Название: Auf der anderen Seite der Schwelle
Автор: Raimund August
Издательство: Автор
Жанр: Короткие любовные романы
isbn: 9783957448019
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Aus immerwährendem Warten bestand das eigentliche Leben eines Gefangenen im Zellenbau und bezog sich ansonsten immer nur auf Ziele in kürzesten Distanzen, wenn das wechselseitige Erzählen und Reden meist eher als später wiederholende Elemente aufzuweisen begann. Dann domininierten eher entsprechende Ziele die Zeit des Wartens wie: Freistunde, Frühstück, Mittagessen und Einschluss … Letzteres hieß Nachtruhe auch im Sommer um 20 Uhr.
Das Fenster? Es handelte sich um kein wirkliches Fenster, sondern nur eine mit Glasbauziegeln zugemauerte Fensteröffnung, die im letzten Drittel in einer Fensterklappe endete, die eigentlich nur zum Lüften gedacht war, durch die man aber, allerdings nur im vierten Stock, weit hinaus blicken konnte. In den unteren Stationen erwiesen sich diese Fenster wirklich nur als Lüftungsklappen. Vom vierten Stock aber konnte man nicht nur weit über die Mauer hinwegsehen, sondern auch beobachten was unten im Hof vor sich ging, wenn etwa neu ausstaffierte Gefangene neben dem Eingangstor ein paar Stufen hoch zur Sprecherlaubnis geführt wurden; oder wenn Neuzugänge einzeln oder in Gruppen wie ein scheuer Hühnerhaufen zusammengedrängt den Hof überquerten .
Die da im Haufen kämen, seien fast immer Karnickeldiebe und meist Kriminelle“, war den beiden gleich zu Anfang erklärt worden. Karnickeldiebe hörten sie, seien solche mit nicht mehr als zwei oder drei Jahren. Manche in Knastklamotten, kämen auch aus anderen Anstalten. Des Weiteren konnte man von dort oben, hinter einer internen Mauer die einen weiteren Hof abschloss, gefangene Frauen bei der Freistunde sehen. „Die laufen dort in genau so beschissenen Klamotten rum wie wir“, stellte Totila fest.
„Na dachtest du, die laufen dort in hübschen Sommerkleidern spazieren?“, fragte mit spöttischem Unterton der Ingenieur „Quatsch!“, entgegnete Totila. „Ich denke eher, dass vor allem Männer Frauen nicht so als Vogelscheuchen herumlaufen sehen wollen.“
„Es gibt Länder, da laufen fast alle Frauen voll verhängt in der Öffentlichkeit herum“, widersprach der Ingenieur.
„Ja im Orient, aber das ist nicht unsere Kultur. Sollen sie da rumlaufen wie sie wollen. Aber das da unten“, und er wies mit der Hand zum Fenster, „also das finde ich schlimm.“
Der Ingenieur lachte. „Ich sehe schon, du bist ein Nachkomme edler Ritter und Minnesänger. Aber wer weiß denn schon“, fragte er, „was die, die da unten rumlaufen, so alles ausgefressen haben?“
„Das kann man genau so gut auch von uns sagen“, mischte Sebastian sich ein.
„Ja warum nicht?“, stimmte der Ingenieur zu.
„Ich sage, wir hier“, erklärte Sebastian, „wir alle haben was getan. Wir sind keine Opfer. Jeder wusste was er tat, also davon gehe ich aus“, sagte er an die beiden Älteren gewandt.
Die wiegten die Köpfe, nickten leicht und lächelten ein bisschen. Jeder hatte natürlich in vollem Bewusstsein gehandelt. Und so manches war auch bei vielen Verhören ungesagt geblieben. Widerständler in DDR-Zuchthäusern blieben schließlich eine stets gefährdete Spezies.
„Du sagst“, wandte Totila sich an seinen Freund Sebastian, „jeder wusste was er tat. Ich würde sagen, jeder tat etwas, weil er wusste dass er’s tun musste.“
Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Na logisch“, sagte er, „das hatte ich vorausgesetzt …“
„So logisch ist das nicht, wenn du sagst wir alle hätten was getan und säßen deshalb hier“, gab Totila zu bedenken.
