Auf der anderen Seite der Schwelle. Raimund August
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Название: Auf der anderen Seite der Schwelle

Автор: Raimund August

Издательство: Автор

Жанр: Короткие любовные романы

Серия:

isbn: 9783957448019

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СКАЧАТЬ Dann kann ich doch auch meine Meinung sagen.“

      „Das denkst du dir so, aber die Partei denkt da ganz anders. Du bist ein Volksfeind, sagen die und sollst hier gebessert werden. Und mit feindlichen Äußerungen betätigst du dich immer weiter als Volksverhetzer und kannst dafür auch immer wieder verurteilt werden. So ist das hier. Es gibt einige die schon so ’nen Nachschlag weg haben.“

      „Aha, deshalb Einzelhaft.“, sagte Sebastian. So kann man keinen mehr politisch beeinflussen.“

      Und so stürzte vieles auf die beiden Freunde als Neuankömmlinge ein.

      Dann verstummte mal wieder für einige Zeit jedes Gespräch in der Zelle. Alle saßen verstreut auf ihren Schemeln, dösten halbschlafend vor sich hin, erinnerten sich an Vergangenes oder dachten auch über die gegenwärtige Situation nach, wie etwa Sebastian, der sich in die Stille hinein an den Graumelierten wandte: „Du sagst, die nehmen jede Gelegenheit wahr, so ein gerade noch geduldetes Ungeziefer los zu werden. Nicht eine Straftat an sich bestimmt Hankels Urteil, sondern die bürgerliche Existenz als Kleinunternehmer selbst ist es …“

      „Denk an die willkürlichen Ausnahmen von der Regel“, wandte der Graumelierte ein.

      Sebastian wiegte den Kopf. „Ja gut“, stimmte er zu, „das erscheint mir durchaus richtig, aber was bedeutet dann die Verurteilung der jungen Leute in diesem Fall und zu so hohen Zuchthausstrafen von sechs bis zehn Jahren? Ich kann mir das nicht erklären. Schließlich waren das Arbeiterkinder und keine Kleinbürger oder deren Nachwuchs.“

      Der Befragte schüttelte nun seinerseits den Kopf. „Diese Frage“, sagte er, „ist zu kompliziert oder aber auch zu einfach“, dazu breitete er beide Hände aus und hob die Schultern, „ich kann sie dir nicht beantworten.“

      „Hm …“, brummte Sebastian. „Schade“, sagte er und wieder dominierte Schweigen das Vergehen der Zeit.

      Der Graumelierte nannte das den Sparmodus. Schließlich könne man nicht jahrelang nur reden und am Tage auf den Betten zu schlafen sei ja verboten. Wo käme man auch hin, wollten die Gefangenen ihre Strafen verschlafen.“

       Kapitel 4

      Nach einem meist sonnigen und vorwiegend trockenen Frühjahr, war der Sommer 1954 regelrecht ins Wasser gefallen. Von Nordwesten her zog eine Regenfront nach der anderen über das Land und weichte den Boden immer tiefer auf. Sebastian blickte durchs Gitterfenster seiner Zelle über die Zuchthausmauer hinweg in den Dauerregen und die andere Welt dort weit draußen im Nebeldunst. Ihm war hier drinnen erst richtig klar geworden wie bedroht die Existenz der Menschen dort draußen wirklich war. In den Zellen ging ja auch der Spruch von den drei Sorten an Bürgern der DDR um, nämlich denen die bereits eingesperrt waren, denen die eingesperrt sind und denen die noch eingesperrt werden.

      Das, was er in den Revisionszellen ganz automatisch über den unerschöpflichen Nachschub an Zwangsarbeitskräften miterlebt hatte und was er vor allem über die Verurteilungsgründe in diversen Urteilen, die den Häftlingen vor einer Revisionsverhandlung kurzzeitig in die Zellen gegeben wurden, zu lesen bekommen hatte, ließ ihm den Spruch von den drei Sorten an DDR-Bürgern erst im wahren Licht erscheinen: Eine Welt verinnerlichter Angst … Natürlich hatten sie davon auch draußen gewusst und mit dieser Angst schon mal mutwillig ihren Spaß getrieben. Eine Welt der Willkür und Angst, die prinzipiell alle Eigenständigkeit, alle Zweifel, jede eigene Meinung verstummen ließ, um so einen ‚Neuen Menschen‘ hervor zu bringen, beschädigte, ja verkrüppelte diese lediglich. Natürlich gibt es die bewusst Angepassten. Karrieristen ohne das Bewusstsein eines Selbst, sagte Sebastian sich, die gibt es überall. Solche Menschen sind vielleicht schlau, aber alles andere als klug.

