Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich
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Название: Zwei Freunde

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783957840127

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СКАЧАТЬ Vera liefen schweigend mit geröteten Wangen den sich windenden Pfad am Hang hinauf. Sie genossen miteinander das wohltuende Gefühl, alles Niedrige unter sich zurückzulassen, die Höhe aber und die Sicht in die Ferne zu gewinnen. Der Bruder ließ die Schwester auf dem steilen und schmalen Weg vorangehen, um sie nicht durch zu schnellen Schritt etwa zu überanstrengen. Aber Vera lief leicht, mit flinken und sicheren Füßen wie ein junges Reh, und der Bruder schritt aus, um ihr zu folgen. Vera hatte sich verändert. Oder sah der betrachtende Bruder die Schwester nur mit neuen Augen? Am Weihnachtsabend war ihm das bisher Unbekannte an der Schwester aufgefallen. Ihre Gestalt war schlanker und wiederum voller geworden, in ihrem Lachen klang ein neuer Ton, und sie wandelte sich immerzu. Unter dem Christbaum stand sie in einem weißen Kleid wie eine Prinzessin aus Tausendundeiner Nacht, mit weichem Goldhaar, das in natürlichen Wellen fiel. Heute schien sie sportlich und kühn; die Locken waren von einer kleinen Kappe gefaßt, das Schneiderkostüm betonte das Ebenmaß ihrer noch wenig ausgesprochenen Formen, ihr Schritt federte. Wie die Verkörperung des herben Morgens wirkte sie! Wichmann kam der Schwester mit ein paar schnellen Sprüngen zur Seite.

      »Vera?« Er sah ihr in die Augen. Es war nur die einzige Hoffnung in ihm, daß sie schon begreifen möchte, was ein liebender Mensch empfand.

      Vera lachte. Errötete sie? Spürte sie, was in ihm vorging? Er hatte als Junge alle Spiele mit ihr gespielt und alle Geheimnisse mit ihr getauscht. Sie war immer seine Vertraute gewesen und er der ihre. Alle seine Schulfreunde hatten im stillen für Vera geschwärmt. Wichmann rechnete einen Augenblick. Die Schwester war jetzt zweiundzwanzig Jahre alt.

      »Vera … unser Vater war Chemiker …«

      Das Mädchen legte den Kopf ein wenig zur Seite und blieb stehen, um den Blick in die Weite zu genießen. Dann lächelte sie den Bruder an. »Ja, gewiß«, sagte sie, zwischen Scherz und Ernst. Oskar Wichmann spürte aus ihrem Ton, daß sie ihn nicht hänseln wollte. Ihre Seele war ein sehr feines Instrument und nahm den zartesten Bogenstrich wahr.

      »Erinnerst du dich vielleicht an einige seiner wissenschaftlichen Geheimnisse?« fuhr er fort. »Du beschäftigst dich doch auch mit solchen ernsthaften Dingen?«

      »Mehr mit Sprachweisheiten, und zwar im sechsten Semester, Bruderherz.«

      Die Geschwister hatten eine Bank erreicht, und obgleich die Luft sehr kalt war, schien ihnen die Wirkung der Morgensonne doch zu genügen, um sich für ein paar Minuten miteinander niederzulassen. Rings war es einsam, alle Höhen und der weite Himmel schienen den beiden allein zu gehören.

      »Sprachweisheiten«, wiederholte Oskar Wichmann.

      »Ja, aber den Sinn der menschlichen Worte zu erraten, ist oft schwer, am schwersten gegenüber dem großen Bruder.«

      »O du junge Philosophin! Kennst du nicht doch ein geheimnisvolles Mittel, irgendein Zauberwort, mit dem man Liebe töten kann, ehe man selbst daran stirbt?«

      Vera wurde dunkelrot. »Ich weiß«, sagte sie leise, »du hast es schwer.«

      »Was weißt du?« Wichmann war aufgestanden, um den Weg fortzusetzen. Er fühlte sich getroffen, und im Weiterschreiten glaubte er das Gespräch, das er begonnen hatte, eher fortführen zu können.

      »Ach Oskar!« Die Schwester griff nach seiner Hand, der Bruder faßte sie und so gingen sie miteinander weiter.

