Название: Ruanda
Автор: Gerd Hankel
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежная публицистика
isbn: 9783866744875
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So geht das noch mehrmals: Ein Gefangener tritt auf, sagt den Umstehenden, welche Verbrechen er begangen hat, versichert, dass er seine Taten bereut und auf Verzeihung hofft, und tritt ab. Der letzte Gefangene jedoch ist ausführlicher in der Darstellung seiner Taten, und dass das kein Zufall ist, sehen wir später, als die Opfer sich äußern. »Auch ich habe Böses getan«, beginnt er sein Geständnis. »Ich habe drei Kinder getötet, doch das habe ich nicht allein getan. Zwei andere waren noch mit dabei, nämlich … [er nennt die Namen]. Dann habe ich mich einer Gruppe angeschlossen. Mit der bin ich zu einem Haus gegangen. Alle, die in dem Haus waren, haben wir getötet. Das tut mir leid, und ich bitte die Angehörigen um Verzeihung.« Der Gefangene macht eine kleine Pause, sein Blick bleibt starr auf das ihm hingehaltene Mikrofon gerichtet, dann fährt er fort: »Ich bitte auch die alte Frau um Verzeihung, die vor der Tür eines anderen Hauses saß, in dem ich mehrere kleine Kinder getötet habe. Die alte Frau hat alles gesehen. Ich habe die Kinder mit der Machete getötet und im Hof in einem Erdloch vergraben. Andere waren da noch bei mir. Ich erinnere mich genau, dass … [er nennt einige Namen] mit dabei waren.« Nach diesen Worten macht die Kamera einen Schwenk auf das Gesicht einer älteren Frau. Mit unbewegter Miene sagt sie in Richtung des Gefangenen: »Du also warst es, der meine Enkelkinder getötet hat. Ja, ich erkenne dich. Verzeihen kann ich dir nicht, das ist Sache meiner Kinder, die überlebt haben. Denn deren Kinder hast du getötet. Was ich nur verzeihen könnte, ist der Tod meines Mannes. Er wurde umgebracht. Von wem, weiß ich nicht. Wenn der Mörder gestehen würde, wenn er aufrichtig bereuen würde, dann würde ich ihm, glaube ich, verzeihen.«
Zweimal noch treten Täter und ihre Opfer beziehungsweise deren Hinterbliebene auf und schildern entweder ihre Taten oder ihre Bereitschaft, Geständnissen zuzuhören und zu verzeihen. Passend dazu weist Justizminister Mucyo von der Leinwand herunter darauf hin, dass ein Geständnis das Gewissen erleichtere. Viele geständige Völkermörder hätten ihm gesagt, dass sie sich nach dem Geständnis besser gefühlt hätten. Sie seien ruhiger geworden, weil sie nicht länger mit der Angst vor einer Entdeckung leben müssten. Auch dürfe nicht vergessen werden, dass durch ein Geständnis die Überlebenden endlich erführen, wie ihre Angehörigen umgekommen und wo sie begraben worden seien. Wer gestehe, versichert Mucyo dem Gefängnispublikum, könne damit rechnen, dass sein Fall so schnell wie möglich vor einem Gacaca-Gericht verhandelt werde. Außerdem komme er in den Genuss einer Strafmilderung, die die normalerweise vorgesehene Strafe um bis zur Hälfte verkürzen könne. Damit nicht genug. Die verkürzte Freiheitsstrafe verbüße er wiederum nur zur Hälfte im Gefängnis. Die andere Hälfte leiste er in Form gemeinnütziger Arbeit ab, indem er Häuser oder Straßen baue oder, bei entsprechender Ausbildung, im Gesundheitswesen arbeite. Während dieser Zeit wohne er selbstverständlich bei seiner Familie.
