Ruanda. Gerd Hankel
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Название: Ruanda

Автор: Gerd Hankel

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежная публицистика

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isbn: 9783866744875

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СКАЧАТЬ Beistand nach dem Völkerrecht haben. Darüber hinaus soll das Opfer Zugang zur Unterstützung seitens der Verwaltung und anderer Körperschaften haben sowie zu Mechanismen, Modalitäten und Verfahren, die das nationale Recht bereithält. Völkerrechtliche Verpflichtungen, die den Rechtsweg und faire und unabhängige Verfahren gewährleisten, sollen Teil der nationalen Gesetze sein.«22

      Gegenüber anderen Formen der Reaktion hat die justizielle zudem einen besonderen Vorteil: Sie ist potenziell die Reaktionsform mit der größten Wirkung. Kritik kann von anderen Nachrichten überlagert werden und verpuffen, politischer Druck auf eine unklare Adressatensituation stoßen und ins Leere gehen, Sanktionen können die Falschen treffen und die Lage verschlimmern. Ein Justizverfahren dagegen ist, vorausgesetzt, es wird ernsthaft betrieben,23 dem Ideal der Gerechtigkeit verpflichtet. Ein Sachverhalt muss aufgeklärt, historische Hintergründe müssen ausgeleuchtet werden. Die Beweiswürdigung erfolgt auf einer möglichst umfassenden Basis von Informationen, die zulasten, aber auch zugunsten des Angeklagten sprechen können. All dies geschieht nicht in einem abgeschlossenen Raum, sondern vor den Augen der Öffentlichkeit, die sich so ein Bild von den zur Verhandlung stehenden Verbrechen und dessen Folgen machen kann. Dass dabei auch, unterschiedlichen Vorverständnissen folgend, selektiv wahrgenommen wird, tut dem Umstand keinen Abbruch, dass beides über das Strafverfahren einen Platz in der öffentlichen Debatte besetzt. Die Öffentlichkeit wird Zeugin einer Grenzziehung zwischen Verhalten, die noch politisch oder bereits kriminell sind, zwischen individueller Schuld und kollektiver Verantwortung und, immer wieder und in immer neuen Facetten, einer Misere, in die staatlich entfesselte Gewalt, ausgeübt von willigen Helfershelfern, Menschen ungeachtet ihres Alters, ihres Geschlechts oder ihrer sozialen Stellung, jäh zu stürzen vermag.24 Aus vereinzelten Informationen über ein Verbrechen wird eine Nachricht, aus der Nachricht wird ein Verfahren und aus dem Verfahren letztendlich die öffentliche Feststellung, inwieweit es eine Rechtsverletzung gegeben hat und wer dafür verantwortlich ist. Das unterscheidet das richterliche Urteil von anderen Formen des Umgangs mit Verbrechen. Der Normbruch, wie er sich in der Begehung des Verbrechens manifestiert, wird nicht nur benannt, er wird darüber hinaus auch sanktioniert, wodurch die Geltung der Norm unterstrichen und das Normbewusstsein der Menschen gestärkt wird. Anders gewendet drückt die Strafe den Willen der Menschen in der internationalen Gemeinschaft aus, das Recht gegen das Unrecht zu verteidigen. Zugleich schafft sie die Voraussetzung für die Entstehung und Festigung eines Normvertrauens, das mit zunehmender Intensität auch eine stärkere präventive Wirkung entfaltet.25 Die Zuversicht, nicht das Opfer von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen zu werden, ist aufs Engste verbunden mit der Botschaft an Machthaber und ihre Funktionäre, dass sie sich mit einer sie beunruhigenden Wahrscheinlichkeit für vergangene Taten werden verantworten müssen, selbst wenn sie zwischenzeitlich in der internationalen Politik angekommen zu sein scheinen.26

      Dass die Justiz nach dem Völkermord in Ruanda eine wichtige Rolle spielen würde, lag auf der Hand. Wie anders sollte die »Kultur der Straflosigkeit«, auf die von vielen Seiten regelmäßig anklagend verwiesen wurde, weil sie das Land in den Abgrund geführt habe, überwunden werden. Das Beispielhafte dieses Vorhabens und seine unmittelbare Anschlussfähigkeit an vorherige und zum Teil noch andauernde Versuche, massenhaftem, schlimmstem Unrecht mit den Mitteln des Rechts zu begegnen – beginnend mit den Verfahren vor den internationalen Militärtribunalen von Nürnberg und Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg, fortgesetzt 1993 mit der Einsetzung des Ad-hoc-Tribunals für das ehemalige Jugoslawien und später dann durch gemischte, internationalisierte Gerichte27 – schienen mir Grund genug für eine vertiefte Beschäftigung mit dem Thema. Dass in diesem Kontext auch die Rechtsprechung des zweiten vom UN-Sicherheitsrat eingesetzten Ad-hoc-Tribunals, das seit 1994 speziell für Ruanda zuständig war, berücksichtigt werden würde, verstand sich von selbst. Doch im Fokus meines Blicks auf die post-genozidale Entwicklung Ruandas sollte die Justiz des Landes stehen, allen voran die Gacaca-Justiz. Das würde bedeuten, mit Anwälten, Staatsanwälten und Richtern zu sprechen, Politiker und Militärs aufzusuchen und natürlich Täter sowie Opfer und darüber hinaus viele Menschen unterschiedlicher sozialer Stellung und Herkunft zu Wort kommen zu lassen. Dass das nicht immer einfach sein würde, zumal wenn weiße Hautfarbe und rundum abgesicherter Lebensmodus auf sehr großes Leid und materielles Elend stoßen würden, ahnte ich und sollte doch etliche Male von der Heftigkeit des Kontrasts überrascht werden. Kompensieren wollte und konnte ich das durch meine Überzeugung von einem legitimen Umgang mit den mir noch fernen Verbrechen, eine Überzeugung, die sich bereits durch einige der eben dargestellten Überlegungen gefestigt hatte, für die jedoch im Juni 2002 allein schon ausgereicht hätte, dass zum 1. Juli desselben Jahres ein ständiger internationaler Strafgerichtshof seine Arbeit aufnehmen sollte und einen Tag vorher, am 30. Juni, in Deutschland nach dem Vorbild anderer Länder ein Völkerstrafgesetzbuch in Kraft treten würde,28 das die Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu einem nationalen Anliegen machte.

