Jan und Jutta. Liselotte Welskopf-Henrich
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Название: Jan und Jutta

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich

Издательство: Автор

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783957840141

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СКАЧАТЬ Bewegungen setzte er den Schraubenschlüssel an und lockerte die eine, dann auch eine zweite Schraube ein wenig.

      »Geht’s?« fragte Christoph gespannt.

      »Wird schon. Wir haben ja noch ein paar Abende Zeit.« Jan steckte den Schraubenschlüssel wieder zu sich. »Haltet euch bereit – du und Franz. Nächsten Sonnabend. Nach Mitternacht, wenn der Vürmann und seine Kumpane und der Hauptwachtmeister eingeschlafen sind. In der Nacht zum Sonntag schlafen sie fester als sonst, und morgens merken sie später, daß wir weg sind.«

      Christoph trommelte mit den Fingern auf das Fensterbrett.

      »Das wird ein Ding. Na schön.«

      Die Woche ging dahin. Den Gefangenen war es immer erschienen, als ob die Tage unendlich langsam vorwärts krochen. Aber jetzt hatte sich in der Vorstellung von Jan, Christoph und Franz das Tempo des Zeitablaufs geändert. Die Stunden und Tage schienen trotz Hitze und Mühsal zu fliegen. Montag, Dienstag – Mittwoch – Donnerstag. Am Freitag hatte Jan die vierte Schraube locker gemacht.

      Der 30. August brach an.

      Am Morgen dieses Tages wurde ein Gefangener, genannt Hannes, aus der Strafzelle, die sich im Keller des Gebäudes befand, entlassen und trat wieder mit den anderen zur Arbeit im Moor an. Hannes gehörte nicht zu den »Politischen«; er büßte für einige gemeine Vergehen, wußte der Teufel, was er eigentlich angerichtet hatte. Jan, Christoph und Franz hatten sich früher kaum nach Hannes umgesehen. Als er mit seinem losen Mund den Wachtmeister Hinrich Vürmann reizte, ohne sich selbst dessen recht bewußt zu sein, hatten die drei Freunde nur mit dem Kopf geschüttelt. Aber heute schauten sie verstohlen immer wieder nach dem Köll’schen jung. Wie verändert erschien er! Sein Gesicht war blutleer, die Augen dunkel umrändert. Er ging krumm, und als er anfing, Torf zu stechen, lahmte er in der Schulter. Dennoch hastete er bei der Arbeit. Hin und wieder blickte er dabei scheu nach Vürmann, in dessen Zügen der Hohn glänzte.

      »Den Hannes hat der Vürmann fertiggemacht«, sagte Christoph zu Jan. »Der Vürmann, der Schuft, der prügelt …«

      Jan nickte.

      »Der Hannes ist nicht der erste, den er geprügelt hat …«, bemerkte ein Gefangener, der Christophs Worte mitgehört haben mußte. »Der macht mit uns, was er will!«

      Die Gefangenen verstummten, denn der Wachtmeister kam näher.

      Die Gefangenen arbeiteten weiter. Geduckt, wie ein mißhandeltes Tier, schuftete Hannes.

      Als die Sonne dieses Tages sank und die Gefangenen im Saal ihre Suppe in Empfang nahmen, war die allgemeine Stimmung noch gedrückter und mißmutiger als in der Woche zuvor. Zwar hatte die Augusthitze nachgelassen und einem milden Herbstwetter Platz gemacht. Aber die Erschöpfung, die die Körper in den schwülen Tagen gequält hatte, wirkte noch nach. Hoffnungen waren wie vertrocknet, kleine Freuden abgeblättert, abgefallen wie Blätter von den verdorrten Bäumen im Moor. Wachtmeister Vürmann fühlte sich in jener Laune, in der er bereit war, um nichts einen Menschen totzuschlagen. Die Gefangenen waren gereizt; dem einen schien es, daß er den anderen hassen müsse, und der Anblick eines Zigarettenstummels konnte die Ganoven unter den Gefangenen bösartig machen. Aber plötzlich sackte dieser oder jener zusammen und hätte am liebsten geweint. Der Sommer war vorbei. Der nasse Herbst stand bevor und der Winter mit Schnee und Kälte. Wann sollte dieses Leben ein Ende nehmen? Wieder ging ein Summen durch den Saal, und es formten sich die Worte:

       »Auf und nieder gehn die Posten

       , keiner, keiner kann hindurch …

       Flucht wird nur das Leben kosten.

