagt. Ein kleiner Rothaariger war nicht dabei! СКАЧАТЬ