      Die Feststellung, dass auch nach größtem Unglück das Leben weitergeht, ist banal, aber von beträchtlicher Tragweite. Das Leid der Opfer29 kann noch so groß, das Verbrechen der Täter noch so abscheulich sein, für beide gibt es, wenn auch sicherlich keinen Alltag im üblichen Wortsinn mehr, so doch ein Gefüge von alltäglichen Abläufen, Erwartungen und Zwängen, denen sie sich nicht oder allenfalls durch Flucht aus dem eigenen Leben entziehen können. Aber das Leben, das weitergelebt wird, bedarf, damit es in Würde weitergelebt werden kann, gewisser Voraussetzungen, die von dritter Seite erbracht werden müssen. Da ist zunächst die Unterstützung in der individuellen Sphäre der Betroffenen zur Linderung ihrer psychischen oder physischen Verletzungen. Auf diesen Aspekt soll jetzt noch nicht eingegangen werden. Dann ist da die Unterstützung, die Gesellschaften, einzelne Staaten oder die Staatengemeinschaft zu leisten imstande sind. Sie bildet sozusagen das Fundament, auf dem die individuelle Unterstützung praktiziert werden kann. Über diverse Aktivitäten gibt sie den Rahmen vor, der über die Wahrnehmung von Tätern und Opfern entscheidet, mithin letztlich darüber, wie sich eine Gesellschaft ihrer annimmt und die eigene soziale Zukunft organisiert.

      Eine dieser Aktivitäten, zeitweilig die wohl wichtigste, ist die justizielle. Nicht nur dass bei ihr als Reaktionsform auf geschehenes Unrecht Legalität und Legitimität zusammenlaufen, sie begründet über die Verhandlung der Tat auch ein Narrativ, das die gerichtlich festgestellte Wahrheit enthält. Dass sich das Narrativ vielleicht später ändern wird, ist erfahrungsgemäß nicht auszuschließen. Erst aber ist es in der Welt und mit ihm eine Wahrheit, die, wie es vor Gericht sein sollte, dem Streben nach Gerechtigkeit entspringt und zugleich Befriedigung und Frieden schaffen soll.

      Wie kommt das Gericht zu dieser Wahrheit? Indem es versucht, den Sachverhalt, der Gegenstand des Verfahrens ist, wahrheitsgemäß zu klären, müsste die nahe liegende Antwort lauten. Schließlich ist es Aufgabe eines Gerichts, ein schuldangemessenes Urteil zu sprechen, wozu eben untrennbar gehört, über Beweismittel herauszufinden, was tatsächlich geschehen ist, und zwar so, dass das Ergebnis unabhängig von der subjektiven Betroffenheit der Beteiligten bestehen bleibt, von der Anklage oder der Verteidigung eingelegte Rechtsmittel also nicht greifen. Allerdings beschreibt diese Antwort ein Ziel, das umso schwerer zu erreichen ist, je stärker sich die Taten von der »normalen« Kriminalität unterscheiden. Wo der Täter allein der Gesellschaft gegenübersteht, ist die Tätigkeit von Gerichten in weitaus größerem Maße von externer sozialer Zustimmung getragen als dort, wo der Täter in Übereinstimmung mit großen Teilen der Gesellschaft oder im Auftrag von deren Führung gehandelt hat. Was im ersten Fall gewöhnlich problemlos als wahr und als tragfähige Grundlage für einen Richterspruch anerkannt wird, ist im zweiten leicht Gegenstand von Kontroversen und Ablehnung, eben weil der Normbruch (weitgehend) konsensuell begangen wurde und die Betroffenheit darum groß ist. Einige Beispiele aus der Geschichte mögen dies verdeutlichen, bevor wir uns vor diesem Erfahrungshorizont wieder Ruanda zuwenden:

      Dass die sogenannten Hauptkriegsverbrecher NS-Deutschlands sich 1945/46 für ihre Taten vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg verantworten mussten, stieß auch in Deutschland СКАЧАТЬ