Название: Zwei Freunde
Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783957840127
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Frau Grevenhagen nahm die sonderbare Huldigung freundlich an. Sie aß den leise krachenden Toast und den rosa Schinken mit seinem blütenweißen Fettrand.
»Sind Sie schon lange in unserer Stadt?« fragte sie.
Casparius schob Wichmann die Antwort zu.
»Erst seit einigen Wochen, gnädige Frau.«
»Habe ich Sie reiten sehen?«
»Ich habe nicht zu hoffen gewagt, daß Sie sich noch daran erinnern …›Reiten‹ ist auch zuviel gesagt. Ich saß stumm und steif auf meinem Fuchs und sah das Bild, das ich niemals vergessen werde! Die Grauschimmel in der Morgenfrühe.«
»Ja, es sind schöne Tiere. Reiten Sie gern?«
»Mehr gern als gut. Aber ich werde weiter üben.«
»Es gefällt Ihnen in unserer Stadt? Haben Sie schon vieles kennengelernt?«
»Nicht viel mehr als das Ministerium, den Park und die Kreuderstraße.«
»Ach ja, Sie wohnen auch hier.«
»Gegenüber, gnädige Frau«, Wichmann glühte unter Frau Grevenhagens aufmerksamem Blick, »bei Frau Geheimrat von Sydow.«
»Es freut mich, wenn es Ihnen in unserer Stadt gefällt.«
Die Dame des Hauses schien den jungen Herrn damit aus dem Gespräch zu entlassen. Sie führte die Hand mit dem feinen Porzellanteller zum Büfett, um den leer gegessenen abzustellen, da lösten sich ihre Finger scheinbar einen Augenblick zu früh. Wichmann griff hilfsbereit zu und faßte den Teller, den die andere Hand noch nicht losgelassen hatte. Durch das Porzellan ging eine Schwingung, die getrennte Hände für die Zeit eines Herzschlages verband. Wichmann durchfuhr das Empfinden, Bewegung aus ihrer Bewegung empfangen zu haben, so stark, daß seine Entschuldigung nur noch ein Stammeln war.
Die Hausherrin entschwand seinem Gesichtskreis und widmete sich ihren anderen Gästen.
Auf die Schulter des Assessors legte sich eine Hand. »Wichmann, Menschenskind … bleibe Se no voll bei Verstand.«
Da Casparius satt war und Wichmann nicht hoffte, mit Frau Grevenhagen noch einmal ins Gespräch zu kommen, ließen sich die beiden Kollegen die Mäntel geben und gingen. Der harte Schnee des Gartenweges schrie unter ihren Schritten. Die Schatten der Bäume fielen wirr, durchlichtet vom Mond, von erleuchteten Fenstern und vom Laternenschein. Als sich das Rosentor mit einem Klicken schloß, bemerkte Wichmann einen Herrn von schmaler Figur, der am Zaun gelehnt haben mußte und jetzt mit schnellen Schritten die Kreuderstraße hinunter der Stadt zu lief. Als Wichmann Casparius mit einer Kopfbewegung darauf aufmerksam machte, nickte der Kollege gleichmütig.
»Der viel besprochene Dr. Musa. Sardelle, Sardelle … schmeckte scharf und ischt nix dran.«
Wichmann nahm sich den schwäbischen Philosophen mit hinauf in seine Bude; er fürchtete sich vor dem Alleinsein. Eine Flasche »Cognac«, deren Etikett die französische Herkunft bestätigte, kam aus dem Renaissanceschränkchen hervor. Die beiden jungen Männer ließen sich auf den Sesselplätzen nieder und blieben noch bis Mitternacht zusammen, ohne ein Dutzend Worte geredet zu haben. Diese Stunden aber waren für ihre Freundschaft bindender als alles, was sie vorher miteinander erlebt und gesprochen hatten.
Wichmann hatte das Gefühl, einen Menschen zu finden, auf den er sich verlassen konnte und den er nicht zu hassen und nicht zu verachten brauchte, wenn er an Marion Grevenhagen dachte.
Denn Wichmann war es zumute wie damals, als er zum erstenmal allein eine weglose Wand anging, als er ausbrechende Steine in der haltsuchenden Hand fühlte und nicht wußte, ob er je weiterfinden konnte. Marion war ihm fremd und fern gewesen an diesem Abend. Das Haus beschützte sie. Sie war die Gemahlin Grevenhagens, und Oskar Wichmann war ein sehr kleiner Regierungsassessor. Er wollte niemals mehr dieses Haus betreten, niemals mehr … wollte … Was wollte er? Er hätte ihre Füße küssen können, aber sie wußte nur, daß er nicht gekommen war, als sie ihn um einen Tanz gebeten hatte. Er hätte sie mit Blumen überschütten mögen, aber sie wohnte in den Räumen, in denen jedes Zeichen seiner Liebe das Verbrechen an einem Heiligtum war.
