FLUCHSPUR. Gordon Kies
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Название: FLUCHSPUR

Автор: Gordon Kies

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

Серия:

isbn: 9783957448828

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СКАЧАТЬ Stirn in Falten und hielt die ganze Zeit Ludwigs Hände umschlossen. Als Ludwig seinen Monolog beendet hatte, pustete sie aus und schüttelte langsam den Kopf.

      - - Unglaublich. Sie armer Mensch.

      Das wollte man grundsätzlich nicht hören, schon gar nicht von einer Wahrsagerin.

      Bevor er Renate sein Vorhaben erklärte, besuchte er seinen Großvater. Er kniete nieder und legte seine rechte Hand auf die Inschrift auf der in der Erde eingelassenen Steinplatte. Ludwig entfernte etwas Moos vom Rand der Steinplatte und sah vor seinem geistigen Auge seinen Großvater, wie er in seinem Rollstuhl auf der Veranda vor Ludwigs Elternhaus saß und den vorbeifahrenden Autos zuwinkte. Für seinen Großvater hatte Ludwig sein Zimmer geräumt und war auf den ausgebauten Dachstuhl gezogen. Im Sommer war es zu heiß und im Winter zu kalt. Aufrechtes Stehen war sogar für Ludwig ein Ding der Unmöglichkeit. Großvater sprach wenig und wenn, dann von der verfluchten Hexe. Er war eine Belastung für die Familie. Die Nerven lagen blank. Großvater brauchte die Fürsorge eines Kleinkindes. Er vergaß auf die Toilette zu gehen, sowohl am Tag als auch in der Nacht und auch die Tischmanieren erinnerten sehr an die eines Babys. Manchmal erzählte er Ludwig von Phantomschmerzen in seinen gelähmten Beinen. Ludwig konnte es nicht glauben, erst Jahre später, als ihn der fahrlässige Umgang mit einem scharfen Zimmermannshobel, das erste Glied des Ringfingers der linken Hand kostete, erfuhr er, wie real ein Phantomschmerz sein konnte und wie hemmungslos wirtschaftlich seine Vorgesetzten in der Fabrik auf die Dauer seiner unproduktiven Krankenzeit reagierten. Im Prinzip mochte Ludwig seinen Großvater, er mochte nur den Gedanken an einen möglichen Fluch, den er Ludwigs Familie beschert hatte, nicht.

      Ludwig stockte. Was würde er dort tun? Das hatte ihm Madame Laluna nicht gesagt, nur, dass er den Ursprung des Fluches finden musste. Doch Ludwig kannte weder den Ort und schon gar nicht den Namen der Frau. Auch sein Großvater kannte weder den Ort noch den Namen der Frau, sonst hätte Ludwig aus den unzähligen Wiederholungen der Geschichte davon erfahren. Er wusste nur von einer Kirche auf einem Hügel. Zudem stand immer noch die Möglichkeit im Raum, dass es sich bei der Geschichte um die blühende Fantasie seines Großvaters handelte und er damit nur eine unglaubliche Pechsträhne rechtfertigte. In Anbetracht der Geschehnisse, die sich durch drei Generationen zogen, war diese Theorie jedoch unwahrscheinlich.

      Ludwig wusste, dass es nicht weit vor den Toren von Stalingrad, das jetzt Wolgograd war, lag. Es musste einfach irgendwelche Hinweise auf dieses Massaker von 1942 und den darin abgeschlachteten Bewohnern geben. Und wenn nicht, so hatte er wenigstens endlich versucht, den Fluch aktiv zu bekämpfen, anstatt sich ihm zu ergeben.

      - Jedenfalls werde ich versuchen, das Dorf zu finden.- Grüß mir Großmutter, auch wenn ich sie nie kennengelernt habe.

      Bevor Großvater immer rapider abgebaut hatte, erzählte er oft von Großmutter und wie sie die harten Nachkriegsjahre zusammen überstanden hatten. Als er 1947 aus dem Gefangenenlager zurück nach Dortmund kam, warteten viele der Trümmerfrauen an den Bahnhöfen, um ihre Männer in die Arme zu schließen oder sich einfach neue Männer, die für sie sorgen würden, zu suchen. Großmutter suchte sich Großvater aus. Bereits ein Jahr später erblickte Ludwigs Vater Hermann das Licht einer trostlosen Welt. Großvater erzählte oft davon, dass sie tagelang nichts zu essen hatten, außer Kartoffeln und manchmal nur Kartoffelschalen. Das einzige Spielzeug, das Vater in den ersten Jahren besaß, war eine Rassel, mit der er Großvater in den Wahnsinn zu treiben drohte. Das schönste Geschenk im Leben von Ludwigs Vater war ein Lederfußball, den er zu seinem achten Geburtstag bekam und der ihm nur eine Woche später von ein paar älteren Jungen geklaut wurde.

      - Du wirst was?- Nach Wolgograd fahren.- Wo zur Hölle ist Wolgograd?- In Russland.- In Russland? Was willst du in Russland?- Du weißt doch, der Fluch …

      Renate schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

      - Du und dein Fluch! Hör mir auf, es gibt keinen Fluch! Du bist einfach ein Versager!- Renate, bitte …- Du kannst ja nicht mal Kinder zeugen!- Das ist unfair, ich …- Verlierst ständig deinen Job und immer mehr Haare!- Renate …- Nichts Renate! Entweder du hast morgen einen Job oder ich bin weg!

