Jan und Jutta. Liselotte Welskopf-Henrich
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Jan und Jutta - Liselotte Welskopf-Henrich страница 3

Название: Jan und Jutta

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich

Издательство: Автор

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783957840141

isbn:

СКАЧАТЬ

      Die Gefangenen hatten sich nicht zusammengerottet. Sie saßen umher; ein paar rasierten sich; einige lagen schon auf den Betten.

      Hinrich Vürmanns Augen mußten lange suchen, ehe sie den gebeugten Rücken des Gefangenen fanden, den er beobachten wollte. Der große dunkle Mensch saß auf einem niedrigen Hocker, vom Kontrollfenster abgewandt, und schien einen Knopf an seine Jacke anzunähen. Sang er mit? Sang er nicht mit? Es war eine tiefe, klangvolle Stimme im Chor zu hören, eine feste, führende Stimme. Aber Hinrich Vürmann konnte nicht sehen, ob jener Gefangene den Mund bewegte.

      »Man muß sich ja auch mal um den Menschen kümmern«, sagte Vürmann.

      Er suchte die Blätter des »Völkischen Beobachters« wieder zusammen und ging über den Korridor hinüber in den Gefangenenraum.

      Als er eintrat, war sofort der Stubenälteste, von Beruf ein gewiegter Ganove, zur Stelle und meldete in strammer Haltung:

      »Fünfundzwanzig Gefangene anwesend, Herr Wachtmeister!«

      Vürmann nickte kaum merklich, und der Stubenälteste trat ab.

      Die anderen Gefangenen nahmen nach außen hin nicht viel Notiz von dem Wachtmeister, aber Vürmann wußte genau, daß er heimlich beobachtet wurde.

      Er steuerte langsam, scheinbar absichtslos, auf den Gefangenen zu, der eben den Nähfaden abriß und dann aufstand, um seine schwarze Leinenjacke wegzulegen.

      »Na?« knüpfte Vürmann an.

      Der Gefangene setzte sich wieder. Er hatte die Augen gesenkt, als betrachte er seine eigenen Fußspitzen, und seine Miene blieb ausdruckslos.

      Das Lied der Gefangenen war wieder in ein Summen übergegangen. Nur aus der Ecke, in der der schmächtige Christoph saß, klangen noch die letzten Worte:

       »Doch wir kennen kein Verzagen …«

      »Na«, wiederholte der Wachtmeister, zu dem Dunkelhaarigen gewandt, und spielte mit der zusammengefalteten Zeitung. »Es gibt wieder allerhand Neues …« Der Gefangene griff nach dem Blatt, mit einer ruhigen und selbstverständlichen Bewegung, als ob ihm ein Kollege eine Zeitung gebracht habe, die er nun lesen wolle. »Aha«, sagte er nur, »hm …«, und dann hatte er die große Zeitung auseinandergeschlagen und schien sich in die Nachrichten zu vertiefen.

      Hinrich Vürmann war verblüfft. Er hatte sich unterhalten und den Gefangenen dabei ausforschen wollen. Nun war das nicht ohne weiteres möglich. Sollte man einen Gefangenen stören, der mit offensichtlichem Interesse den »VB« las? Nein, diese Lektüre war gut; sie mußte auch Jan, den Gefangenen, überzeugen. Vürmann redete sich ein, daß es das beste sei, den Gefangenen mit der Zeitung zunächst sich selbst zu überlassen.

      »Ja, lesen Sie nur mal ganz gründlich – das Blatt können Sie ruhig auch noch den anderen geben. Damit Sie alle Bescheid wissen, was sich tut … Na, also gute Nacht.«

      Der Gefangene murmelte etwas Unbestimmtes. Vürmann legte die Laute als einen ordnungsgemäßen Gruß aus, weil er sich nicht ärgern wollte.

      Dann ging er langsam, in gemessener, ja, gravitätischer Haltung wieder hinüber in die Wachstube.

      Der Raum, in dem sich die Gefangenen befanden, wurde abgeschlossen. Die meisten legten sich todmüde schlafen. Schmale Bettgestelle mit Strohsack und Wolldecke dienten ihnen zur Ruhe.

