Der Ruhrbaron aus Oberhausen Paul Reusch. Peter Langer
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Название: Der Ruhrbaron aus Oberhausen Paul Reusch

Автор: Peter Langer

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783874683913

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СКАЧАТЬ dann müssten sie „militärisch aufgezogen“ sein, damit sie „nach dem Krieg von selbst wieder verschwinden“.85 Zwei Jahre nach Kriegsbeginn klammerte sich Reusch hartnäckig an die Illusion, dass nach dem – natürlich siegreich beendeten – Krieg die sozialen Verhältnisse der Zeit vor 1914 restauriert werden könnten. Die Ereignisse in der zweiten Kriegshälfte fegten derartige Träume hinweg.

      Ein Sonderproblem war seit Kriegsbeginn der Arbeitermangel in den Erzgruben und Stahlwerken in Lothringen. Der gesamte Grubenbetrieb war durch den deutschen Einmarsch in Belgien und Nord-Frankreich unterbrochen worden. Die rasche Wiederinbetriebnahme scheiterte jedoch am akuten Personalmangel. Grund war die Einberufung der deutschen Arbeiter zum Wehrdienst und die gleichzeitige Ausweisung der Italiener aus ganz Lothringen. Der deutsche Generalstab verbot nämlich die Beschäftigung von ausländischen Arbeitern in einer breiten Zone hinter der Front. So konnte auf den GHH-Gruben86 Carl Lueg, Steinberg und Sterkrade-Anschluss Anfang September 1914 mit 90 Mann nur in ganz geringem Umfang der Betrieb wieder aufgenommen werden.87 Reusch bat deshalb auch im Namen seiner Kollegen August Thyssen, Beukenberg, Springorum und Klöckner um einen Termin bei Delbrück im Innenministerium.88 Die Besprechung mit der hochrangigen Delegation aus dem Ruhr-Revier fand am 20. November statt.89 Aber gegen die Militärbefehlshaber an der Front konnte anscheinend selbst der Innenminister und Vize-Kanzler wenig ausrichten. Deswegen wandte sich der Verein deutscher Eisenhüttenleute im Dezember 1914 mit einem dramatischen Appell an den Generalquartiermeister an der Westfront. Die Lage der Eisenindustrie sei verzweifelt; die italienischen Arbeiter würden in den Erzgruben in Lothringen unbedingt gebraucht. Aber auch dieser Vorstoß blieb ohne Ergebnis.90

      Zwei Jahre später klagte die Schwerindustrie immer noch darüber, dass der Arbeitskräftemangel einer Steigerung der Erzförderung in Lothringen im Wege stünde. Im Sommer 1916 drängte die italienische Regierung die Arbeiter zur Rückkehr nach Italien. Reusch machte sofort Staatsminister Helfferich auf die drohende Auswanderung der Italiener aufmerksam. Die Reichsregierung konnte oder wollte jedoch dagegen keine Zwangsmittel anwenden.91 GHH-Direktor Kellermann berichtete wenig später aus Lothringen, dass zwar 500 Hauer „aus dem Felde“ abgezogen worden seien und dass mittlerweile 200.000 Kriegsgefangene in den Erzgruben arbeiteten. Das reichte aber nicht. Klöckner, so der Bericht von Kellermann, plädierte dafür, notfalls „auf dem Zwangswege … das in Belgien brach liegende Menschenmaterial“ heranzuziehen. Unterstaatssekretär Richter aus dem Innen-Ministerium musste die Industriellen bremsen: Er war nicht bereit, Zwangsmittel anzuwenden, für die Arbeit in den Erzgruben sollten in Belgien nur Freiwillige rekrutiert werden.92 Kellermann kommentierte Klöckners Vorschlag nicht. Auch von Reusch ist keine Antwort überliefert. Da er aber in der Regel nicht zögerte, abweichende Ansichten zum Ausdruck zu bringen, darf man wohl annehmen, dass er nichts dagegen gehabt hätte, den Arbeitermangel auf die Weise zu beheben, die sein Kollege Klöckner vorschlug.

      Um den Arbeitermangel in den Stammwerken der Schwerindustrie weit hinter der Front zu lindern, wurden aber Ende 1916 in Belgien dann doch Zwangsmittel angewandt. Die Reichsregierung gab offenbar dem Drängen der Ruhr-Industriellen nach, denn bereits im November 1916 konnte „Arbeitnordwest“ den Mitgliedsfirmen folgende Mitteilung machen: „Durch die in Belgien vorgenommene zwangsweise Überweisung der belgischen Arbeiter an die deutsche Industrie hat die freiwillige Anwerbung durch das Deutsche Industriebüro einen starken Anstoß erhalten.“93 Die Geschäftsführung wies in diesem Rundschreiben auf zahlreiche Anmeldungen hin und forderte die Mitgliedsfirmen auf, ihren Bedarf an Arbeitskräften zu melden. Die angeworbenen belgischen Arbeiter seien in Deutschland wie Kriegsgefangene unterzubringen.94