      »Hast du schon einmal einen Mann geliebt, Vera? Es ist noch nicht lange her, daß wir uns getrennt haben, und doch bist du anders geworden.«

      Vera schüttelte den Kopf, ohne aufzuschauen. Sie hob ein Steinchen vom Weg und warf es in die Luft.

      »Ich habe es ja nicht nötig«, sagte sie übermütig. »Ich werde arbeiten.«

      »Ich meine … könntest du dir vorstellen …?«

      »Wie das ist, wenn man sich verliebt? Oskar, ihr seid – also die meisten von euch sind Hampel oder Spießer oder Großtuer oder Hohlköpfe. Dafür bin ich noch nicht reif und werde es auch nie. Und sonst … na ja …«

      »Willst du mich einmal in der großen Stadt besuchen?«

      »Ja, gern. Aber ich komme doch nicht. Denn dann reist Olga mit« – das war die ältere Schwester –, »und ich kann dir die Bekannten aufzählen, bei denen ich Besuch machen und mit denen ich ins Theater gehen und mit deren junger Garde ich tanzen muß. Hast du dich schon einmal um den Vetter Cormann gekümmert? Nein? Na, siehst du. Ich will auch nichts von ihm wissen. Meine Verehrer interessieren mich alle nicht. Es könnte mich höchstens reizen …«

      »Was könnte dich reizen?«

      Wichmann pflückte einen Zweig und spielte damit. Der Weg führte am Rande der Anhöhen, fast eben, in vielen Windungen weiter, und man brauchte nicht auf ihn zu achten und sich nicht anzustrengen. Die Gedanken arbeiteten frei.

      »Was könnte dich also reizen?«

      »Gar nichts.«

      Oh, die Schwester verbarg etwas. Wichmann fühlte sich um so mehr zu ihr hingezogen.

      »Ich möchte am liebsten wieder fort aus der Kreuderstraße«, sagte er. Vera hatte seine Hand losgelassen.

      »Ist ›sie‹ so schön?« fragte sie. »Du mußt dich in acht nehmen, mit deinen Briefen, Oskar. Olga wird schon stutzig.« Wichmann fühlte, wie ihm das Blut bis zur Stirn stieg.

      »Ich habe nur sachlich erzählt. Aber liest sie meine Briefe an dich?«

      »Solange ich bei ihr wohne, kann ich das kaum verhindern. Es ist die alte Familiengewohnheit, du weißt es ja.«

      Wichmann war sehr verstimmt.

      Er verlangsamte den Schritt etwas, denn er hatte noch keine Lust, wieder abzusteigen, und auch nicht, sehr viel weiter zu gehen.

      »Ist ›sie‹ glücklich, Oskar?«

      »Glücklich?« Wichmann dachte nach. Er hatte sich diese Frage noch nie gestellt. Sie war die Frau des andern.

      »Sie lebt in einer Welt, in der sie fremd erscheint«, sagte er leise. »Aber darin liegt auch ein besonderer Reiz. Weißt du etwas von Bremer Patriziern und Potsdamer Offiziersadel?«

      »Von diesen unglücklichen Menschen, die nie sich selbst, sondern immer nur ihre vorgezeichnete Rolle spielen dürfen? Ein grausames Schicksal, kompensiert nur durch die Wollust des Hochmuts, und gerade die zehrt diese Menschen noch mehr aus und zieht ihnen bei lebendigem Leibe die Drähte durch die Glieder, an denen sie von anderen bewegt werden.«

      »Unglücklich nennst du solche Menschen? Sie haben nicht nur ein grausames Schicksal, sie sind selbst grausam. Durch ›ihre‹ Glieder lassen sich keine Drähte ziehen, ohne daß sie daran verblutet.«

      Vera schaute ins Unendliche des Himmels, ohne den Augen des Bruders mit ihrem Blick begegnen zu wollen. Es blieb wieder still zwischen den beiden Vertrauten der Kindheit.

      Vera hatte einen Baumstumpf gefunden und setzte sich noch einmal. Der Bruder kauerte sich auf eine starke Wurzel. Plötzlich überwältigte es ihn. Er legte den Kopf in den Schoß des Mädchens, und seine Augen wurden feucht.

      Sie schwieg und wartete.

      »Komm«, sagte er, als er wieder aufstand. Er faßte die Schwester unter den Arm, und sie gingen СКАЧАТЬ