FLUCHSPUR. Gordon Kies
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Название: FLUCHSPUR

Автор: Gordon Kies

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

Серия:

isbn: 9783957448828

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СКАЧАТЬ Zusammengeknüllt. Am falschen Ort. In der Hand des Toten.

      Er hatte wieder einen Albtraum gehabt. Ludwig schlüpfte in seine Pantoffeln, ging ins Bad und setzte sich auf die Toilette. Bei jedem Wasserlassen erwartete er den unerträglichen Schmerz, den der Abgang des letzten verbliebenen Nierensteins verursachen würde. Ludwig hatte schon viermal Rasierklingen gepinkelt. Ein erleichtertes Seufzen drang aus seinem Mund. Der Spiegel zeigte einen Mann, dem das Leben zusetzte. Zwischen den buschigen Augenbrauen, über einer schmalen, großen Nase die entfernt an den Schnabel eines Raubvogels erinnerte, verliefen zwei tiefe Falten und zeugten von Skepsis. Die scheuen, braunen Augen blickten müde und kritisch. Seine Ohren waren groß, die Ohrläppchen fleischig. Sein Teint ließ sich am besten als leberwurstfarben bezeichnen. Ungesund. Einige Muttermale. Vereinzelte Aknenarben. Schmale, nach Feuchtigkeit lechzende Lippen schmiegten sich an kleine Zähne. Das Kinn markant und ausufernd. Die Wangen eingefallen wie bei einem KZ- Häftling. Der Adamsapfel bohrte sich durch die raue, von Rasurbrand gereizte Haut. Die straßenköterbraunen, raspelkurzen Haare, dünn, brüchig und mit zu vielen Wirbeln, ließen keine andere Frisur zu. Der Haaransatz befand sich auf dem Rückzug. Renate hatte ihm in einer ihrer Illustrierten das Foto eines Mannes gezeigt, der ihm ähnelte. Ludwig erkannte die Ähnlichkeit nicht, ebenso wenig wie er den Namen Vincent Gallo kannte. Im Prinzip war Ludwig nicht hässlich, aber auch nicht schön. Er war zu dünn und es wirkte, als würde eine unsichtbare Last auf seinen Schultern ruhen. Renate sagte ihm andauernd, er solle gerade gehen. Körperspannung war ein Fremdwort für Ludwig. Im Schlafzimmer dröhnte das Schnarchen seiner Frau, die keinen Grund hatte aufzustehen. Ludwig stieg in seine Buntfaltenhose, streifte weißes Unterhemd und blaues Oberhemd über und setzte sich auf die Bettkante, um seine schwarzen Socken anzuziehen.

      In der Küche schnitt er die Kanten des Toasts ab und legte sie George, dem Albinokaninchen seiner Frau, in den Käfig. Er strich die Marmelade seiner Schwiegermutter auf das Toast und legte es in die Brotdose neben die Banane. Er schaute auf seine Armbanduhr und leerte eilig seinen Becher Kaffee. Der Bus würde nicht warten und einen Führerschein hatte er nicht. Er war nicht mal in die Nähe einer Führerscheinprüfung gekommen. Sein Fahrlehrer hatte ihm nahegelegt, darauf zu verzichten, nicht nur aufgrund der Tatsache, dass Ludwig mehrmals die Strapazierfähigkeit der Stoßstangen getestet hatte, sondern auch die Strapazierfähigkeit des Nervenkostüms seines Fahrlehrers. Als ein Fahrlehrer einer anderen Fahrschule ihm den gleichen Rat gab, akzeptierte Ludwig den fachmännischen Ratschlag und kaufte sich eine Monatskarte für den Bus.

      Mit dem Wort Massentierhaltung ließe sich das Großraumbüro im sechsten Stock eines Hochhauses am treffendsten beschreiben. Jedem Angestellten war ein Arbeitsplatz zugewiesen, den drei Trennwände auf eine Fläche von vier Quadratmetern von siebenunddreißig identischen Arbeitsplätzen abgrenzten. Tageslicht war irgendwo am Ende des Mittelganges zu erahnen und die Luft roch nach künstlichem Nadelwaldaroma, welches einem das Gefühl von Frischluft suggerieren sollte. Den Gang entlang schreitend nickte Ludwig seinen Kollegen in ihren Boxen zu und setzte sich dann auf seinen Stuhl, auf dem er die nächsten neun Stunden verbringen würde. Lediglich die halbstündige Mittagspause würde seinem Hintern etwas Erleichterung bescheren. Ludwig schaltete den Computer an und wartete darauf, dass der Bildschirm aufleuchtete. Er setzte sich das Headset auf den Kopf und legte die Hand auf den Telefonhörer. Er holte tief Luft und begann mit der Arbeit.

