Название: Zwei Freunde
Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783957840127
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»Jetzt bin ich neugierig …«
»Ha, des sind mir alle, Gnädigschte. Der Unterschied ischt nur, worauf sich unsere Neugier richtet. Für mich zum Beispiel wird es entscheidend sein, ob ich Sardelle krieg’ oder Schinken. Bei Schinken bin ich guter Laune und bei Sardelle schlechter, und mein Urteil über das Haus Grevenhagen wird nicht unwesentlich von dieser Frage abhängen.«
»Ich möchte mal wissen …«
»Na, was denn, liebes Fräulein Hüsch? Drei Ritter sind pflichtgemäß neugierig zu wissen, worauf eine so erfahrene Dame denn noch neugierig sein kann?«
»Ham Sie den Musa auf dem Ball gesehen?«
»Ha freilich. Ich hab’ immer drauf gewartet, daß der Dirigent ein Zeiche mit dem Taktstock geben würde und daß der Musa dann zu singe anfängt. ›Weh … wehe … Verderben … ‹ oder was sonscht ein Rachegeischt in der Oper singen kann. So ung’fähr.«
»Was der für Augen gemacht hat! Getanzt hat er nicht ein einziges Mal. Sie übrigens auch nicht, Herr Korts. Worauf läßt das schließen?«
»Auf männliche Überlegenheit, gnädiges Fräulein.«
»… oder auf Minderwertigkeitskomplexe und rasende Eifersucht …«
»Ach? Von dem Musa bilden Sie sich auch ein, daß er in Sie verliebt ist?«
»Höflich sind und bleiben Sie, Herr Korts, das muß Ihnen der Neid lassen. Auf ein bißchen mehr Anstand können Sie aber ruhig trainieren, wenn Sie jetzt zu Grevenhagen hinübergehen wollen.«
»Und Sie können ein bißchen auf Dame lernen.«
»Was soll das heißen?«
»Daß sich eine Dame nicht so hinsetzen würde, wie Sie hier sitzen.« Korts Augen hatten sich auf die Knie gerichtet, die von den Georgettezipfeln weit hinauf freigegeben waren.
»Sie sind wohl verrückt, mir Derartiges zu sagen? Was fällt Ihnen denn eigentlich ein? In Ihrer Wohnkultur daheim hat es vermutlich keine Couch gegeben, auf der sich eine Dame niederlassen könnte?«
Korts sprang auf. Sein Gesicht war puterrot bis zu den Schläfen. »Fräulein Hüsch …!«
Das Mädchen blies den Rauch der Zigarette herausfordernd in die Luft. Einen Augenblick war es, als ob Korts sich auf sie stürzen würde, dann aber wandte er sich um und trat zum Fenster. Seine Hände verschränkten sich auf dem Rücken.
»Das bereuen Sie noch …«, sagte er, ohne sich umzusehen.
Fräulein Hüsch schlug die Asche ab und lächelte vor sich hin.
»Heut probier’ ich mal, ob Grevenhagen wirklich für alle anderen Frauen unempfindlich ist. Jeder Typ wird jedem Mann schließlich auf die Dauer langweilig …«
Korts kam vom Fenster zurück. »Gut, daß Sie das selber einsehen. Eben ist übrigens Ihr Musa drüben durch die schmiedeeiserne Pforte gewandelt.«
»Ein interessanter Mensch, finden Sie nicht auch, Herr Wichmann? Wieso verkehrt er eigentlich bei Grevenhagen? Durch den Dienst oder durch den Klub?«
»Das weiß niemand. Aber Sie finden auch, daß er merkwürdig ist, nicht wahr? Daß sich Grevenhagen einen solchen Salonbolschewisten hält, das ist doch erstaunlich!«
»Ha, das beschte wird sein, wir beobachten das Tun und Treibe von diesem verdächtige Subjekt einmal aus persönlicher Nähe … Ihre Käsekringle waren wirklich net schlecht, Fräulein Hüsch, aber sie ware halt und sind nicht mehr, und so wolle wir auch einmal gucke, was es jetzt gegenüber zu speise gibt! Wichmann! Werfe Sie sich in ihre Galagarnitur. Mir gehe solang ’nüber in den geheimrätlichen Salon. Aber beeile Sie sich!«
»Ja, gehen wir. Aber Musa zieht bestimmt die Sardellenbrötchen vor. Sie brauchen keine Angst zu haben, Herr Casparius, daß Sie für den Schinken zu spät kommen.«
Die Gesellschaft entschwand in den Empiresalon. Wichmann zog sich um.
