Название: FLUCHSPUR
Автор: Gordon Kies
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783957448828
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Der Schrei ließ Ludwig zusammenzucken.
- Was ist denn los, verdammt nochmal!- Die Tampons!- Was ist damit?- Die sind Super!
Ludwig verstand nicht.
- Und warum schreist du dann so?- Ich habe Normal! Normal!
Ludwig zweifelte für einen kurzen Moment am geistigen Gesundheitszustand seiner Frau.
- Was redest du da?- Du hältst mich für eine fette, ausgeleierte Kuh!
Ludwig schüttelte verständnislos den Kopf.
- Ich …- Arsch!
Renate knallte den Dosenöffner auf die Arbeitsplatte und schoss an Ludwig vorbei. Sie knallte die Tür und polterte die Treppe nach oben. Wieder knallte eine Tür und dann hörte Ludwig durch die Zimmerdecke, wie sich seine Frau auf das Bett schmiss.
- Was war das denn jetzt?
Er erhielt keine Antwort. Bis auf die paar Sekunden, in denen seine Frau an den Kühlschrank stürmte und ihn durch die Durchreiche beschimpfte, bekam er sie für den Rest des Abends nicht mehr zu sehen. Im Fernsehen gab es eine Reportage über das Vomitorium im antiken Rom. Während er das zähe Fleisch in mundgerechte Stücke schnitt und ihm die Erbsen und Möhren von der Gabel fielen, sah er zu, wie Schauspieler in Gewändern und Sandalen künstliches Erbrochenes von sich gaben, um danach ihr opulentes Mahl fortzusetzen. Ludwig schweifte ab und dachte an das dürre Mädchen heute Morgen im Bus. Die Träger ihres Tops hatten praktisch direkt auf den Schulterknochen gelegen. Das Gesicht hatte Ludwig an einen Schrumpfkopf erinnert. Das Mädchen hatte ihn angelächelt und ihm Platz gemacht, als er aussteigen musste. Ludwig wusste nicht viel über Bulimie, aber es musste sich um eine Krankheit handeln und nicht um einen Weg sich attraktiver zu machen. Allerdings hätte seiner Frau ein wenig Bulimie ganz gut getan.
- … würde dir ganz gut tun, blöde Kuh.
Sein Blick wanderte von der Zimmerdecke zurück zum Fernseher.
7
Es gibt kaum einen traurigeren Anblick, als Soldaten, die geschlagen aus einem Krieg zurückkehren.
Großvater presste seine Stirn gegen die Scheibe des Zuges. Ein Wunder. Er hatte überlebt. Er sah die vorbeiziehende Landschaft und hustete dabei Blut in sein Leinentuch. Das Rote Kreuz hatte es tatsächlich geschafft, die Gefangenen, die zu krank für die Arbeit in den Lagern waren, aus Russland rauszuholen. Großvater litt, wie so viele Andere auch, an Schwindsucht, hustete und spuckte Blut. Seit Wochen. Um die Epidemie in den Lagern unter Kontrolle zu bekommen und nicht noch mehr Arbeitskräfte zu verlieren, wurden die erkrankten Häftlinge ausgeliefert. Warum man sie nicht einfach exekutierte, denn es wurde ja schließlich auch einfach zum Spaß exekutiert, blieb ein Rätsel. Schnaufend kam der Zug zum Stehen. Ein kleiner Bahnhof irgendwo in Polen. Eine weitere Ladung ausgemergelter Kriegsgefangener wurde wie Vieh in die Waggons verfrachtet. Beim Anblick der grünen Blätter an den Bäumen kamen ihm die Tränen. In den letzten zwei Jahren hatte er oft an den Frühling gedacht, an eine Zeit in der er jung war, unbeschwert und glücklich. In seinen Gedanken war er frei und rannte über Wiesen, pflückte Äpfel und spielte Fußball mit seinen Freunden. Er dachte an die Abende vor dem Kaminfeuer, mit einem Buch in der Hand. Sein Vater Pfeife rauchend im Sessel und seine Mutter die Melodie des Transistorradios summend. Es waren schöne Erinnerungen, auch wenn das, was Erinnerung ist, unter die Obhut der narrativen Transformation gerät. Dennoch, seine Gedanken an früher halfen ihm, an eine Realität außerhalb des Zaunes zu glauben. Dort im Lager gab es nichts weiter als Leid und Tod. Ein Wunder. Er hatte überlebt. Ein Wunder. Er hatte überlebt. Überlebt! Ruckelnd setzte sich der Zug in Bewegung. Auf dem Bahnsteig stand ein kleines Mädchen und ließ eine Fahrradfelge um ihre Taille rotieren. Sie lächelte und winkte Großvater zu. Großvater lächelte und winkte zurück.
