Ruanda. Gerd Hankel
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Название: Ruanda

Автор: Gerd Hankel

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежная публицистика

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isbn: 9783866744875

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СКАЧАТЬ aus der Geschichte bezeichnet wird, überhaupt möglich wird. Die verschiedenen Formen der Erinnerung sind vielmehr auch und vor allem ein Vehikel, um die Täter des Völkermords strafrechtlich zur Verantwortung ziehen zu können. Immer zahlreicher werden die am Straßenrand aufgestellten Tafeln, die in großen Lettern von der Gacaca-Justiz künden. Selbst in entlegenen Regionen sind sie anzutreffen und fallen auch sofort auf, da sie ihre Botschaft auf mehreren Quadratmetern verkünden. Auf einem Hintergrund, der an den Völkermord und dessen Folgen erinnert – neben den Großaufnahmen einer Frau und eines Mannes, deren Gesichtsausdruck und Haltung tiefste Erschütterung und Verzweiflung zeigen, sind links ein brennendes Haus, vor dem ein mit einer Machete bewaffneter Mann steht, und rechts Szenen aus Gerichtsverhandlungen sowie zwei Frauen zu sehen, die bei der Feldarbeit sind und in einer Mischung aus Angst und Scham ihre Blicke auf etwas richten, das in der Nähe auf dem Boden liegen muss – ist zu lesen: »Gacaca-Gerichte«. Darunter: »Die Wahrheit heilt. Wenn wir gestehen, was wir getan haben, wenn wir sagen, was wir gesehen haben, wird das unsere Wunden schließen.«

      Geplant ist, dass über eine landesweite Reaktivierung der traditionellen Gacaca-Justiz die justizielle Aufarbeitung des Völkermords beschleunigt werden soll. Es heißt, dass über 120 000 Völkermordverdächtige in den Gefängnissen Ruandas sitzen, unter größtenteils entsetzlichen Haftbedingungen. Die ordentliche Justiz des Landes ist überfordert. »Zwischen 1000 und 1500 Verfahren kann sie im Jahr durchführen«, erklärt mir Jean de Dieu Mucyo, der Justizminister, »und der Internationale Strafgerichtshof in Arusha befasst sich nur mit den Organisatoren des Völkermords, nicht mit den vielen anderen Tätern«, ergänzt er noch. Bis zum Herbst 2002 sollen in zwei Etappen gut 700 Gacaca-Gerichte geschaffen werden. Sind die Erfahrungen, die in den Pilotverfahren, die der Informationsbeschaffung und Sachverhaltsklärung dienen und noch nicht mit einem Urteil enden sollen, ermutigend, soll ihre Zahl so erhöht werden, dass es bis hinunter zur untersten Verwaltungseinheit, der Zelle, je ein Gericht gibt. Das wären dann über 10 000 Gacaca-Gerichte. »Wichtig ist«, so noch einmal Mucyo, »dass wir uns mit unserer traurigen Vergangenheit in einer Weise auseinandersetzen können, die zu unserer Kultur gehört, die den Menschen in Ruanda etwas sagt. Sonst wird es keine Versöhnung geben.«2

      Einen ersten konkreten Eindruck von dem ruandischen Weg, an den Mucyo wohl gedacht haben muss, gewinne ich im November 2002, gut eine Woche, bevor nach der Wahl der Richterinnen und Richter die zweite, eigentliche Pilotphase der Gacaca-Justiz beginnt. In der Stadt Nyarutega im Süden des Landes findet eine so genannte »Présentation« statt. Das ist eine Art Gefangenenvorstellung, die das Ziel hat, möglichst früh unschuldige Häftlinge identifizieren und aus der Haft entlassen zu können. Ein Staatsanwalt liest vor, wessen ein Häftling beschuldigt wird, dieser äußert sich dazu und die lokale Bevölkerung, mit dem Geschehen in der Region zur Zeit des Völkermords gewöhnlich bestens vertraut, bestätigt, korrigiert oder verwirft die Beschuldigung. Hunderte, manchmal Tausende von Menschen nehmen daran teil, zuletzt, über mehrere Tage hinweg, im Stadion der in der Nähe gelegenen Provinzhauptstadt Butare, wo sage und schreibe 2700 Häftlinge »vorgestellt« wurden, von denen allerdings nur 32 ihre Freiheit erhielten.

      In Nyarutega sind es gut 50 Gefangene, unter ihnen vier Frauen, die vor dem Gebäude der Gemeindeverwaltung von den Ladeflächen zweier Lastwagen steigen. Die meisten scheinen gut gelaunt, lachen, als sie von Familienmitgliedern und Freunden begrüßt werden. Wäre nicht die rosafarbene Kleidung, die sie als Völkermordhäftlinge kennzeichnet, könnte ein zufälliger Beobachter eher an eine folkloristische Feier oder an einen etwas bizarren Arbeitseinsatz denken als an eine justizielle Veranstaltung, auf der es leicht um Leben oder Tod gehen kann. Nachdem die Gefangenen Aufstellung genommen haben (für einige ältere wurde eine Bank bereitgestellt), beginnt die Veranstaltung. Zwei Gefangene führen Protokoll, drei weitere, auf deren Mützen Sûreté steht, sind für die Sicherheit verantwortlich, auch wenn nicht klar wird, für welche, schließlich sind auch bewaffnete Polizisten vor Ort.