Als er fertig und dabei war, Fräulein Hüsch in den Mantel zu helfen, hörte er Casparius brummen: »Sardelle und Sumpfblüte …«
Wichmann warf einen raschen Blick auf Casparius, aber als der andere ihm offen begegnen wollte, machte er eine halbe Wendung, um seinen Hut von dem Ständer zu nehmen und mit scheinbarer Aufmerksamkeit daran herumzudrücken, bis er gut saß.
Nach dem kurzen Weg durch die Kälte legten die Kollegen in der warmen und hell erleuchteten Diele des Hauses Kreuderstraße 3 ab; leise Stimmen und Schritte waren aus den Empfangsräumen der vorderen Front zu hören, und ein Diener ging mit einer großen abgegessenen Platte vorbei.
Die Kollegenschaft fühlte sich von dem Schimmer der Erwartung berührt und auf eine höhere Stufe angenehmen Lebensgefühls gehoben.
Fräulein Hüschs gute Figur, der grüne Georgette, ihr kleiner passender Seidenturban, machten als Gesamteindruck keinem ihrer Kavaliere den Vorwurf, daß er mit einer unansehnlichen Dame gekommen sei. Korts folgte ihr in einer Haltung, als ob er in den Kampf ziehe.
Wichmann beobachtete noch, wie die beiden in den ersten Salon eintraten, als er selbst angesprochen wurde und ihnen nicht länger nachsehen konnte.
Schildhauf hatte ihn aufgespürt. »Kommen Sie mit mir, Wichmann, ich bringe Sie durch das Getümmel zur Hausfrau …«
Die beiden Herren gingen ohne Eile durch das Zimmer mit den dicken Teppichen, in dem das Büfett aufgestellt war. Hier verloren sie zwischen kommenden und gehenden Gästen den Kollegen Casparius, der Toasts mit Schinken entdeckt zu haben schien. Im Herrensalon flackerte wieder das offene Kaminfeuer, das Wichmann schon kannte. Rotes Leuchten und knackendes Knistern waren in der Dämmerung noch stimmungsvoller als am Morgen. In den Sesseln saßen ansehnliche Herren mit markanten Köpfen; sie betrachteten das Abglühen edler Zigarren und stießen Rauch aus, ehe sie ihre Bemerkungen mit entschiedener Stimme vorbrachten. Schildhauf und Wichmann grüßten Herrn von Linck, der sichtlich erfreut dankte.
Der Regierungsrat leitete den Assessor weiter zu dem Musiksalon, dessen blankes Parkett nicht viel mehr als den schwarzglänzenden Flügel und einige zierliche Stühle trug. In der Ecke stand eine große schlanke Vase mit Orchideenzweigen, deren jeder das Monatsgehalt eines Regierungsassessors gekostet haben mochte. In unscheinbaren Farben und seltsamen Formen lebten diese Blüten, deren Seltenheit das menschliche Herz reizte.
Damen und einige jüngere Herren standen in kleinen Gruppen umher. Seide und kostbares Tuch flossen um gepflegte Gestalten. Die Kerzenbeleuchtung schmeichelte den Farben und Formen durch ihre milde Helle und belebte sie durch den Wechsel von Schatten und Schein. Das gedämpfte Licht erlaubte es, durch die dunkel scheinenden Fenster noch hinauszusehen zu Bäumen und mondflimmerndem Schnee.
Als Wichmann bei der Frau des Hauses die Grußform des Handkusses leistete, wagten seine Lippen nicht, ihre Hand dabei zu berühren. Er sah das abwesend-höfliche Lächeln ihrer Lippen, das sie ihm fremd machte, und hörte ihre dunkle Stimme, mit der sie zu anderen wenige gleichgültige Worte sprach.
Der Flügel wurde geöffnet. Eine Künstlerin entlockte ihm die tänzerische СКАЧАТЬ