      - … kann ich ihnen versichern … selbstverständlich … natürlich … beste Frau, was für eine Frage … empfehle ich Ratenzahlung … ganz bequem … wir liefern kostenlos … dann darf ich ihnen gratulieren, sie sind nun stolze Besitzerin …

      Ludwig beendete das Gespräch. Der kleine Zeiger der Uhr deutete auf die Elf. Ludwigs bisherige Bilanz: zwei Abschlüsse. Es gab Kollegen, die effektiver waren und es gab Kollegen, die weniger effektiv waren. Ludwig kam besonders bei älteren Damen gut an. Manchmal funkten ihm Ehemänner kurz vor Vertragsabschluss dazwischen, aber meistens wusste er bereits nach wenigen Minuten, ob das Gespräch erfolgreich enden würde. Irgendwo hörte er die Stimme vom Boss, der mehr Abschlüsse forderte. In Anbetracht der momentanen klimatischen Verhältnisse hatte der Boss Eurozeichen in den Augen. Er erhoffte sich einen regelrechten Verkaufsboom. Wenn nicht jetzt, wann dann? Für ihn waren portable Klimaanlagen der heißeste Shit, wie er es generationsgemäß ausdrückte. Mit seinen achtunddreißig Jahren war Ludwig einer der älteren Angestellten. Für die meisten Kollegen war der Job hier eine vorübergehende Etappe auf ihrem Weg nach oben oder einfach eine Möglichkeit, ihr Studium zu finanzieren. Für Ludwig war es ein weiterer Scheißjob, den er nur bekommen hatte, weil es heiß war.

      - Fuhrman?

      Der Boss stand da und präsentierte seine weißen Zähne. Das Licht der Deckenlampen glänzte in seinen zurückgegelten Haaren. Er erinnerte Ludwig an einen jungen braungebrannten Mafiosi aus einem Scorsese- Film. Der obere Knopf seines Designerhemdes stand offen und hinter dem doppelten Windsorknoten drangen dunkle Brusthaare ins Freie.

      - Ja.- Wie viele Abschlüsse?- Zwei.

      Der Boss schaute auf seine protzige Armbanduhr. Seine rechte Augenbraue hob sich arrogant und sein Zeigefinger tippte gegen seine Nasenspitze.

      - Das nenne ich unproduktives Arbeiten, Fuhrman.- Es ist nicht so leicht …- Nicht leicht? Fuhrman, wir haben über dreißig Grad da draußen!

      Er deutete mit der Hand auf ein imaginäres Draußen, das geschützt hinter dicken Mauern Rekordumsätze versprach.

      - Ja, aber …- Die Leute schwitzen, Fuhrman! Sie schwitzen wie die Schweine, also erzählen Sie mir nicht, es sei nicht leicht unser Produkt an den Mann zu bringen! Verkaufen sie!

      Die Lautstärke seiner Stimme normalisierte sich wieder, als er sich abwandte und ergänzend hinzufügte …

      - Wenn sie heute Abend nicht mindestens acht Abschlüsse haben, sind sie raus, Fuhrman. Denken Sie nicht, Sie wären nicht zu ersetzen. Also. Acht. Abschlüsse. Am. Abend.

      Ludwig irrte eine Weile im Internet umher. Die interessanten Seiten waren geblockt. Betreten verboten! Er aß die Banane und das Marmeladentoast und ging dann zu dem Kaffeeautomaten am Ende des Ganges. Heute war eines der vier von zehn Malen, an dem der Automat seine Macht demonstrierte und sich weigerte, das zu tun, wofür er bezahlt wurde. Ludwig steckte einen weiteren Euro in den Schlitz. Zurück in seiner Box schloss er die diversen Werbe- Popups auf dem Bildschirm und nippte dabei an dem wässrigen Kaffee. Beim letzten Popup zögerte er. Es war Werbung für eine Wahrsagerin. Madame Laluna garantierte Zufriedenheit und Diskretion und das zu einem Preis, dessen Höhe der Kunde selbst festlegen konnte. Madame Lalunas schwarze Lockenpracht wurde umrahmt von einem glänzenden Lichtschein und ihr Blick war der einer mysteriösen Zigeunerin. Ludwig fühlte sich durchaus angesprochen. Er verspürte ein Ziehen im Darm und machte sich auf den Weg zu den Toiletten.

      In der Mittagspause stand er in der Schlange vor der Essensausgabe. Die Kantine war groß und doch zu klein für die unerwartete Flut an neuen Arbeitskräften. Ludwig bestellte Rouladen mit Spätzle. Er wartete einige Minuten mit dem Tablett in der Hand und ergatterte einen freien Platz. Sein Gegenüber am Tisch war ein junger Chinese oder Japaner oder Koreaner, Ludwig vermochte das nicht zu beurteilen. Jedenfalls hatte er Schlitzaugen.

      - Schmeckt es?

      Ludwigs Großmutter hatte ihm immer eingebläut, dass es wichtig sei, Konversation zu betreiben. Sie war der Meinung, nur so gelange man an Informationen. Das World Wide Web erlangte erst nach ihrem Tod Berühmtheit. Sie starb zu einer Zeit, in der man noch Briefmarken anleckte. Die letzten Monate lag sie in einem Krankenbett und wurde durch einen Schlauch ernährt. Sie hatte die Seite gewechselt, war nun ihrerseits Patientin und ihre ehemaligen Kolleginnen taten wirklich ihr Bestes, um ihr die letzten Monate so angenehm wie möglich zu gestalten. Ludwig besuchte sie so oft er konnte. СКАЧАТЬ