Название: Die Jagd nach der silbernen Feder
Автор: Jan Hanser
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783865067913
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Während sie nebeneinander auf der rauen Felsplatte standen und das kühle Wasser der Bracht ihre Füße umspülte, wurde Pepe sich sicher, dass sie jeden Verfolger abgehängt hatten. Wenn es überhaupt welche gegeben hatte.
Pepe schwang sich auf Walds Rücken. Den Fluss entlang ging es durch das erwachende Land. Aus den Bäumen und Büschenklang das erste Morgenlied der Vögel. Das gleichmäßige Hämmern eines Spechtes drang aus einer kleinen Waldgruppe von links zu ihnen herüber. Pepe sah ein Spinnennetz, in dessen Fäden der Tau die ersten Sonnenstrahlen einfing. Wie Hunderte tropfenförmiger Diamanten schwebten sie im reinen Licht des anbrechenden Morgens. Kurz nach Sonnenaufgang zwang sie ein dichtes Brombeergebüsch, die Ufer der Bracht zu verlassen und sich westlicher zu halten.
Pepe überredete seinen Gefährten zu einer kurzen Rast, um eine Handvoll Beeren zu pflücken. Das war nicht schwer, denn Welfen lieben, wie ich nebenbei erwähnen möchte, Beeren über alles. Natürlich geht ihnen nichts über ein saftiges Stück Fleisch oder knusprig gebratenen Speck mit Salbei, Eiern und Butterkartoffeln, doch beim Anblick von Johannisbeeren, Blaubeeren, Himbeeren, Myrbeeren und all den Beeren, die es im Brachtland in Hülle und Fülle gibt, lacht ihr Herz.
Pepe glitt von Walds Rücken herunter und stakste durch die fast kniehohen Gräser. Gemütlich machte er sich daran, eine Brombeere nach der anderen in Walds Satteltasche verschwinden zu lassen.
„Du solltest auch auf deinen Gefährten achten“, schmunzelte Wald ihn an. „Weißt du nicht mehr? Die erste Regel lautet …“
Pepe grinste: „Ich hab verstanden, Wald!“
Ab nun wanderte nur noch jede zweite Brombeere in die Satteltasche. Alle anderen fanden den direkten Weg in Walds hungriges Maul. Er schmatzte genüsslich. Pepe reckte sich. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und beugte sich weit nach vorne, um für seinen Freund nur die süßesten und dicksten Beeren aus dem stacheligen Buschwerk zu angeln.
Zufrieden lag Wald im Gras. Pepe lehnte sich an seinen breiten Rücken und schob sich eine Beere nach der anderen in den Mund.
„Pssst … schau mal da drüben“, flüsterte Wald ihm zu. „Wir werden beobachtet.“
Pepe wandte vorsichtig den Kopf und entdeckte einen jungen Fuchs, dessen Kopf keck hinter einem abgestorbenen Baumstamm hervorlugte. Misstrauisch hatte der Kleine seine lange Stirn zusammengezogen und seine großen Ohren weit aufgestellt. Pepe konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Rötlich schimmerndes Fell umschloss die schmale weiße Fuchsschnauze, die von einer zierlichen schwarzen Nase gekrönt wurde. Pepe blickte in dunkle bernsteinfarbene Augen. Leicht umwehte der Wind das zarte Buschwerk hinter dem Fuchs. Pepe blinzelte. Der Fuchs war verschwunden.
Walds Maul entwich ein sattes und zufriedenes Grunzen. Müde und doch angetrieben von dem Wunsch, den Treffpunkt im Siebengebirge möglichst bald zu erreichen, brachen die beiden Gefährten mit prall gefüllten Taschen auf.
Nach einer halben Stunde begann das Gelände abzufallen und der Boden wurde steiniger. Vereinzelte Felsbrocken, die schroff aus dem Boden ragten, begannen nun ihren Weg zu säumen. Dichtes pelziges Moos überwucherte das Gestein. Karge Fichten drängten aus dem felsigen Boden hervor und klammerten sich mit ihrem dünnen, zähen Wurzelwerk – wie mit knöchernen Fingern – in die feinsten Ritzen.
Mit jedem Schritt zog sich das üppige Weideland zurück. Langgewachsene Halme schmiegten sich um dicht gestreute Gesteinsbrocken in allen Größen und Formen. Sie ritten auf dem abfallenden Weg in eine Schlucht hinein, deren Wände sich zusehends höher und höher in den Himmel reckten. Feuchte Felsformationen erhoben sich und dämpften das Licht und die Wärme der Sonne. Nur vereinzelt wagten sich einige zarte Strahlen in die Tiefe der Schlucht und schimmerten in braun goldenen Tönen auf den klammen Felswänden. Ein Duft von nasser Erde und modrigem Laub tränkte die Luft. Dichte Farnbüschel duckten sich in die aufsteigenden Felswände hinein und breiteten ihr zarten, weit gefächerten Blätter aus.