„Na ja, das war wohl dumm ausgedrückt. Ich meinte, wir sind keine Opfer, sondern ganz bewusst Täter. Und nicht nur wir paar Männeken hier. Es gibt sie überall und immer wieder und sicher auch mehr als man denkt, die eben nicht nur beim Alkohol in der Kneipe auf den Staat und den Spitzbart schimpfen. Es gibt sie auch hier auf Station wie zum Beispiel die zu lebenslänglich verurteilten Artikel 6er. Ich hab da mit diesen roten Streifen einen ganz jungen Kerl gesehen.
Der soll erst neunzehn sein, hab ich gehört. Von Beruf Drogist und seit einem Jahr hier.“
Der Ingenieur nickte. „Stimmt“, sagte er, „das ist Arno Drefke, der soll für einen westlichen Nachrichtendienst gearbeitet haben.“
„Na bitte, wie ichs schon sagte! Ein Jahr von lebenslänglich“, sinnierte Sebastian laut vor sich hin, saß auf einem Schemel und blickte von dort durch die Zelle und zur vergitterten Fensterklappe hinaus in einen gleichmäßig grauen Himmel.
Und knapp ein halbes Jahr von zehn Jahren … Aber bei lebenslänglich sieht der erst mal kein Ende. Welch ein Unterschied …“ Immer wieder und sehr oft kam ihm auch der Todeskandidat in der Zelle schräg gegenüber in den Sinn. Ein Typ wie die um Stauffenberg, sagte er sich. Wie ist der bloß aufgeflogen? Keiner wusste es.
So manche Freistunde mit diesen Märschen rund ums Rasenkarree, von den Wachposten auch gern Hofgang oder Rundgang genannt, war bereits wegen zu starken Regens ausgefallen. Bei Nieselregen allerdings wurden diese Rundmärsche, wenn auch verkürzt, durchgeführt. Sebastian betrachtete dann den weiten grauen Himmel, mal eben nicht durch die schmale Fensterklappe und dazu der feine Regen der gleichmäßig auf alles fiel, dort draußen und hier drinnen, sagte er sich und hielt das Gesicht in das staubfeine Naß, das aus dem hohen Himmel fiel, bis er von einem Posten angeblafft wurde: „Gucken sie gefälligst wohin Sie latschen!“
Es war schon vorgekommen, dass einer der ein, zwei Meter aus der Bahn geraten war, weil er sich, wie etwa Sebastian, die Wolken in einem weiten freien Himmel angesehen hatte, zur Strafe dafür eine Reihe von Kniebeugen oder Liegestütze zu absolvieren hatte.
Die trüben regenreichen Tage zogen sich hin und es wurde nie richtig hell in der Zelle. Den handtellergroßen Toilettenpapierstücken aus Zeitungen war weiterhin bruchstückhaft zu entnehmen, dass inzwischen immer mehr große LPG-Getreideflächen, durch den vielen Regen zu Boden gedrückt, auszuwachsen begannen. Auch Frühkartoffeln faulten inzwischen auf den Feldern.
„Da wird ja auch Gemüse faulen …“, kamen Bedenken in der Zelle auf. „Wer weiß was die uns dann zumuten werden, wenn’s ja jetzt schon neben dieser Wassersuppe nur Bruchnudeln mit brauner Mehlsoße zu fressen gibt.“
„Na klar“, warf der Rundgesichtige mit der Halbglatze ein, „die fegen den ganzen Nudelbruch in der Fabrik hier in Cottbus zusammen und uns wird das dann täglich zum Fraß vorgeworfen.“
„Natürlich trifft’s uns besonders, wenn’s mit der Versorgungslage draußen wieder mieser werden sollte“, sagte der Ingenieur mit besorgter Miene.
„Aber nach dem 17. Juni“, warf Sebastian ein, „da wissen die inzwischen ja selbst, dass mit der Bevölkerung nicht zu spaßen ist. Ohne den Iwan wären die nämlich längst weg vom Fenster.“
Der Ingenieur nickte. „Schließlich sitzen ja genug vom 17. Juni hier oben auf Station. Aber die DDR lebt nun eben mal nur von der Hand in den Mund und für Importe gibt’s kein Geld. Da gilts dem Volk den Gürtel enger zu ziehen.
Das ist ja hier nicht wie in Westdeutschland. Da importieren die in solcher Lage auf Teufel komm raus! Für ihre Westmark kriegen die СКАЧАТЬ