Название: Die Jagd nach der silbernen Feder
Автор: Jan Hanser
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783865067913
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„Was ist das für ein Mensch?“, flüsterte Pepe Wald atemlos ins Ohr.
Völlig erschöpft lehnte er sich gegen die kalte Höhlenwand. Wald rang nach Atem und keuchte: „Ein Knochensammler.“
„Oh, Sie sprechen über mich?“ Der Knochensammler drehte sich um. „Ich habe mich nicht vorgestellt. Wie unhöflich von mir. Ich bedauere es zutiefst. Entschuldigen Sie bitte, hohe Herren. Ich meine fast, auch Sie hätten es ein klein wenig eilig gehabt. Wie auch immer.“ Er wischte mit seiner Hand durch die Luft und die Grubenlampe flackerte. „Mein Name ist Geiswind. Geiswind, der Knochensammler.“
Pepe warf einen fragenden Blick in Walds sorgenvolles Gesicht.
Der Knochensammler umklammerte seinen Knochen und senkte den Kopf. „Ja, ja“, murmelte er halblaut, „die feinen Herren halten nicht viel von unsereins. Ja, ja. Es muss wohl so sein.“ Er schüttelte seinen Kopf und Pepe befürchtete beinahe, dass ihm dieser vom Hals fallen würde. Die Haut des Alten war fast durchsichtig, dünn und zerknittert. Nur über seinen hohen Wangenknochen spannte sie sich. Sein graues Haar war von verblassten roten Strähnen durchzogen. Es fiel ihm bis über die Schultern und rahmte einen Bart ein, der, struppig wie ein Sanddornbusch, über sein Gesicht wucherte. Er war nur wenig größer als Pepe und seine ganze Gestalt wirkte eingesackt. Vielleicht ist er einmal ein stolzer Mann gewesen?, dachte Pepe und betrachtete Geiswinds langen dunklen Mantel.
„Wir müssen weiter. Geht dicht hinter mir“, sagte der Knochensammler mit seiner trockenen Stimme und wandte sich zum Gehen.
„Halt! Wohin führst du uns, Mann?“, unterbrach Wald seinen Gang.
Geiswind drehte sich erneut um. Wald blickte ihm direkt in die Augen.
„Dieser Stollen wurde in den uralten Zeiten von Zwergen gegraben.“ Er hielt inne, um sich eine rote Strähne aus dem Gesicht zu wischen. „Auf der Suche nach Eisenerz trieben sie ihre Schächte durch das halbe Brachtland. Das Felsenmeer verdankt seinen Ursprung diesen alten Stollen. Sie wurden marode, stürzten ein und verwandelten die Landschaft.“
Wald verzog misstrauisch das Gesicht.
„Keine Sorge“, antwortete der Knochensammler. „Dieser Bereich ist stabil.“ Wie zur Bestätigung stieß er seinen Knochen hart auf den steinernen Boden. Ein dumpfes Dröhnen hallte durch den unterirdischen Gang. Dann streckte Geiswind seinen Arm aus und leuchtete mit der Grubenlampe in die Tiefe des Stollens. Pepe sah nur Schwärze. Der Knochensammler fuhr fort: „Etwa zwei Stunden strammen Fußmarsches weiter vorne gibt es eine Steige. Sie führt zu einem unterirdischen Seitenarm der Bracht. Dort könnt ihr mein altes Floß nutzen und zum Hauptfluss zurückgelangen …“
Wald ging einen schnellen Schritt auf Geiswind zu. „Wieso sollten wir dir trauen?“, unterbrach er den Alten unwirsch.
Geiswind senkte den Kopf. Wie ein Zischen schoss es aus seinem faltigen Mund: „Ich kann euch gerne wieder die Tür nach draußen öffnen. Entscheidet euch.“
In den Augen des Knochensammlers blitzte ein Funkeln auf, das Pepe nicht deuten konnte. So sehr er sich anstrengte, er konnte in der Tiefe dieser schwarzen Seele nichts lesen.
„Ich warne dich!“, knurrte Wald. „Führ uns durch den Berg! Und keine Fallen! Verstanden? Wir brauchen unsere Knochen noch!“
Die Wände der Schächte blieben so eng wie zu Beginn. Wald schienen seine sechs Läufe in dieser Umgebung eher hinderlich als dienlich zu sein. Seine Laune verschlechterte sich zusehends. In stummem Marsch gingen sie hintereinanderher. Die Lampe des Knochensammlers hatte von Anfang an nur dämmrig geleuchtet und nach knapp einer Stunde schien ihr Licht langsam zu erlöschen.
