Название: Es ist kompliziert
Автор: Rachel Held Evans
Издательство: Автор
Жанр: Биографии и Мемуары
isbn: 9783865069146
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„Einmal musste ich eine Zwiebel wie einen Apfel essen. Warum, weiß ich nicht mehr.“14
Die Jugendgruppe der Grace Bible Church hatte das Glück, dass Brian unter einer schwachen Angststörung litt und deswegen Jugendgruppenspiele ebenso wenig leiden konnte wie wir. Daher wurden wir ihnen nur bei Veranstaltungen wie dem im Camp Maxwell ausgesetzt, wo wir schreckerstarrt zusahen, wie andere, sonst eigentlich völlig normale Teenager, versuchten, mit ihren Zähnen Kaugummis von den Sohlen ihrer Turnschuhe abzuziehen.
An dem kühlen Abend, an dem sich unsere Geschichte zutrug, war das Spiel, das zwischen der Jugendgruppe der Grace Bible Church und dem Klospülkastenpreis stand, natürlich „Chubby Bunny“. Bei Chubby Bunny geht es darum, dass sich mehrere „Freiwillige“ so viele Marshmallows wie möglich in den Mund stopfen und versuchen, „Chubby Bunny“ zu sagen, ohne sich zu übergeben oder daran zu ersticken. Die Person, die das mit den meisten Marshmallows im Mund schafft, gewinnt.
Jetzt war es so, dass wir, die Jugendgruppe der Grace Bible Church, Chubby Bunny hassten. Wir waren zu cool für Chubby Bunny. Wir durchschauten die heimtückische List. Aber wir brauchten jemanden, der für uns Chubby Bunny spielte, wenn wir den Klospülkastenpreis gewinnen und die anderen Jugendgruppen ein für alle Mal auf ihre Plätze verweisen wollten.
Während die Wettbewerber ihre Delegierten unter Jubelrufen auf die Bühne schickten, saßen wir still in unseren fünf hölzernen Bankreihen und scharrten mit den Füßen in den Sägespänen.
„Wir brauchen einen Freiwilligen von der Grace Bible Church!“, rief jemand mit viel zu vielen Gummiarmbändern am Handgelenk ins Mikrofon.
Namen wurden geflüstert. Blicken wurde ausgewichen. Brian sah so verängstigt aus wie wir anderen auch.
Dann kam von ganz hinten eine ruhige, sichere Stimme.
„Ich mach’s.“
Wir drehten uns alle um.
Mike war ein Junge aus der letzten Reihe wie aus dem Bilderbuch. Er war groß und rothaarig, hatte ein freches Mundwerk und war ein echter Draufgänger, der sich seine Zeit so einteilte, dass er sie wahlweise beim Nachsitzen oder in der Notaufnahme verbrachte. Wenn Mike etwas nicht mochte, teilte er das mit, und Mike mochte weder die Gemeinde noch die Schule noch Camp Maxwell besonders. Aber er hatte ein sanftes Zwinkern in den Augen, und er hatte so einen schrägen, punktgenauen Witz, dass selbst wir Bibelnerds ihn mochten. Ich weiß, dass ich nicht das einzige Mädchen war, das es genoss, ihm ein Lächeln auf die trotzigen Lippen, über das sommersprossige Gesicht, das kantige Kinn und diese dicken Backen zu zaubern … Backen, die für Chubby Bunny wie geschaffen waren.
Ohne ein weiteres Wort marschierte Mike den Mittelgang hinunter und nahm seinen Platz zwischen einem Mädchen in ausgebeulten Latzhosen aus Birmingham und einem völlig verängstigten Junior-High-Schüler aus Huntsville ein. Sie zwangen ihn, einen Müllsack wie ein Schlabberlätzchen zu tragen. Er war unsere Katniss Everdeen, der Tribut, den wir zollen mussten. Unnötig zu sagen: In diesem Jahr gewannen wir den Klospülkastenpreis zum dritten Mal in Folge.
Und so kam es, dass ein Mädchen, das in der Bereitschaft, zu sterben, zur Schule ging, vor Begeisterung kreischte, während Mike-aus-der-letzten-Reihe sich im Ringen um den Klospülkastenpreis Marshmallows ins Gesicht schob. Ich schreibe jedes bisschen Sozialkompetenz in meinem Leben Brian Ward und meiner Zeit in der Jugendgruppe der Grace Bible Church zu. Zu einer Zeit, in der die meisten meiner Altersgenossen sich damit abmühten, herauszufinden, wer sie waren, wusste ich ganz genau, wer ich war: das Kirchenmädchen, das Mädchen, das immer einen Platz in ihrer Jugendgruppenfamilie hatte, das Mädchen, das für Gott in Flammen stand. Ich weiß nicht, ob ich den Wert dieser Gemeinschaft, dieses Zugehörigkeitsgefühls und des Wissens, dass ich geliebt bin, je richtig einschätzen kann.