       Vierfach ist umzäunt die Burg!«

      Es war an diesem Abend nur eine Gruppe von drei Gefangenen, deren Stimmen mit festem Klang die dumpfe Hoffnungslosigkeit durchbrachen:

       »Doch wir kennen kein Verzagen!

       Ewig kann’s nicht Winter sein.

       Einmal werden froh wir sagen:

       Heimat, du bist wieder mein!

       Dann ziehn die Moorsoldaten

       nicht mehr mit dem Spaten ins Moor!«

      Franz und Christoph saßen bei Jan am Fensterplatz, flickten und stopften. Als das Lied geendet hatte, versuchte Franz einen gezwungenen Scherz. »Winter, na, ich danke! Mir reicht die Hitze auch heute noch.« Dann summte er die Melodie wieder vor sich hin, und Jan hörte die Worte heraus, die Franz meinte: »Flucht wird nur das Leben kosten …«

      »Legt euch mal schlafen«, sagte Jan zu seinen beiden Genossen. »Wenn es soweit ist, wecke ich euch.«

      »Gute Nacht!« antwortete Christoph nur und folgte dem Rat. Auch Franz blieb nicht mehr lange sitzen. Jan schaute ihm nach, als er zu seinem Bett ging. Franz schlüpfte angekleidet unter die Wolldecke. Er hielt sich also doch bereit! Jan blieb auf. Er stand wieder am Fenster und blickte nach den Sternen, die ihm den Weg in die Freiheit weisen sollten. In Spanien kämpften die roten Bataillone! Es war Jan, als ob er die Freiheit riechen und fühlen könne, als ob sie mit dem Wind durch das Gitter zu ihm komme und ihn rufe. Seine Sehnen strafften sich, seine Faust umklammerte die Gitterstäbe, die er bald lösen wollte.

      Die Bauern im Heidedorf löschten schon die Lichter. Die Straße lag so leer und einsam wie in jeder Nacht. Um zwölf Uhr kam, wie an einem jeden Sonnabend, der einsame Fußgänger in Uniform von seiner Liebsten zurück. Die Haustür knarrte. In dem Raum unter dem Saal der Gefangenen rumorte es noch kurze Zeit, dann war alles still. Der Hauptwachtmeister schlief nach seinem nächtlichen Abenteuer, und vielleicht auch von einem kleinen Rausch beschwert, einen tiefen, festen, befriedigten Schlaf in die Sonntagnacht hinein. Aus der Wachstube neben dem Gefangenenraum erklang Schnarchen.

      Es war Zeit für Jan. Er nahm den Schraubenschlüssel aus der Tasche und lockerte vollends die vier Schrauben, an denen er schon gearbeitet hatte, bis sie sich herausziehen ließen. Die beiden obersten Schrauben aber ließ er fest sitzen. Dann bog er das Gitter, das jetzt lose hing, nach außen, so weit, daß ein Mensch eben hindurchzukriechen vermochte, und stemmte das Stück Feuerholz als Keil zwischen Wand und Gitter. Als das unbemerkt geschafft war, ging Jan zu den Betten von Franz und Christoph. Er ging mit ruhigen Schritten, ohne Lärm zu machen, aber auch ohne besondere Vorsicht. Die erschöpften Gefangenen waren auf ihren Strohsäcken in halbe Bewußtlosigkeit gesunken. Keiner rührte sich. Auch Franz und Christoph schliefen. Wahrhaftig, sie schliefen! Jan rüttelte sie. »Auf!« sagte er. »Es ist Zeit!«

      »Also wirklich?« antwortete Franz leise.

      Dann erhoben sich die beiden.

      Jan hatte sein Bettlaken in der Hand und nahm sich jetzt noch diejenigen von Christoph und Franz. Er knüpfte die Laken schnell zusammen. Die drei Männer schlichen zum Fenster. Noch war keiner der schlafenden Gefangenen auf die Vorgänge aufmerksam geworden. Auch in der Wachstube blieb es still. Vürmanns Schnarchen war in einen ruhigen Atem übergegangen.

      Jan hing die zusammengeknüpften Laken über die unterste Stange des hinausgedrückten Gitters und ließ dieses Behelfsseil an der Außenwand hinabhängen. Es war lang genug.

      »Ihr zuerst!« flüsterte er seinen Genossen zu.

      Franz schwang sich auf das Fensterbrett, zwängte sich zwischen СКАЧАТЬ