Название: Der Ruhrbaron aus Oberhausen Paul Reusch
Автор: Peter Langer
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783874683913
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Auch die Bezahlung der Frauen wurde im Vorstand diskutiert, ohne allerdings einen Beschluss herbeizuführen. Reusch vertrat auch in dieser Sache einen besonders harten Standpunkt. Er wollte den Frauen keinesfalls den gleichen Akkordsatz zubilligen wie den Männern: „Das tun wir im Westen nicht.“ Auch die Gewerbeaufsicht habe einer Zwei-Drittel-Regelung für Frauen nicht widersprochen, weil nämlich „die Ausnutzung der Maschinen nicht in demselben Umfange stattfindet wie von den männlichen Arbeitern. Außerdem besteht die Gefahr, dass, wenn wir die Frauen so viel Geld verdienen lassen, die Männer sagen: wir wollen mehr haben. … Im großen und ganzen verdienen die Frauen bei uns doch sehr viel Geld, zwischen 3 und 6 Mark, mehr als Herr Hilger von Oberschlesien erwähnt hat.“ Auch durch einen Zwischenruf von „Geheimrat Hilger“ ließ Reusch sich nicht beirren: „Wir bleiben im Westen dabei, dass wir den Frauen zwei Drittel des Akkordsatzes der Männer geben.“73
Schon vor Kriegsausbruch hatten sich die Unternehmer der Schwerindustrie Gedanken über den Einsatz von Jugendlichen gemacht. Sie sahen eine Chance, Schutzvorschriften für jugendliche Arbeiter wieder zu beseitigen. Bei einer Besprechung von „Arbeitnordwest“, des Arbeitgeberverbandes im Bereich der Nordwestlichen Gruppe des VdESI, am 14. Juli 1914 in Düsseldorf erhielten die Vertreter der Firmen Tipps, wie die Anträge für die Genehmigung von Nachtarbeit Jugendlicher mit Aussicht auf Erfolg zu stellen waren. „Unbedingt erforderlich … ist, immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Arbeitsstellen der jugendlichen Arbeiter nur der Ausbildung dieser Arbeiter dienen und die Nachtarbeit keine erhöhte Gefahr für Leben und Gesundheit bringt.“74 Um den Anträgen bei der Gewerbeaufsicht mehr Durchschlagskraft zu verleihen, sollten die Väter vorgeschickt werden. „Das eine oder andere Werk kann auch einen Hinweis auf die immer mehr von Regierungsseite gewünschte und geförderte Jugendpflege in den Genehmigungsantrag aufnehmen und dabei ausführen, dass ein unbedingtes Erfordernis einer richtigen Jugendpflege die rechtzeitige Erziehung zur Arbeit ist. Schließlich empfiehlt es sich auch zu bemerken, dass durch die Beschränkung der Verdienstmöglichkeit der Jugendlichen die soziale Lage der Älteren verschlechtert wird, was zweifellos auch einen Einfluss auf die Geburtenzahl ausüben wird.“ 75 Also: Die schwere Nachtarbeit von Jugendlichen in den Walzwerken dient der Jugendpflege, wird von den Arbeiterfamilien gewünscht und erhöht die Geburtenzahl! Reusch zeichnete das Schriftstück ab. Er hatte gegen diese Sicht der Dinge nichts einzuwenden.
Einen Monat später – die deutschen Truppen marschierten jetzt an beiden Fronten – konnte „Arbeitnordwest“ den Betrieben die Genehmigung aller Anträge betreffend die Nachtarbeit Jugendlicher und die Verkürzung der Pausenzeiten in Aussicht stellen. Mit dem Regierungspräsidenten Düsseldorf war die Sache schon geregelt; mit den anderen Regierungspräsidenten des Bezirks von „Arbeitnordwest“ standen die Gespräche vor dem erfolgreichen Abschluss. Lediglich für einzelne Arbeitsstellen legte die Gewerbeaufsicht später Einschränkungen fest. „Arbeitnordwest“ appellierte deshalb an die Werke, die sich daraus eventuell ergebenden Wettbewerbsverzerrungen nicht zum Nachteil einzelner Firmen auszunutzen. Reusch nahm alle diese Schreiben zur Kenntnis. Einwände machte er nicht geltend.76 Der Lohn der Jugendlichen wurde anscheinend in vielen Fällen an deren Väter ausgezahlt. Diese Praxis fand Reusch allerdings nicht gut. Als sich der Leiter einer Tochterfirma dagegen aussprach, weil die Väter das Geld nur für Tabak und Alkohol missbrauchen würden, stimmte Reusch ihm voll und ganz zu.77