Die Fahrt wollte nicht enden. Röchelnden und stinkende Männer, manche an der Schwelle des Todes, klammerten sich mit jedem zurückgelegtem Kilometer an die aufkeimende Hoffnung. Großvater fiel es schwer sich vorzustellen, dass er den ganzen Weg, wenn auch in entgegengesetzte Richtung, mal zu Fuß gegangen war. Es schien ihm so lange her, so unwirklich, so falsch. Er lauschte den Gesprächen der Anderen, ihren Plänen, Sehnsüchten und Ängsten. Die Stimmung war alles andere als ausgelassen oder euphorisch, viel mehr erfüllte eine Melancholie, eine Unsicherheit die Wagons. Keiner konnte es so richtig glauben, der Hölle entkommen zu sein. Jeder rechnete unterschwellig mit einer erneuten Inhaftierung, aber keiner sprach es aus und als dann schließlich die Deutsche Grenze passiert wurde, brach tatsächlich Jubel aus.
8
Ludwig schreckte hoch. Sein Herz raste. In seinem Kopf hämmerte ein blind wütender Schmerz. Sein Blick wanderte orientierungslos umher. Renate schnarchte. Die Nachwirkungen des Alptraums ließen seinen schweißnassen Körper erzittern. Er holte tief Luft, atmete langsam aus und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Er hatte einen seltsamen Geschmack im Mund. Sein Kopfkissen war voller Blut. Er stieg aus dem Bett und taumelte ins Bad. Sein Spiegelbild sah mitgenommen aus. In seinem Traum war er über Felder gestolpert. Die schweren Stiefel versanken im Schlamm und von hinten näherte sich die Gefahr. Eine gesichtslose Gefahr, mehr eine Wolke, dunkel und bedrohlich. Die Granateinschläge, die um ihn herum Dreck in die Luft schleuderten, machten ihm keine Angst, ebenso wenig die Panzer, die ein erbarmungsloses Tontaubenschießen veranstalteten. Sein Feind waren nicht die schreienden Soldaten in seinem Rücken, die ihre Bajonette drohend in seine Richtung reckten und im Gegensatz zu Ludwig zu fliegen schienen. Nein, es war die Wolke die sich in seinem Rücken näherte und seinen Körper mit Panik erfüllte. Kameraden stürzten zu Boden. Stahlhelme rotierten durch die Luft. Schneeregen peitsche Ludwig ins Gesicht. Seine rechte Wade zerfetzte und er wurde von den Beinen gerissen. Seine Finger gruben sich tief in den Schlamm. Er versuchte vorwärts zu kommen, zog sich über den Boden, wollte nur weg, weg von der Wolke, die sich zu einer Frau manifestierte und ihn schon fast erreicht hatte, ihre knochigen Finger nach ihm ausstreckte. Dann war er aufgewacht. Ludwig spuckte das rötlich trübe Wasser in das Becken und griff nach dem Handtuch. Sein Gehirn schlug gegen die Innenseite der Schädeldecke. Der Schmerz war entsetzlich. Es fühlte sich an, als hätte er einen Fötus im Schädel, dessen Geburt unmittelbar bevorstand. Er hielt die Luft an und presste die Lippen zusammen, bis sie farb- und gefühllos waren. Der Schmerz blieb. Seine Hände schlossen sich um seinen Kopf und hätte er gekonnt, er hätte ihn abgeschraubt und durch einen Neuen ersetzt. Er würde sich niemals mit dieser gottverdammten Migräne arrangieren. Er öffnete das Schränkchen und nahm die Kopfschmerztabletten heraus.
- Ludwig?- Ja?- Bring mir ein Glas Wasser!- Ja.
Sie nahm einen großen Schluck und drehte sich auf die Seite. Ludwig betrachtete ihren Rücken, setzte sich auf die Bettkante, zog die frischen Sachen, die er am Abend hingelegt hatte, an und ging hinunter in die Küche. Langsam wirkten die Tabletten. Er packte eine Banane und ein Marmeladentoast in die Brotdose, stürzte seinen Kaffee herunter und hastete zur Tür hinaus.
In der Mittagspause aß er Erbsensuppe mit Bockwurst und befriedigte sich dann emotionslos auf dem Klo. Jemand hatte mit einem schwarzen Stift die Worte Heute wird wie morgen sein an die Wand geschrieben. Ludwig hätte beinahe gegrinst. Er zog den Reißverschluss hoch und ging zurück an die Arbeit.
Am Ende des Tages war er arbeitslos. Seine heutige Bilanz: fünf Abschlüsse. Der Boss hatte gelacht.
- Hier!
Seine Frau hielt ihm eine Tamponpackung unter die Nase, kaum dass СКАЧАТЬ