Heiligtum? Vielleicht war sie eine Dirne, die an Alfons Musa schrieb? Alphonse …
Oskar Wichmann schenkte mit zitternder Hand dem Freunde ein. Alphonse?
Er schlief nicht, wenn er daran dachte.
Um sich selbst zu entkommen, ging er von nun an häufig des Abends zu Casparius in die winzige Wohnung mit den schreienden Drillingen, bewunderte die Stupsnäschen und die wachsenden Blondhaare und tröstete die kleine strickende Frau Casparius, wenn sie weinend aufstampfte, weil ihr Mann nie ein ernstes und imponierendes Wort sprach. »Immer bloß die Witze! Ich mag nimmer! Ich hab’ doch einen Mann g’heiratet und keinen Clown. Er ischt nie wie die anderen, wie Sie und der Herr Regierungsrat Korts! Und er kommt zu nix, obwohl er doch g’scheit g’nug wäre!« Die braunen natürlichen Locken flogen um die gewölbte Frauenstirn, und die zierlichen Nasenflügel öffneten sich und zogen sich zusammen; Frau Anna Maria Casparius war reizend, wenn sie zornig wurde.
»Ja«, gestand der Gatte zu, »ein fliegender Holländer, der mit seiner Senta ins Meer hüpft, um in Gloriole himmelwärts zu steigen, bin ich halt net – sondern nur ein treuherziger Assessor. Aber für die drei Mädle ischt’s vielleicht besser so, und mir habe ja unsere Oper, um die übrigen Gefühle abzureagieren.«
»Da komm’ ich auch nie hin.«
»Ja, willscht du denn? Ich nehm’ dich beim Wort, Anna Maria, du mußt eine Hüterin bestellen für diese Wiege und mit mir in die Oper gehen. Der Herr Wichmann kommt auch mit, gelt, daß du einen Kavalier hascht neben deinem altbekannten Schimpansen.«
Wichmann erbot sich sofort, die Karten zu besorgen.
Wie Knospen im lauwarmen Regen sprangen, so schossen bei dem Gedanken die Hoffnungen und Pläne seiner freigegebenen Phantasie. Er wurde lebhafter und liebenswürdiger als je, beugte sich nochmals über die Drillinge, die sich in den Schlaf schrien, und ließ sie seine Finger fassen. Er erzählte Frau Anna Maria von der Herrlichkeit einer Opernfestvorstellung und beriet an Stelle des Gatten mit ihr, welches Kleid sie für den Abend wählen solle. Er war bereit, sich abends um sechs Uhr anzustellen, um morgens um acht Uhr die Karten zu erhalten. Es war kein Zweifel, daß er eine Premiere oder ein berühmtes Gastspiel ausfindig machen würde, bei dem sich Bühne und Publikum in ihrem Glanze präsentierten. Im Anschluß an die Vorstellung wollte er das Ehepaar Casparius zu einem Souper bei Hattig einladen, dem nur mit ehrfürchtigem Schauer genannten teuersten Restaurant.
Frau Anna Maria war rot und blaß geworden, denn ihr unschuldiges und gerades Gemüt konnte nichts anderes denken, als daß es dem Kollegen des Gatten ein solches Glück war, ihr eine Freude zu bereiten. Wichmann aber war selig in ungehemmten Träumen von jenem Opernabend, an dem er Marion wiedersehen, an dem er auf irgendeine Art ein Wort, ein Zeichen seiner Empfindungen zu ihr gelangen lassen wollte. Seine Seele schwebte über der Erde und wollte die anderen mittanzen und mitfliegen lassen.
Der abgeschnittene Teil seines Gehirns, in der der graue Verstand wohnte, hatte versucht, ihm sein Verhalten lächerlich zu machen. Konnte er nicht jeden zweiten Donnerstag, wenn es ihm beliebte, das Haus Kreuderstraße 3 aufsuchen und neben Orchideensträußen und flackerndem Kaminfeuer die Geliebte sehen und sprechen? Warum war er nicht mehr hingegangen? Warum zermarterte er sein Herz im hundertsten Nachkosten einer СКАЧАТЬ