Название: Rebellen
Автор: Uwe Schimunek
Издательство: Автор
Жанр: Контркультура
isbn: 9783955520458
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«Vielen Dank», erwiderte Kappe und ging in Richtung Wohnzimmer. Vor der Dame blieb er stehen. Es kam ihm vor, als hätte er Bleigewichte in den Schuhen. «Frau Buddewitz, darf ich annehmen?», fragte er.
«Entschuldigen Sie bitte!», antwortete der Hausherr an ihrer Stelle. «Darf ich vorstellen? Meine Ehefrau Inge. Wir haben die Polizei nicht oft zu Gast.»
Kappe nickte nur und trat an Inge Buddewitz vorbei ins Wohnzimmer. Landsberger folgte ihm.
Die Einrichtung zeugte vom Geschmack der Bewohner. Das Abendlicht drängte durch eine große Fensterfront und fiel auf eine Sitzgruppe in der Mitte des Raums. Imposante Bücherregale mit Prachtausgaben der Klassiker zierten eine Wand. Kappe entdeckte aber auch einige Kriminalromane, ganz am Rand der Bücherreihe stand der Titel Einer will’s gewesen sein vom Berliner Autor -ky. An der Wand gegenüber hing ein übermannshoher impressionistischer Kunstdruck – Monet oder Renoir, vermutete Kappe. Darunter stand auf einer Holzanrichte eine ganze Sammlung erlesener Nordmende-Technik: ein Fernsehgerät, ein Plattenspieler, ein Kassettenrekorder.
«Setzen Sie sich doch bitte.» Buddewitz wies auf das Sofa.
Kappe und Landsberger nahmen Platz. Kappe wartete, bis auch Buddewitz und seine Frau auf den Sesseln am Couchtisch saßen. Dann atmete er tief durch. «Frau Buddewitz, Herr Buddewitz, wir sind hier, weil wir Ihnen eine traurige Nachricht überbringen müssen. Herr Reinhard Buddewitz ist verstorben.» Kappes Mund fühlte sich so trocken an wie am Morgen nach einer durchzechten Nacht. Er schaute in die Gesichter des Ehepaares. Frau Buddewitz hatte eine Hand vor den Mund geschlagen und starrte mit aufgerissenen Augen an ihm vorbei. Der Herr des Hauses verharrte regungslos auf dem Sessel. Die Abendsonne spiegelte sich in Buddwitz’ Brille, deshalb sah Kappe seine Augen nicht.
«Ihr Bruder ist vermutlich an einem Stromschlag verstorben, Herr Buddewitz», erklärte Landsberger. «Den genauen Hergang ermitteln wir gerade. Daher haben wir einige Fragen an Sie. Wenn Sie sich jetzt nicht in der Lage für ein Gespräch fühlen, können wir aber auch später reden.»
«Nein, nein.» Buddewitz sprach so leise, dass Kappe ihn kaum verstand. «Fragen Sie nur.»
«Also gut.» Landsberger zückte sein Notizbuch. «Können Sie uns zunächst bitte sagen, wie Ihr Verhältnis zu Ihrem Bruder war?»
«Natürlich. Wir waren die Letzten der Familie. Deswegen haben wir versucht, den Kontakt nicht abreißen zu lassen. Alle vierzehn Tage kam mein Bruder am Sonntag zu uns, und wir haben gemeinsam zu Mittag gegessen.» Buddewitz blickte zu seiner Frau. Diese nickte zur Bestätigung, sagte aber nichts.
«Gibt es jemanden, den wir noch informieren sollten, eine Partnerin oder Ähnliches?», fragte Kappe.
«Nicht, dass ich wüsste.»
«Könnten Sie uns näher erläutern, was Ihr Bruder in letzter Zeit beruflich getan hat?», fuhr Kappe fort.
«Er war selbstständig und hat als Tontechniker gearbeitet.»
«War er erfolgreich damit?»
«Ich glaube, er genoss einen guten Ruf in seinen Kreisen. Er hatte regelmäßig Aufträge im Konzerthaus ‹B-Rock›. Das ist wahrlich nicht meine Musik, aber sie hat ihr Publikum. Manchmal hat er uns Freikarten angeboten, und gelegentlich haben wir davon sogar Gebrauch gemacht.»
«Es ist nur …» Kappe suchte nach den passenden Worten. Er wies auf die Einrichtung im Wohnzimmer. «Seine Bleibe wirkt im Verhältnis zu Ihrem Haus etwas … schlicht.»