Es kam mir nie in den Sinn, dass solch ein Feuer ausgelöscht werden könnte.
FÜNF
Genug
Die meisten von uns finden auf Wegen zur Kirche, die die Kirche nicht erlaubt.
– Flannery O’Connor
Ich habe nie jemanden kennengelernt, der sich so sehr auf seine Taufe freute wie Andrew.
„Nur noch 13 Tage!“, sang der 19-Jährige, als würde er die Tage bis zu einer Abschlussfeier oder einer Hochzeit zählen. „Willst du kommen?“
„Den ganzen weiten Weg aus Tennessee?“, scheute ich zurück und reichte ihm die größere Hälfte des Brownies, den ich gerade für uns geteilt hatte. „Das ist ein hübsches Stück zu fahren bis nach St. Louis.“
Wir saßen um einen runden Klapptisch im verlassenen Keller einer Methodistengemeinde in Columbia, Missouri, wo wir die Nachmittagseinheit der Konferenz, die wir besuchten, schwänzten, um stattdessen als selbst ernannte Gastronomie-Kritiker das vom Mittagessen übrig gebliebene Gebäck zu verkosten. (Wenn die Baptisten den Vogel abschießen, was hausgemachtes Chili angeht – und das tun sie –, dann machen die Methodisten das in Sachen Feingebäck. Ich habe noch nie eine methodistische Zitronenschnitte gegessen, die ich nicht gemocht hätte.) Wir hatten uns, nach meinem Vortrag früher am selben Morgen, getroffen, als Andrew – ein blonder Collegestudent mit Grübchen und treuer Leser meines Blogs – mich im Hörsaal in einer Bärenumarmung umschloss und ausgelassen lachte. „Das ist schon in Ordnung“, versicherte ich den verblüfften Umstehenden. „Wir kennen uns aus dem Internet.“
„Ich habe ehrlich nie gedacht, dass ich mich je taufen lassen würde“, bekannte Andrew, während er seine Browniehälfte musterte. „Ich habe nicht geglaubt, dass ich je gut genug dafür sein könnte.“
„In was für einer Gemeinde bist du denn aufgewachsen?“, fragte ich.
Statt einer Antwort zog Andrew sein Smartphone heraus, scrollte eine Weile durch die Fotos, fand, was er gesucht hatte, und reichte mir dann sein Telefon. Auf dem gesprungenen Bildschirm prangte das Bild des Vorworts eines Gemeindebriefs. Nachdem ich reingezoomt hatte, konnte ich erkennen, dass es in dem Artikel um gleichgeschlechtliche Beziehungen ging, die der Autor als widerwärtig bezeichnete. Links neben der Überschrift schaute mich ein silberhaariger Mann in Anzug und Krawatte aus Augen an, die mir sehr bekannt vorkamen.
„Das ist mein Dad“, sagte Andrew. „Er ist Pastor und hat das gleich nach meinem Coming-out veröffentlicht.“
Mein Herz sank. Für jede Jugendliche wie mich, die in ihrer Gemeinde nur Liebe und Akzeptanz erfahren hatte, gibt es irgendwo einen Teenager wie Andrew, der sich wie ein Fremder in den Kirchenbänken fühlte, ein Fremder sogar bei sich zu Hause.
Andrew wuchs als sechstes von sieben Kindern in einer kleinen, fundamentalistischen presbyterianischen Kirche in den Südstaaten auf, wo sein Vater als Pastor diente. Es gab vieles, das Andrew an seiner eng gestrickten Glaubensgemeinschaft liebte – ihre Konzentration auf die Bibel, wie sie sich der Evangelisation verpflichtet fühlte, ihre familiäre Atmosphäre –, aber als Andrew langsam in die Pubertät kam, merkte er, dass er mit einigen der gesetzlicheren Auslegungen der Kirche nicht einverstanden war, besonders damit, dass sein Vater moderne christliche Musik verbot und darauf bestand, dass in der Kirche und auch zu Hause nur die King-James-Übersetzung benutzt wurde. Während sein Vater Ehrfurcht, Gerechtigkeit und Selbstkontrolle betonte, hatte Andrew schon immer einen zarten, offenen Geist und eine СКАЧАТЬ