So weit Mucyo in die Stille des Lagerraums hinein, in dem seit mittlerweile gut einer Stunde die Gefangenen den Film sehen, aufmerksam und sehr diszipliniert, nur durch die besagten Völkermordszenen zu kurzen Unmutsäußerungen oder Entrüstungsrufen hingerissen. Das ändert sich fast schlagartig, als die Vorführung sich ihrem Ende nähert. Anspannung und Konzentration weichen einer allgemeinen Empörung, die alle Gefangenen zu erfassen scheint. Am Ende kommt der Film noch einmal auf seinen Anfang zurück. Er zeigt Bilder von Arusha, von den Lebensbedingungen und der Behandlung der Angeklagten dort und lässt Gerichtsangestellte zu Wort kommen. So erklärt Amadou Dieng, der Kanzler des Gerichts, auf den Vorwurf, das Gericht kümmere sich nicht um die Sicherheit von Belastungszeugen, mehrere seien gar nach ihrer Rückkehr nach Ruanda umgebracht worden, lapidar, der Tod liege nicht in der Hand des Gerichts, jeder müsse mal sterben. Zwei Angeklagte sind zu sehen, wie sie offensichtlich gut gelaunt neben der Anklagebank stehen und zur Begrüßung ihre Verteidiger umarmen. Aufnahmen von Einrichtungen in Arusha wie der Gefängnisküche oder des Gymnastikraums gehen über zu Ausschnitten aus einem Interview mit Jean Paul Akayesu, der wegen Völkermords und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden war. »Ich habe hier zugenommen«, sagt ein erkennbar übergewichtiger Akayesu, »das Essen ist hier viel zu fett, ich habe jetzt eine Diät beantragt.«
Dann ist der Film aus. Jetzt können Fragen gestellt werden, ja es sollen, bitte schön, Fragen gestellt werden. Die ganze Angelegenheit, gibt die Gefängnisleiterin zu bedenken, sei zu wichtig, als dass sie einfach nur zur Kenntnis genommen werden könne. – Eine kurze Pause, dann melden sich die ersten Gefangenen. Die Fragen beziehen sich nicht, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre, auf Arusha und die dortigen Verfahren. Die Botschaft des Films, am Ende noch einmal zugespitzt, war klar genug. Außerdem ist der Kontrast zur eigenen Situation im Gefängnis so groß, dass Verständnisfragen überflüssig wirken. Wie sagte noch ein geständiger Völkermörder in seiner kurzen, vor einem ruandischen Gericht abgegebenen Erklärung unter dem Beifall der Gefangenen: »Wir sind manipuliert worden. Man hat uns benutzt, und diejenigen, die uns benutzt haben, sind heute schon wieder oben. Ihnen geht es gut, aber wir sind hier, in diesem Gefängnis.«
Die Fragen, die gestellt werden, beziehen sich hauptsächlich auf die gemeinnützige Arbeit und auf die Dauer der Gacaca-Verfahren. Ein Gefangener will wissen, wann die Unschuldigen freigelassen werden, ein anderer, wie die gemeinnützige Arbeit organisiert ist und ob auch bereits Verurteilte dazu herangezogen werden können. Schließlich fragt eine Frau – und während sie die Frage stellt, wird es so still, dass das Summen einer Fliege zu hören ist –, was denn mit den eigenen Toten sei, über die würde niemand reden. Sie selbst habe ihre ganze Familie im Krieg verloren. Jetzt sei sie im Gefängnis, völlig unschuldig, und die Mörder ihrer Familie liefen frei herum. »Ich möchte wissen«, sagt sie, »wer meine Familie umgebracht hat. Ich möchte, dass auch diese Leute bestraft werden.«
Der Erste, der auf Seiten der Staatsvertreter das Wort ergreift, ist der Gacaca-Beauftragte der Provinz. Das wichtigste Ziel von Gacaca sei es, herauszufinden, wer schuldig und wer unschuldig sei, erklärt er. Wenn alle sich beteiligten, könne das schnell gehen. Um die große Zahl von Häftlingen in den Gefängnissen zu verringern, unter denen, wie er wisse, auch viele Unschuldige seien, gebe es kein besseres Mittel als Gacaca, das müsse man einfach verstehen. Nach ihm skizziert der Vertreter des Justizministeriums noch einmal in groben Zügen das System der gemeinnützigen Arbeit, die Möglichkeit der Strafmilderung bei frühzeitigem Geständnis sowie die Art und Umstände der zu erledigenden gemeinnützigen Arbeiten. An die Gefangene gewandt, die im Namen ihrer eigenen Toten Gerechtigkeit gefordert hatte, fährt er fort: »In der Tat hat es während der Befreiung des Landes von dem völkermörderischen Regime Morde gegeben, die von Angehörigen der Befreiungsarmee begangen wurden. Das ist sehr bedauerlich, kann aber nicht im Entferntesten mit dem Völkermord gleichgesetzt werden. Wenn einzelnen Soldaten angesichts der Gräuel, die sie auf dem Vormarsch sehen mussten, die Nerven durchgegangen sind und sie die Täter oder vermeintlichen Täter getötet haben, ist das etwas völlig anderes als die kaltblütige Ermordung einer ganzen Bevölkerungsgruppe. Natürlich werden auch die Täter dieser vereinzelten Vergeltungsaktionen zur Verantwortung gezogen werden, allerdings nicht vor Gacaca-Gerichten. Die sind nur für die Bestrafung der Völkermordtäter zuständig. Die anderen Täter – und ich sage noch einmal: es handelt sich nur um Ausnahmefälle –, werden, weil sie Soldaten der Befreiungsarmee waren, vor ein Militärgericht gestellt und, sofern schuldig, bestraft.«
In der zweiten Fragerunde fragt zunächst wieder eine Gefangene, und zwar in den ansteigenden Applaus ihrer Mitgefangenen hinein, ob diejenigen, die zu Unrecht inhaftiert worden seien, eine Entschädigung erhielten. Eine andere Gefangene weist darauf hin, dass viele alles verloren hätten. Ihr Eigentum sei beschlagnahmt worden, in ihren Häusern wohnten andere СКАЧАТЬ