      Kriegsgefangene und belgische Zwangsarbeiter konnten selbstverständlich die deutschen „Beamten“ und Facharbeiter nicht ersetzen. Während des ganzen Krieges war die Konzernleitung deshalb bemüht, vor allem die Freigabe der Techniker vom Kriegsdienst zu erreichen. Vor allem in der zweiten Kriegshälfte gab die Heeresverwaltung kaum noch Soldaten frei, ja sie verlangte sogar die Rückkehr der „Reklamierten“ an die Front. Im Sommer 1917 betraf dies 400 Facharbeiter der GHH, vor allem aus dem Brückenbau in Sterkrade.95

      Der jahrelange Ärger um die Arbeitskräfte in der Schwerindustrie mag die Konzern-Chefs der GHH Ende 1916 zu einer etwas bizarren Initiative mit veranlasst haben. Mitten im Krieg wollten Reusch und sein Stellvertreter Woltmann bereits mit den Planungen für den nächsten Krieg beginnen. In einem Schreiben an den Kriegsausschuss der deutschen Industrie in Berlin plädierten sie für die Einrichtung eines „Kriegswirtschaftsamtes“, um eine bessere wirtschaftliche Vorbereitung des nächsten Krieges sicherzustellen. Im Einzelnen dachten sie dabei (1) an die Sicherstellung der Rohstoffversorgung für die Industrie, (2) die Ernährung, (3) die Rüstungsproduktion und (4) an die Zuführung der Arbeitskräfte hinter der Front.96

      Der „Burgfrieden“ wurde im Herbst 1916 auch in den Werken der GHH aufgekündigt. Von da an ging es nicht mehr um die „Zuführung der Arbeitskräfte hinter der Front“, sondern um die Rechte der Arbeiter, um die Anerkennung der Gewerkschaften und um die Beilegung von Streiks.

      Die Gewinne der Rüstungsindustrie waren gewaltig. Wehler spricht von „horrenden Gewinnspannen“, die generell um 50 Prozent, in einzelnen Sektoren der Rüstungsindustrie um bis zu 800 Prozent über dem Friedensniveau lagen. Bereits während des Krieges wurden die Gewinnmargen heftig kritisiert und von den Vertretern der Großindustrie empört verteidigt.97 Dass auch die GHH am Krieg prächtig verdiente, kann keinem Zweifel unterliegen. Schon ab 1915 produzierte der GHH-Konzern nicht mehr nur die Rohmaterialien Eisen und Stahl, sondern war mit dem Werk Sterkrade in großem Stil in die Fertigung von Minenwerfern und Geschossen eingestiegen.98 Im Februar 1915 konnte Reusch seinem Aufsichtsrat einen ersten großen Auftrag über 7 Millionen Mark für 15- und 21-cm-Granaten vermelden, vier Monate später einen weiteren Auftrag für Geschosse über 18 Millionen Mark.99 Ab 1916 begann bei der GHH auch die Produktion von Lafetten und Geschützen, „nachdem die Not der Zeit uns zwingt, ebenfalls auf den Bau von Geschützen loszugehen“.100 Welche Rüstungsgüter die GHH produzierte und wie hoch die Gewinne waren, müsste eine Unternehmensgeschichte der GHH offenlegen. In diesen Kontext wäre dann das verschiedentlich geäußerte Lob für Reuschs Mahnung zur Zurückhaltung einzuordnen. Aber auch ohne genaue Zahlen machen die Materialien in seinem Nachlass eine erste Beurteilung möglich.

      Abb. 7:Foto aus der Geschossfabrik Sterkrade, StA Oberhausen

      Feldman stützt sich bei seinen anerkennenden Sätzen für Reusch, der nicht so „selbstgerecht“ aufgetreten sei, wie dies anscheinend die Regel war,101 auf einen einzigen Brief an Direktor Boecker, den Leiter des 1912 in den GHH-Konzern eingegliederten Drahtwerkes in Gelsenkirchen. Reusch kritisierte in diesem Brief die „fortgesetzte Preissteigerung in den Erzeugnissen der Eisenindustrie“; auch im Stahlwerksverband habe er gegen eine Preiserhöhung „gekämpft“, aber ohne Erfolg; er „beauftragte“ Boecker nun, „in keinem Verbande und keiner Konvention bis auf Widerruf irgendwelchen Preiserhöhungen zuzustimmen, ohne dass Sie sich meines Einverständnisses versichert haben“. Er lehne nämlich die „Verantwortung für die Konsequenzen einer Preispolitik ab, wie sie kürzlich von kurzsichtigen Industriellen betrieben wurde“.102 In einem weiteren Schreiben machte er klar, worum es ihm vorrangig ging: Er wollte ein Ende der öffentlichen Diskussionen über die Preiserhöhungen in der Eisenindustrie und auf keinen Fall, als Folge dieser Diskussionen, die Festlegung von Höchstpreisen durch die Regierung.103 Reuschs „Widerruf“ erreichte Boecker schon drei Monate später, jetzt in ganz verbindlichem Ton. Er sprach von einem „Vorschlag“ bzw. einer „Anregung“, mit der er einem Einschreiten der Regierung habe vorbeugen wollen. Natürlich lasse er Boecker völlig freie Hand bei der Preisgestaltung für seine Drahterzeugnisse.104 Reuschs Kritik an dubiosen Zwischenhändlern, die am Anfang des Krieges СКАЧАТЬ