Vorsichtig setzte Wald einen Lauf vor den anderen. Es mochte wohl eine halbe Stunde vergangen sein, als die Schlucht sich langsam und kaum merklich zu einem riesigen grünbraunen Trichter weitete. Bald schon erreichten sie einen alten Buchenwald. Die schmalen Stämme wuchsen kerzengerade zwischen den Steinen in den Himmel. Hellgrünes mattes Licht drang durch das Laubwerk und durchflutete sanft die sich vor ihnen ausbreitende, dicht bemooste Felsenlandschaft. Pepe stieg ab. Der Boden war von großen runden Felsbrocken aller Größen bedeckt. In der Ferne meinte Pepe das leise Glucksen eines Baches zu vernehmen. Brocken an Brocken scharten sich die Felsen. Sie fielen in sanfte Steintäler ab, schmiegten sich aneinander, lagen hoch aufgetürmt, erhoben sich und sanken, wogten, schienen seltsam bewegt und hielten doch versteinert inne.
Kreuz und quer über den Felsen lagen umgestürzte Bäume, manche flach, andere aufragend wie Spieße. Von dichtem Moos und Pilzen überzogen schienen sie ihre letzte Ruhe gefunden zu haben.
Pepe lachte hell in Walds Ohr: „Es sieht so aus, als hätten sich hier zwei Riesen amüsiert.“ Er zeigte mit seinem Arm auf die wild verstreuten Baumstämme. „Wahrscheinlich haben sie sich die Zeit mit einer Runde Gigantenmikado vertrieben.“
„Hör mir auf mit Riesen.“ Schmunzelnd schüttelte Wald den Kopf.
Wald ging nur noch im Schritttempo. Ein Weg war nicht mehr auszumachen. Tiefe Klüfte und Spalten, nur von losem Zweigwerk und feuchtem Laub abgedeckt, taten sich rechts und links eines jeden Fußtritts auf. Die Buchen lichteten sich zusehends. Bald schon erreichten sie den Waldrand. Vorsichtig traten sie aus dem Schutz der Bäume heraus.
Vom gleißenden Licht der Sonne geblendet, verengte Pepe seine Augen zu Schlitzen. Vor ihnen breitete sich ein gigantisches Felsenmeer, durchflutet vom hellen Licht des späten Vormittages, in seiner ganzen Weite aus. Staunend und mit offenstehenden Mündern hielten die beiden Gefährten inne.
Pepe entdeckte Felsbrocken, die aussahen wie erstarrte Robben. Ein riesiger schlafender Walfisch lag reglos versteinert zwischen klippenartig aufragendem Gestein. In seiner Phantasie sah Pepe mächtige Walrösser, Riesen mit abgetrennten Schädeln und liegende Säulen, wie aus riesigen Vorhallen längst vergangener Zeiten. Du hättest wahrscheinlich noch so viel mehr entdecken können. Hast du schon einmal im Gras gelegen und in den Wolken die tollsten Dinge entdeckt? Ganz bestimmt! Ja, so erging es auch Wald und Pepe. Sie kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus.
In der Mitte des Felsenmeeres entsprang ein kleiner Bach, der sich, in der Sonne glitzernd, durch sein schmales Kiesbett schlängelte. Wenige knorrige Büsche krallten sich mit langen dünnen Fingern in die Felsen. In der Ferne – Pepe meinte, es müsse im Westen sein – gaben die Felswände eine schmale Klamm ins Freie preis. Dort hindurch schlängelte sich, in sein tiefes Bett eingegraben, das glitzernde Bächlein. Mit zusammengekniffenen Augen ließ Pepe seinen Blick durch das Rund der Schlucht schweifen. Es schien ihm, als würden vereinzelte Pfade in einem halsbrecherischen Zickzackkurs die Steilwände hinunterführen. Sie waren kaum einen Fuß breit und immer wieder versperrten Gesteinsbrocken diese kleinen steilen Stege.
Es wird ein heißer Tag werden, dachte Pepe und wischte sich mit seinem Ärmel den Schweiß aus der Stirn. Er stieg von Walds Rücken und schwitzend begannen sie, über die gewaltigen Kieselsteine zu klettern. Wald war dieser Weg gar nicht recht und er knurrte unzufrieden vor sich her: „Klettern ist was für kleine Jungs und Affen. Ich brauche weites Land. Welfen sollten laufen und nicht klettern.“
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