«Ach, wissen Sie …», Buddewitz klang so, als ob er über dieses Thema schon Hunderte Male gesprochen hätte, «… mein Bruder hatte andere Prioritäten. Er wollte unbedingt ein eigenes Studio haben. Deswegen hat er diese Hinterhofbaracke in Kreuzberg gemietet. Und das ganze Zeug darin hat er gekauft. Sie glauben ja nicht, was alleine sein Mischpult gekostet hat! Nein, nein, soweit ich das einschätzen kann, war Reinhard nicht arm im eigentlichen Sinne.»
«In welchem dann?», fragte Landsberger.
«Nun, seine im Grunde nicht allzu knappen Einnahmen reichten nicht für die enorm teure Musiktechnik, auf die er Wert legte. Dafür hätte wohl kein Geld der Welt genügt.»
Kappe dachte an die vielen Gerätschaften, die in der Behausung des Toten zum Teil offen neben dem Mischpult herumstanden. «Letztlich ist ihm diese Technik wohl zum Verhängnis geworden. Möglicherweise hat ihn der Stromschlag bei der Arbeit mit einem defekten Apparat getroffen.»
«Niemals!», rief Frau Buddewitz. Kurz schien sie selbst erschrocken über ihren plötzlichen Ausbruch zu sein. Dann fuhr sie mit einem Zittern in der Stimme fort: «Reinhard war stets äußerst genau bei seiner Arbeit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er mit defekter Technik gearbeitet hat.»
Gery verlegte die Kabel für die Schlagzeug-Mikrofone im Aufnahmeraum der Spreeblick-Studios. Die Band wünschte sich die Aufnahmen auf die amerikanische Art. Dabei wurden die Mikros möglichst nah an den Trommeln und Becken platziert. So entstand ein wuchtiger, harter, aber weniger natürlicher Klang. Gery wusste, dass Buddy diese Variante im Studio bevorzugte, während viele andere Tontechniker Wert auf den Klang des Raumes legten. Inzwischen hatte Gery den Assistentenjob oft genug gemacht, um sicher zu sein, wo Buddy die Mikros platziert haben wollte.
Alle paar Meter fixierte Gery die Kabel mit Panzerklebeband an der Fußleiste. Dabei ließ er sich aus zwei Gründen Zeit. Erstens saßen die Musiker mit riesigen Joints und jeder Menge Bier im Regieraum. Und je länger die sich da drüben abschossen, desto größer wurde die Gefahr, dass sie später über die Kabel stolperten. Zweitens ließ Buddy auf sich warten. Dabei war der Tonmeister eigentlich die Zuverlässigkeit in Person.
Stück für Stück arbeitete sich Gery mit den Kabeln bis zum Schlagzeug vor. Währenddessen dachte er an Debbie. Im Vergleich zu ihrem Gespräch soeben im Café verfügte selbst ein Termin bei einem Finanzberater über eine persönliche Note. Wie eine Geschäftsfrau hatte sie darauf gedrungen, ausschließlich über ihren Text zu reden. Der handelte vom Ende der Welt. Und die Zeit bis dahin blieb ohne Sinn – das sagten zumindest ihre Verse. Gery teilte diese Ansicht nicht. Doch an Versmaß und Rhythmus ihres Textes gab es nicht viel auszusetzen.
Gery erreichte das Schlagzeug. Die Trommeln waren mit goldenem Glitzer überzeugen. Auf der Basstrommel prangte der Schriftzug The Golden Youth. Vermutlich trug die Band den Namen schon seit Jahrzehnten. Gery richtete das Mikro an der Schlagtrommel auf das Fell aus und schaute anschließend durch die Glasscheibe in den Regieraum. Die Kerle da draußen sahen nicht so aus, als wären sie das erste Mal in einem Tonstudio. Mit ihren langen Haaren und den hellen Hemden über den ausgewaschenen Jeans gingen sie glatt als Berufsjugendliche durch. Dabei waren die fünf Männer sicher schon über dreißig.
Die Tür öffnete sich, und der Studioleiter betrat den Aufnahmeraum. Wie heißt der gleich wieder?, fragte sich Gery. Buddy hatte den Namen mal erwähnt, aber anschließend immer nur vom «Boss» gesprochen.
«Komm mal her, Junge!», forderte ihn der Boss auf und schloss die Tür hinter sich. Er trug eine Anzughose und hatte sein Hemd so weit geöffnet, dass die Goldkette auf seiner Brust zu sehen war.
Gery stand auf und überlegte, ob er den Boss auch duzen sollte, entschied sich aber dagegen.
«Wir müssen den Jungs da draußen was für ihr Geld bieten. Traust du dir zu, den Drumsound einzurichten?» Der Mann flüsterte, als wäre der Raum nicht schalldicht.
Gery СКАЧАТЬ