Название: Ins Weiße zielen
Автор: Ricardo Piglia
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783803143297
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Rasend vor Wut sprang der Chino vom Pferd und schrie, er sei beim Start benachteiligt worden.
»Der Start war einwandfrei«, erwiderte der Kommissar gelassen. »Der Mono hat gewonnen, wenn auch knapp.«
Ein heftiger Tumult brach aus, und inmitten des allgemeinen Durcheinanders begann der Chino mit Ledesma zu streiten. Zuerst warf er ihm Beleidigungen an den Kopf, dann wollte er ihn schlagen, doch Ledesma, der groß und schlank war, hielt ihn auf Distanz, indem er einfach seine Hand gegen die Stirn des kleinen Jockeys drückte, der wütend um sich schlug und trat, ohne einen Treffer landen zu können. Schließlich ging der Kommissar dazwischen, schrie die beiden an, und der Chino beruhigte sich allmählich wieder. Er klopfte seine Kleidung ab und sah Croce an.
»Ist das wahr, dass das Ihr Pferd ist?«, fragte er. »Das Pferd vom Kommissar schlägt hier niemand.«
»Von wegen Pferd des Kommissars«, antwortete Croce. »Wenn ihr verliert, sagt ihr, dass alles abgesprochen war, aber wenn ihr gewinnt, ist natürlich alles mit rechten Dingen zugegangen.«
Alle waren aufgebracht und stritten heftig miteinander, und die Wettgewinne waren noch immer nicht ausbezahlt worden. Die Schwestern hatten sich auf die Leinenstühle gestellt, um besser sehen zu können, was vor sich ging. Dabei stützten sie sich auf Duráns Schultern, der zwischen den beiden stand und lächelte. Der Großgrundbesitzer aus Luján wirkte gelassen, während er sein Pferd am Zaum festhielt.
»Ganz ruhig, Chino«, sagte er zu dem Jockey und wandte sich an Ledesma. »Der Start war nicht ganz einwandfrei. Mein Pferd ist kurz ins Straucheln gekommen, und Sie« – er schaute Croce an, der sich eine Toscano angezündet hatte und wütend an ihr sog – »haben das gesehen, aber trotzdem das Zeichen gegeben.«
»Und warum haben Sie das nicht gleich gesagt und ›Fehlstart‹ gerufen?«, fragte Ledesma.
»Weil ich ein Ehrenmann bin. Wenn man mich zum Verlierer erklärt, werde ich die Wetten auszahlen, aber mein Pferd bleibt unbesiegt.«
»Ich mach da nicht mit«, sagte der Jockey. »Ein Pferd hat seine Ehre und akzeptiert niemals eine ungerechte Niederlage.«
»Dieser Zwerg ist ja völlig verrückt«, bemerkte Ada verwundert. »Ein richtiger Sturkopf.«
Als hätte er sie trotz der großen Entfernung gehört, warf der Chino den Zwillingen einen dreisten Blick zu, erst der einen, dann der anderen, musterte sie hochmütig und eitel von oben bis unten und drehte sich sogar leicht in ihre Richtung, um sie direkt von vorne anblicken zu können. Ada grinste und machte mit Daumen und Zeigefinger ein provozierendes Zeichen in seine Richtung.
»Das Hähnchen muss erstmal krähen lernen«, sagte sie.
»Ich war noch nie mit einem Jockey zusammen«, bemerkte Sofía.
Der Jockey sah die beiden an und verbeugte sich in ihre Richtung. Dann ging er mit leicht wankendem Schritt, so als wäre ein Bein kürzer als das andere, die Reitpeitsche unter der Achsel, den kleinen Körper stolz aufgerichtet, zu einer Pumpe und hielt seinen Kopf unter den Wasserstrahl. Während er pumpte, betrachtete er Monito, der sich unter einen Baum gesetzt hatte.
»Du bist zu früh gestartet«, sagte er zu ihm.
»Und du redest zu viel«, antwortete ihm Monito, und sofort bauten sich die beiden voreinander auf, aber Schlimmeres geschah nicht, denn der Chino ging rückwärts zu seinem Rotbraunen und fing an, auf ihn einzureden und ihn zu streicheln, als wollte er ihn beruhigen, obwohl in Wirklichkeit er es war, der ziemlich aufgebracht war.
»Also gut, ich gebe mich geschlagen«, sagte der Großgrundbesitzer aus Luján, »aber ich habe nicht verloren. Die Wetten werden ausgezahlt, und das war’s.« Er sah Ledesma an. »Wir wiederholen das Rennen, wann immer Sie wollen, suchen Sie einen neutralen Ort aus. In Cañuelas gibt es nächsten Monat ein paar Rennen, falls Ihnen das zusagt.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Ledesma.