Seit 1915 wurden auch in der Schwerindustrie französische Kriegsgefangene eingesetzt. Nach einem Protest der französischen Regierung gegen deren Einsatz unmittelbar in der Rüstungsproduktion forderte die deutsche Regierung Berichte aus der Industrie an, da sie Repressalien gegen deutsche Kriegsgefangene befürchtete. Im Berliner Hotel Adlon wurde daraufhin am 13. Oktober 1915 bei einer informellen Besprechung der führenden Männer der Schwerindustrie – Reusch war auch dabei – über eine einheitliche Linie beraten. Nur wenige Tage später legte der Verein deutscher Eisen- und Stahl-Industrieller (VdESI) den Entwurf einer „Denkschrift über die Arbeiterfrage im Kriege“ auf den Tisch und bat die Vorstandsmitglieder, u.a. Reusch, um eventuelle Änderungsvorschläge für die nächste Sitzung des Hauptvorstandes am 1. November. Haupttenor der Denkschrift war die Forderung, mehr Facharbeiter vom Kriegsdienst freizustellen. Bei der Vorstandssitzung stand aber auch die Gefangenenbeschäftigung und die Frauenarbeitszeit auf der Tagesordnung. Reusch informierte den VdESI kurz vor der Sitzung über einen französischsprachigen Aushang im Gefangenenlager der GHH. Darin hieß es: „Die Verrichtung aller Arbeiten, zu denen die Kriegsgefangenen herangezogen werden, wird im Bedarfsfalle durch Anwendung von Gewalt von ihnen gefordert werden, selbst, wenn die Gefangenen der Ansicht sein könnten, dass die Arbeiten sich auf Kriegslieferungen beziehen. Gefangene können sich nicht auf die Verordnungen und Gesetze ihres Landes berufen, denn während der Kriegsdauer unterstehen sie allein den deutschen Verordnungen und Militärgesetzen. … Im Falle der Weigerung wird man die Arbeit durch Strafen erzwingen. Es liegt umso weniger Grund vor zur Rücksichtnahme, da im Auslande die deutschen Gefangenen mit den größten Gewalttätigkeiten mit allen möglichen Arbeiten beschäftigt werden.“78 Reusch bat die Geschäftsstelle des VdESI, diesen Aushang den deutschen Behörden nicht zur Kenntnis zu geben, „da wir Wert darauf legen, dass vorläufig an den bestehenden Zuständen nichts geändert wird.“79
Der Arbeitskräftemangel war so groß, dass Reusch sich nicht nur für die französischen, sondern auch für die russischen Kriegsgefangenen interessierte. Woltmann, gerade von der Ostfront zurückgekehrt, sollte sich beim Kriegsministerium dafür einsetzen, dass Deutsch-Russen aus einem Gefangenenlager in Westpreußen der deutschen Industrie als Arbeiter zugeführt wurden.80 Dieser Vorstoß scheint jedoch keinen Erfolg gehabt zu haben.
Unweigerlich führten die Arbeitsbedingungen in der Kriegsindustrie zu Beschwerden bei den Gewerkschaften. Reusch war in höchstem Maß alarmiert, als ihm zu Ohren kam, dass „ein Arbeitersekretär namens Cohen“ beim Kriegsministerium vorstellig geworden sei, um sich über die zu niedrigen Löhne für Industriearbeiter zu beschweren. Die Beschwerde beruhte angeblich auf anonymen Anzeigen, worauf ein Offizier zur Überprüfung in die Betriebe entsandt wurde. Reusch wollte sichergestellt wissen, dass im Westen ein eventuell mit gleichem Auftrag entsandter Offizier höchstens die Lohnliste einsehen, aber keinesfalls mit den Arbeitern reden dürfte. Eine „direkte Fühlungnahme“ würde nur „Beunruhigung in die Arbeiterschaft tragen“.81
In der Tat suchte das Kriegsministerium schon frühzeitig nach Möglichkeiten, durch Zugeständnisse an die Arbeiter die Stimmung in den Betrieben und damit die Produktion zu verbessern. Nach guten Erfahrungen in Berlin und Dresden sollten überall Beschwerdeausschüsse mit Arbeitervertretern eingerichtet werden. Dagegen machte der VdESI massiv Front. Von verschiedenen Seiten – so Reusch wörtlich – müsse „ein kleines Trommelfeuer auf das Kriegsministerium eröffnet“ werden, um die Einrichtung derartiger Ausschüsse zu verhindern.82 Als Ende des Jahres 1916 die Planungen für das Vaterländische Hilfsdienstgesetz liefen und die Einrichtung ständiger Arbeiterausschüsse ernsthaft erwogen wurde, ruhten die Hoffnungen der Industrie vor allem auf General Groener. Ihn wollte der VdESI „für den schweren Kampf gegen das Reichsamt für Sozialpolitik“ mit Material versorgen. Dabei erkannten die Unternehmer dessen schwierige Situation durchaus an: Um die „Arbeiter bei Laune zu halten“, dürfe der General nicht zu unternehmerfreundlich klingen.83 Reusch hatte in der Hauptversammlung des VdESI heftig gegen die Einrichtung von Arbeiterausschüssen polemisiert: Diese wären „für den Burgfrieden, eine geordnete Betriebsführung, СКАЧАТЬ