      Den Abend verbrachte Ludwig allein auf der Couch. Er schaute eine Reportage über erneuerbare Energien. Windenergie. Sonnenenergie. Die Kraft des Wassers. Für Ludwigs Geschmack sollten die Menschen weniger Autos kaufen, den Flug- und Schiffsverkehr einstellen und nicht jede Sekunde Wald in der Größe eines Fußballplatzes abholzen. Wenn dann noch die Kühe weniger furzen würden, wäre die Welt eventuell noch zu retten. Was für ein Blödsinn. Es würde geschehen, was geschehen musste.

      Großvater sah Großmutter. Es war nicht Liebe auf den ersten Blick, aber beide wussten instinktiv, dass sie sich brauchten. Sie einen Mann, er eine Frau. Die Nachkriegsjahre waren hart und man bewältigte sie lieber zusammen, als allein. Ihre Wohnung war kalt, feucht und lag im Keller eines zerbombten Hauses. Nachdem er, Gott und Großmutter sei Dank, die Schwindsucht nach langem Kampf besiegt hatte, fand Großvater Arbeit als Maurer. Großmutter verbrachte ihre Tage damit, vor den Lebensmittelgeschäften in der Schlange zu warten. Beide brauchten dringend etwas Fleisch auf die Knochen, aber Fleisch war praktisch nicht zu bekommen. Zu dieser Zeit war es ganz normal, dass herumstreunende Katzen und Hunde eingefangen wurden, um Eintöpfen etwas Fleisch hinzuzufügen. Deutschland lag in Trümmern. Die Sieger des Krieges stritten um die Stücke vom Kuchen und Großvater mit einem Kollegen um einen gusseisernen Ofen, den er unter einem Berg Backsteinen gefunden hatte. Großvater verlor nicht nur den Streit sondern auch einen Schneidezahn.

      Im Winter bekam Großvater eine Lungenentzündung und wurde in ein Krankenhaus der Alliierten gebracht. Er protestierte und wollte sich unter keinen Umständen in die Hände des Feindes begeben. Großmutter setzte sich durch und rettete ihm damit das Leben. Ein oder zwei Tage später wäre er höchstwahrscheinlich gestorben, wie ihm der britische Arzt mitteilte. Großvater bezweifelte das und erzählte dem Engländer etwas von deutschen Eichen und Kruppstahl. Großmutter las ihm die Leviten. Der Aufenthaltbeim Feind kostete Großvater den Job und Großmutter musste Vorwürfe und Beschimpfungen über sich ergehen lassen. Schließlich bekam Großvater eine Anstellung als Anstreicher, die er aufgrund einer Farballergie umgehend wieder aufgeben musste. Großmutter nahm die Stelle in einer Textilfabrik an und nun wartete Großvater in den Schlangen vor den Lebensmittelgeschäften. Beim Kartoffelschälen schnitt Großvater sich in den Daumen und weil er es nicht behandeln lassen wollte, entzündete sich die Wunde. Wieder musste Großmutter dafür sorgen, dass er sich erneut in die Hände des Feindes begab. Kurz darauf blieb Großmutters Periode aus und Großvater ging Untertage. Die Zechen brauchten Arbeiter. Er hatte Erfahrung mit der Spitzhacke und seine Lunge war Staub gewöhnt. Eine Woche vor der Geburt seines Sohnes brach ein herunterstürzender Stützbalken Großvaters linken Oberarmknochen als sei er ein Streichholz. Seiner Funktion beraubt sorgte der Stützbalken dafür, dass der Schacht einstürzte und drei Männer inklusive Großvater in dem Stollen festsaßen. In den folgenden zwei Tagen war der notdürftig geschiente Arm Großvaters geringste Sorge. Durst, Hitze, Dunkelheit, schwindender Sauerstoff und Panik relativierten die Schmerzen auf ein zu ertragendes Maß. Hätten sie sich zum Zeitpunkt des Einsturzes in einem tieferliegenden Stollen befunden, hätte Großvater wahrscheinlich niemals die Frucht seiner Lenden erblickt. So drückte der Fluch nochmal ein Auge zu. Großvater biss gerade auf den Panzer irgendeines Käfers und war in Gedanken bei seiner hochschwangeren Frau, die irgendwo da oben, wahnsinnig vor Sorge auf die Wehen wartete, als er ein Geräusch hörte. Seine beiden Leidensgenossen versuchten Feuchtigkeit von den Wänden zu lecken und hielten inne, als auch sie die Geräusche jenseits des Geröllwalls, den sie in den letzten Tagen vergebens versucht hatten aus dem Weg zu räumen, hörten. Kurz darauf, es kam den Männern wie eine Ewigkeit vor, drang der Lichtstrahl einer Grubenlampe durch einen Spalt. Großvater dankte Gott. Immer und immer wieder. Als der Lichtstrahl ihn erfasste und blendete, wimmerte er wie ein in der Dunkelheit verängstigtes Kind.

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