Doch er nahm die Herausforderung nicht an, und ihre Pferde liefen nie wieder gegeneinander. Es heißt, die Schwestern hätten den alten Belladona überzeugen wollen, das Pferd aus Luján zu kaufen – einschließlich des Jockeys –, um das Rennen zu wiederholen, doch der Alte habe sich geweigert. Aber das sind nichts als Mutmaßungen.
Dann kam der März, und die Schwestern gingen nicht mehr zum Schwimmen ins Náutico. Jetzt erwartete sie Durán immer in der Bar des Hotels, oder er setzte sie am Ortseingang ab, fuhr an der Lagune entlang und machte eine Pause in der Ladenschänke der Madariagas, um sich einen Gin zu genehmigen. Zu jener Zeit interessierten ihn die Pferderennen schon nicht mehr, so als wäre er irgendwann bitter enttäuscht worden oder als benötigte er den Vorwand nicht mehr. Fast jede Nacht sah man ihn in der Hotelbar. Er hatte sich seine sympathische, vertraueneinflößende Art bewahrt, doch allmählich begann er sich immer mehr abzusondern. Die Vermutungen und Gerüchte, weshalb er in das Dorf gekommen war, nahmen eine andere Richtung, es hieß, man habe das und das gesehen oder habe ihn gesehen, er habe das und das gesagt oder jemand anderes habe das und das gesagt, und dabei senkte man die Stimme. Immer öfter konnte man ihn zerstreut im Dorf umherirren sehen, und offenbar schien er sich wohler zu fühlen, wenn Yoshio, der ihm gleichzeitig als persönlicher Gehilfe, Cicerone und Führer diente, an seiner Seite war. Der Japaner lenkte ihn in eine unvorhergesehene Richtung, die niemandem gefiel. Während der Siesta badeten sie nackt in der Lagune. Und mehr als einmal wurde Yoshio dabei beobachtet, wie er mit einem Handtuch am Ufer wartete und Durán kräftig den Körper abrubbelte, bevor er eine Decke unter den Weiden ausbreitete und ein Picknick herrichtete.
Manchmal standen die beiden schon im Morgengrauen auf und fuhren zum Angeln an die Lagune. Sie mieteten ein Ruderboot, warfen die Angelschnur aus und betrachteten den Sonnenaufgang. Tony war auf einer karibischen Insel aufgewachsen und die Lagunen, die sich mit ihren stillen Flussarmen und kleinen Inseln, auf denen Kühe grasten, im Süden der Provinz aneinanderreihten, ließen ihn schmunzeln. Doch ihm gefielen die leeren, weiten Ebenen, die man vom Boot aus sah, jenseits der sanften Wellen, die sich zwischen den Binsen auflösten. Ausgedehnte Felder, von der Sonne versengte Weiden und hin und wieder ein kleiner Tümpel zwischen den Baumgruppen und Wegen.
Zu der Zeit hatte sich die Legende um seine Person bereits gewandelt. Er war kein Don Juan mehr, kein Glücksritter, der reichen südamerikanischen Erbinnen nachstellte. Jetzt war er ein Reisender neuen Typs, ein Abenteurer, der schmutzige Geschäfte machte, ein kühler Ganove, der mithilfe seiner Eleganz und seines amerikanischen Passes Dollars durch den Zoll schmuggelte. Er besaß eine doppelte Persönlichkeit, zwei Gesichter, zwei Wesen. Es schien unmöglich, dass sich eine der Versionen erhärtete, denn sein rätselhaftes Leben sorgte immer wieder für neue Überraschungen. Er war ein verführerischer, extrovertierter Fremder, der viel erzählte, und gleichzeitig ein geheimnisvoller Mann mit einer dunklen Seite, jemand, der in den Bann der Belladonas geraten war und dem es nicht mehr gelang, sich aus diesem Strudel zu befreien.
Das ganze Dorf beteiligte sich daran, die unterschiedlichen Versionen anzupassen und ständig zu ergänzen. Die Motive und der Blickwinkel hatten sich geändert, nicht aber die Person. Die Begebenheiten waren nicht neu, nur die Art, sie zu betrachten. Es gab keine neuen Erkenntnisse, nur andere Interpretationen.
»Aber deshalb haben sie ihn nicht umgebracht«, bemerkte Madariaga und betrachtete den Kommissar im Spiegel, der noch immer nervös im Laden auf und ab ging, die Reitgerte in der Hand.
Ein Rest Abendlicht drang durch das Fenstergitter, hinter dem sich die weite Ebene in der Dämmerung auflöste, als wäre sie aus СКАЧАТЬ