      Acht Häftlinge sollen heute zu Wort kommen, eine Frau wird nicht unter ihnen sein. Der Ablauf ist immer derselbe. Der Häftling tritt vor und nennt seinen Namen, der Staatsanwalt verliest die Beschuldigung, dann spricht wieder der Häftling. Wenn er geendet hat, kniet er nieder, beteuert, dass er die Wahrheit gesagt hat, bekreuzigt sich, steht wieder auf und geht zurück an seinen Platz.

      Der erste Gefangene, ein Mann mittleren Alters, soll einen Mord begangen haben. Seine Unschuldsbeteuerungen werden von den Zuhörern zurückgewiesen, die dicht gedrängt auf dem Platz vor dem Gebäude der Gemeindeverwaltung stehen. Ein Gacaca-Gericht soll über die Anklage entscheiden. Der zweite Gefangene, der vortritt, wirkt noch sehr jung. Er soll eine Frau getötet haben, doch er behauptet, nicht er, sondern ein anderer habe die Tat begangen. Er nennt dessen Namen und auch den Namen einer Zeugin, die alles gesehen haben soll. Auch hier wird später ein Gacaca-Gericht entscheiden. Die nächsten drei Häftlinge sollen bald freigelassen werden, da sich die Anklagen als substanzlos erwiesen haben. Alle drei sind der Bevölkerung gut bekannt, ihre Unschuld kann durch eine Reihe von Zeugen bestätigt werden, und als der Staatsanwalt tatsächlich die baldige Freilassung ankündigt, wird dies mit Applaus quittiert. Die letzten drei Häftlinge, die an diesem Tag »vorgestellt« werden, müssen sich wieder vor Gacaca-Gerichten verantworten. Während in einem Fall nicht geklärt werden kann, wie der Tatvorwurf überhaupt lautet, stoßen in den beiden anderen Fällen die Unschuldsbehauptungen auf heftigen Protest. Es geht um mehrfachen Mord, auch an Kindern, da reicht der kleinste Einwand, um den Fall zur Klärung an die Gacaca-Justiz zu verweisen. Alle, die mutmaßlichen Täter eingeschlossen, scheinen große Hoffnungen in sie zu setzen.

      Soweit zu Nyarutega. Zwei Tage später habe ich Gelegenheit, einen zweiten, noch genaueren und anschaulicheren Eindruck von der in Ruanda angestrebten Vergangenheitsaufarbeitung zu bekommen. Schauplatz ist diesmal ein Gefängnis am entgegengesetzten Ende des Landes, im Norden in der Provinz Byumba. 165 Frauen und 103 Männer sind dort inhaftiert, zusammen mit einer beträchtlichen, nicht genau bekannten Zahl von Kindern und Säuglingen.

      Auf den ersten Blick entspricht das Gefängnis so gar nicht dem Klischee von einem afrikanischen Gefängnis, das, überfüllt, feucht, fensterlos und mit miserabler hygienischer Ausstattung, jedem internationalen Mindeststandard Hohn spricht. Die fünf, aus Backstein oder Adobe-Ziegel gemauerten Gebäude des Gefängnisses erinnern eher an eine weitaus weniger repressiv wirkende Anlage, eine Schule beispielsweise, und in der Tat stellt sich später heraus, dass das Gefängnis erst 1997 eingerichtet worden war, indem mehrere nah beieinander liegende Gebäude so umfunktioniert wurden, dass darin Menschen inhaftiert werden konnten. Der Bedarf an Haftraum war in Ruanda angesichts immer weiter steigender Häftlingszahlen groß, und es musste schnell Abhilfe geschaffen werden. Eine davon ist das Gefängnis in Nyankenke bei Byumba.

      In der Mitte des Gefängnisareals, zwischen Küche und Latrine, steht ein etwas größeres Gebäude, das als Lagerraum benutzt wird. Häftlinge haben in der Nähe einen Generator aufgestellt, denn heute soll im Lagerraum ein Film gezeigt werden. Dafür wird Strom benötigt, den es ansonsten im Gefängnis nicht gibt. Internews-Rwanda, Ableger einer internationalen NGO, die die Unterstützung unabhängiger Medien zur Förderung von Demokratie auf ihre Fahnen geschrieben hat, möchte einen Film zeigen: über Gerichtsverfahren gegen Völkermörder, über Geständnisse und deren Wirkung auf den Versöhnungsprozess und über den Vorteil einer aktiven Teilnahme aller Betroffenen an der Aufklärung von Völkermordverbrechen.

      Im Lagerraum verharrt schon ein Großteil der Gefangenen. Sie sitzen entweder auf Holzbänken oder auf dem Boden, streng nach Geschlecht getrennt. Die meisten Gefangenen sind in Zivilkleidung, nur einige wenige tragen die rosafarbene Gefängniskleidung, die von der Übergangsregierung eingeführt worden ist, weil, so wird gesagt, die alte schwarze Häftlingskleidung zu sehr für das Verbrechen, für das Dunkel-Bedrohliche gestanden und das Ausgeschlossensein aus der Gesellschaft symbolisiert habe. Die Farbe Rosa hingegen löse positive Gefühle aus, sie hebe die Besserungsfähigkeit ihrer Träger hervor und sei damit auch Ausblick auf die Zukunft des Landes.

      Die Stimmung ist ernst, ruhig und wird beinahe feierlich, als ein Gefangener vortritt und ein Lied intoniert, in СКАЧАТЬ