      Jan saß noch mit seiner Zeitung am Fenster. Der lange Sommerabend war über einem letzten grün schimmernden Dämmer am Horizont in die Nacht übergegangen. Aber die Nacht erschien licht im Mond- und Sternenschein. Das Fenster war offen; nur das Gitter trennte den Menschen von der Freiheit. Draußen war die Luft noch immer warm; aber ihr Sauerstoff und selbst der eigenartige Heidemoorgeruch taten der Lunge und dem Herzen wohler als die stickige Atmosphäre des Schlafraumes. Jan faltete die Zeitung sorgfältig zusammen und stützte die Arme auf das Fensterbrett.

       »Doch wir kennen kein Verzagen …«

      Jan drehte nicht einmal den Kopf, als ein Mitgefangener zu ihm trat, aber er wußte, daß jetzt Christoph neben ihm stand. Die beiden blieben einige Minuten still und schauten zusammen in die Nacht hinaus.

      »In Spanien kämpfen sie«, sagte Jan endlich leise.

      »Steht es in der Zeitung?« flüsterte Christoph.

      »Es steht in der Zeitung.« Jan zeigte dem anderen die Notiz auf der zweiten Seite. »Da steht es. In Frankreich stellen sie die Volksarmee zusammen!«

      Christoph vermochte im Mondlicht die fette Überschrift der Notiz zu erkennen. Es war der Sommer des Jahres 1936. »Mann«, sagte er. »Mann! Die kämpfen! Und wir sollen hier verrecken?«

      Jan gab nicht gleich eine Antwort. Er schaute nach den Sternbildern. Das Fenster war an der Schmalseite des Schlafraumes angebracht und ging gegen Norden. Der »Wagen« leuchtete am nächtlichen Firmament, und der Polarstern stand hell und unbewegt in der unendlichen Ferne.

      »Das liegt nur an uns«, sagte Jan schließlich. »Ob wir kämpfen oder ob wir verrecken.«

      Christoph schaute von der Seite auf den Freund, dessen nackte muskulöse Schultern und Arme in Mondschimmer und Nachtschatten so deutlich abgegrenzt waren wie die dicken eisernen Stäbe des Gitters. Es war dem schmächtigen Christoph einen Augenblick zumute, als ob diese Arme das Gitter mit der Kraft eines Riesen packten und zerbrechen müßten.

      Aber dann kamen Christoph die Tränen. Das Gefühl der Ohnmacht und die Weichheit der Liedstrophen, die von der Sehnsucht nach Weib und Kind gesungen und geklungen hatten, überwältigten ihn.

      »Na, Mensch!« sagte Jan.

      Christoph fuhr sich mit dem Ärmel um die Augen. »Die verfluchte warme Luft – es ist doch zehn Uhr –, um die Zeit hab’ ich mit meiner Rike im Sommer immer auf dem Balkon gesessen – und sie hat mir noch einen Apfel geschält …«

      »Äpfel …«, wiederholte Jan, aber nicht zu seinem Freund gewandt; er sprach wie abwesend, zum Fenster hinaus in die stille, kühlende, weite Nacht.

      »Wie das Obst jetzt duftet – du bist doch auch aus unserem ›Alten Land‹, Jan. Wie sich jetzt die Zweige biegen. Und wie die Äpfel duften, wenn sie einer schält – und wie die Elbe so ruhig fließt, und wie der Tang und die toten Fische stinken … Ob wir noch einmal heimkommen?«

      »Heim willst du?« fragte Jan rauh.

      »Du nicht?« fragte Christoph leise dagegen.

      »Nein. Nach Spanien will ich, wo sie kämpfen. Kommst du mit?«

      »Mann … Mann … du machst doch sonst keine Redensarten.« Christoph berührte die Eisenstäbe vor dem Fenster.

      »Der Mist ist doch nur angeschraubt … im Fachwerk angeschraubt«, sagte Jan. »Na, laß man. Wir gehen schlafen.«

      Er löste die Arme von dem Fensterbrett, auf das er sich gestützt hatte, und ging ohne weitere Worte, auch ohne Gruß, in den Raum zurück, dessen Atmosphäre von dem Geruch und Geräusch der schnarchenden, schweißdünstenden Gefangenen auf ihren Strohsäcken erfüllt war.

      Christoph tat das gleiche.

      Die СКАЧАТЬ