      Er stand noch immer am Fenster und sah hinaus ins regengraue Land an einem Sommertag. In Hinsicht aufs Wetter dort draußen hatte er hier drinnen wirklich nichts verpasst. Nur Regen mit kurzen Pausen, in denen sich im Dunst auch mal kurz eine verschleierte Sonne zeigte.

      So vergingen in den Zellen die Tage unendlich langsam.Vom Grund eigener Verurteilung sprach von den Politischen kaum einer und schon gar nicht im Detail oder nur in Andeutungen, wenn sichs ergab. Eine Hauptaufgabe der Anstaltsleitung bestand deshalb darin, das Entstehen von Vertrauen unter den Gefangenen zu verhindern. Ehe so etwas entstehen konnte, kam es gezielt zu Verlegungen in immer wieder andere Zellen, sodass ein Grundmisstrauen stets erhalten blieb. Das Spitzelunwesen stand wie draußen so auch in den Zuchthauszellen in voller Blüte. Angst und Misstrauen erwiesen sich wie eh und je als probates Herrschaftsinstrument einer Diktatur.

      So traute man insbesondere den politischen Gefangenen nicht über den Weg, gab es unter ihnen doch immer einzelne, die laut dachten und es erwies sich als nicht möglich sie alle in Einzelhaft zu sperren. Und so wurde auch das Misstrauen der Wachmannschaften in ständigen Schulungsstunden immer wieder von neuem geweckt.

      Die beiden Freunde Totila und Sebastian waren trotz häufigen Wechsels von Zelle und Zellenbelegung noch immer beisammen.

      Neue kamen hinzu, und jene deren Revision verworfen worden war und das waren zumindest unter den Politischen fast alle, wurden auf Normalzellen verteilt.

      Eines Tages schwappte gewissermaßen eine Welle von hoch verurteilten leitenden Mitarbeitern verschiedener DDR-Ministerien aus Berlin in die obere Station des Zellenbaus. Lauter Abteilungsleiter und Hauptabteilungsleiter, von denen sich einige ganz offensichtlich bereits von draußen her kannten, wie Sebastian, Totila und andere es bei einer ersten Freistunde mitbekamen.

      Von denen, die Revision eingelegt hatten und davon gab’s tatsächlich einige, landeten in Sebastians und Totilas Zelle gleich zwei dieser Neuen. Sie hatten damit rechnen können, denn zwei aus ihrer Zelle waren am Vortag überraschend verlegt worden und jedem war ja bekannt, dass es an Zellenplätzen im Bau mangelte.

      Bei den Neuen handelte es sich, wie sie gleich zu Anfang auf Nachfragen erfahren hatten, um einen Volkswirt und einen Dipl. Ingenieur, beide Abteilungsleiter in entsprechenden Ministerien.

      Sebastian wunderte sich über die vielen ‚bürgerlichen Elemente‘ die an den Schalthebeln der Arbeiter und Bauernmacht gesessen hatten.

      „SED?“, hatte Sebastian fragend auf den Busch geklopft.

      „Nein“, beteuerten beide.

      „LDPD“, bekannte der Volkswirt.

      „NDPD“, sagte der Ingenieur.

      „Nationale Front“, warf Totila abwinkend ein. „Alles eine Wichse.“

      Die beiden älteren Neuzugänge grinsten und sahen sich amüsiert an.

      „Jeder tut das Seine auf seine Weise“, erklärte der Volkswirt.

      „Ohne Sachverstand geht’s eben auch nicht“, warf der Ingenieur ein.

      Sebastian winkte wieder ab. „Die wollten euch doch bloß ausnutzen, genau wie meinen Vater.“

      „Wir haben die aber auch missbraucht“, sagte der Volkswirt wieder grinsend.

      „Ach was, ist doch alles Unsinn“, unterbrach Totila diesen Meinungsaustausch.

      „Arbeiterkinder an die Universitäten!“, sagte er und lachte. „Nach spätestens einer Generation sind das dann keine Arbeiterkinder mehr. Was dann?“

      Der Ingenieur lachte ebenfalls. „Vielleicht СКАЧАТЬ