„Es ist gleich so weit“, krächzte Geiswind. Als die eiserne Grubenlampe zu flackern anfing, blieb er stehen, wandte sich nach rechts und kramte in seinem Mantel. Mit einem rostigen Schlüssel schloss er eine kleine hölzerne Tür auf, die sich knarrend öffnete. Der Knochensammler trat einen Schritt zur Seite und ließ Pepe und Wald im letzten Flackern der Lampe eintreten. Dann herrschte Dunkelheit. Sie hörten Geiswind schnarren und scharren und kurz darauf erleuchteten drei Öllampen den Raum.
Pepe blickte um sich und entdeckte eine beeindruckende Knochensammlung. Da standen mehrere Wiesendschädel an die Wände gelehnt und daneben riesige Oberschenkelknochen der längst ausgestorbenen Waldschrate. Auf einem hölzernen Schemel lag der flache Schädel eines Nebelparders neben dem gedrungenen Schädel eines Brillenbärs. Körbe voller Ellenbogen und kleine Schälchen mit Haifischzähnen bedeckten den Boden des Raumes. Hühnerknochen hingen, an Schnüren aufgereiht, unter der Decke und Töpfe voller Knochenstaub und Knorpelasche reihten sich ringsum auf den Regalen.
Während die beiden Gefährten sich erschöpft setzten, entzündete der Knochensammler ein kleines Kohlenfeuer. Er nahm einen leeren eisernen Topf aus einem der unzähligen Regale und füllte ihn mit Vogelknochen, die er von der Decke klaubte. Dann goss er kristallklares Wasser darauf und stellte den Topf auf die glühenden Kohlen. Er bewegte sich so flink, als würde er dieses Ritual mehrmals täglich durchführen.
Schließlich setzte sich auch er ans Feuer. Aus den Tiefen seiner Manteltasche kramte er eine winzige Flöte, schlicht aus einem Rinderknochen geschnitzt, heraus. Pepe lauschte den tiefen traurigen Tönen, die aus der Flöte krochen und die dunkle Luft mit ihrem trüben Klang beschwerten. Seine Augen wurden schwer.
„Nicht einschlafen!“ Wald stieß ihn von der Seite an. Pepe fröstelte. Er wusste nicht, wie lange der Knochensammler gespielt hatte. Doch als dieser offenbar meinte, er hätte genug Trübsinn in seine dunklen Gänge hinausgeflötet, nahm er den Topf mit den Knochen vom Feuer und füllte die Brühe in drei matte Schalen. Eine Handvoll Feigen kam aus seiner Manteltasche zum Vorschein, die er mit seinen langen dürren Fingern neben die Schälchen legte.
Die Suppe schmeckte fad und wässrig, aber wider Erwarten nicht schlecht. Die Feigen waren trocken, aber voller Geschmack. „Was gäbe ich jetzt für ein Stück Speck und Ziegenkäse“, grunzte Wald, verschlang die heiße Suppe jedoch gierig.
Satt, erschöpft und schläfrig lehnten sie sich mit dem Rücken an die kalten Felswände. Doch der Knochensammler erhob seine rauchige Stimme: „Zeit, aufzubrechen.“
Er füllte seine Grubenlampe und die Gefährten brachen schweigend auf. Sie marschierten zügig durch die dunklen verlassenen Schächte. Nach einer guten Stunde erreichten sie eine schmale Stiege, die abwärtsführte. Geiswind leuchtete mit seiner Grubenlampe in den dunklen, steil abfallenden Schacht und grunzte: „Brecht euch bloß nicht die Knochen.“
Langsam und vorsichtig stiegen sie abwärts. Nach einigen Metern vernahm Pepe ein fernes Gluckern. Mit jedem Schritt wurde das Glucksen lauter, kam näher, und als er meinte, schon neben einem Bach zu stehen, erreichten sie ein hohes Gewölbe. Pepe konnte die Decke nicht ausmachen. Die Höhle schien sich weit auszustrecken. Ganz in ihrer Nähe floss träge ein schwarzer Fluss. Das Licht der Grubenlampe schimmerte schwach auf seiner Oberfläche.
Geiswind führte sie etwa hundert Schritte flussaufwärts und kniete am felsigen Ufer neben einem alten Floß nieder. „Hier ist es.“ Er band den verwitterten Strick, der das Floß am Ufer hielt, los. „Steigt auf. Aber Vorsicht! Es hat schon bessere Tage gesehen.“
Skeptisch betrachtete Wald die modrigen Planken. „Das ist nicht dein Ernst, Knochensammler?“ Seine Augen durchbohrten СКАЧАТЬ