Ins Weiße zielen. Ricardo Piglia
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ins Weiße zielen - Ricardo Piglia страница 11

Название: Ins Weiße zielen

Автор: Ricardo Piglia

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783803143297

isbn:

СКАЧАТЬ dem Depot türmten sich die Überbleibsel des früheren Hotellebens: Truhen, Weidenkörbe, Handkoffer, Zaumzeug, zusammengerollte Gemälde, leere Rahmen, Wanduhren, ein Almanach von 1962 aus der Fabrik der Belladonas, eine Tafel, ein Vogelkäfig, Fechtmasken, ein Fahrrad, dem das Vorderrad fehlte, Lampen, Laternen, Wahlurnen, eine kopflose Marienfigur, ein Jesus mit wachem Blick, Matratzen, eine Kardiermaschine.

      Nichts, was Aufmerksamkeit erregen würde. Bis auf eine Fünfzig-Dollar-Note, die in einer Ecke auf dem Boden lag.

      Eigenartig. Ein neuer Geldschein. Croce steckte ihn in einen durchsichtigen Plastikbeutel, in dem sich bereits andere Beweisstücke befanden. Er betrachtete das Datum auf der Banknote. 1970er Serie.

      »Und wem gehört das Geld?«

      »Irgendwem«, antwortete Croce.

      Er betrachtete den Schein von allen Seiten, als könnte er auf diese Weise sehen, wer ihn verloren hatte. Aus Versehen? Jemand hat etwas bezahlt, und der Schein fiel auf den Boden. Möglich. Er studierte das Gesicht auf der Banknote genauer: General Grant, The Butcher, ein Trinker, ein Held, ein Verbrecher, der die Taktik der verbrannten Erde erfand, mit seinem Heer von Norden her kam und ganze Städte und Felder niederbrannte, der nur in die Schlacht zog, wenn seine Armee zahlenmäßig mindestens fünf zu eins überlegen war, und hinterher sämtliche Gefangene erschießen ließ.

      »Ulysses S. Grant, der Schlächter. Schau, wo er gelandet ist, als Geldschein auf dem Boden eines drittklassigen Hotels.«

      Er dachte einen Moment nach, den durchsichtigen Beutel in der Hand. Dann hielt er ihn Saldías wie eine Karte vor das Gesicht.

      »Siehst du? Jetzt habe ich’s kapiert … Oder besser gesagt, ich glaube, ich habe kapiert, was hier passiert ist. Sie sind hergekommen, um ihn auszurauben, sind mit dem Lastenaufzug nach unten gefahren und haben das Geld hier verteilt. Oder sie haben es irgendwo verstaut. Und in der Hektik ist ihnen der Schein runtergefallen.«

      »Sie sind nach unten gefahren?«

      »Oder nach oben«, sagte Croce.

      Wieder steckte der Kommissar den Kopf in den Schacht des Speiseaufzugs.

      »Vielleicht hat man auch nur die Kohle mit dem Fahrstuhl nach unten geschafft, und jemand hat hier unten gewartet.«

      Sie gingen durch den blau gestrichenen Gang zurück bis zu einer Glastür mit einem Gitter davor, hinter der sich in einer Art Kabine die kleine Telefonzentrale des Hotels befand.

      Croce und Saldías befragten die Telefonistin, Señorita Coca. Coca Castro – mager, sommersprossig – wusste über alles und jeden Bescheid. Sie war der bestinformierte Mensch der ganzen Gegend. Ständig wurde sie eingeladen, um zu erzählen, was sie wusste. Sie ließ sich lange bitten, doch am Ende rückte sie jedes Mal mit ihren Neuigkeiten heraus. Aus diesem Grund war sie auch ledig geblieben! Sie wusste derartig viel, dass kein Mann es wagte, sich mit ihr einzulassen. Eine Frau, die zu viel weiß, macht den Männern Angst, behauptete Croce. Gelegentlich ging sie mit den Vertretern und Handelsreisenden aus, und mit den jungen Frauen des Dorfes verstand sie sich bestens.

      Sie fragten sie, ob ihr etwas aufgefallen sei, ob sie jemanden kommen oder gehen sehen habe. Doch sie hatte nichts gesehen. Sie versuchten, noch etwas über Durán aus ihr herauszubekommen.

      »Zimmer 33 ist eins von drei Zimmern mit Telefon«, erklärte die Telefonistin. »Darum hatte Señor Durán ausdrücklich gebeten.«

      »Mit wem hat er telefoniert?«

      »Er hat nur wenige Gespräche geführt. Meistens auf Englisch. Die Anrufe kamen immer aus Trenton, New Jersey. Aber natürlich höre ich die Gespräche der Gäste nicht mit.«

      »Und heute, als er nicht abgenommen hat, wer hat da angerufen? So um zwei Uhr nachmittags, wer war das?«

      »Ein Ortsgespräch. Aus der Fabrik.«

      »Luca Belladona?«

      »Keine Ahnung, er hat keinen Namen genannt. Aber es war ein Mann. Er hat Durán verlangt, wusste aber die Zimmernummer nicht. Als dort niemand abnahm, hat er mich gebeten, es noch einmal zu versuchen. Er hat gewartet, aber es ging keiner ran.«

      »Hatte er schon einmal angerufen?«

      »Durán hat ihn ein paarmal angerufen.«

      »Ein paarmal?«

      »Ich hab die Liste. Sie können sie sehen.«

      Die Telefonistin war sichtlich nervös, bei einem Mordfall glauben alle, dass man ihnen etwas vorwerfen will. Durán sei sehr charmant zu ihr gewesen, zweimal habe er sie eingeladen, mit ihm auszugehen. Sofort dachte Croce, dass Durán irgendetwas von ihr wollte. Deshalb hatte er sie eingeladen, sie konnte ihm Informationen besorgen. Doch aus Rücksicht auf die Familie Belladona hatte sie die Einladungen ausgeschlagen.

      »Wollte er etwas Spezielles von dir wissen?«

      Die junge Frau schien sich zu verkriechen, sich einzurollen, wie der Geist in Aladins Wunderlampe, von dem nur noch ein roter Mund zu sehen war.

      »Er wollte wissen, mit wem Luca telefonierte. Das hat er mich gefragt. Aber ich konnte ihm nicht helfen.«

      »Hat er bei den Belladonas angerufen?«

      »Ein paarmal«, antwortete Coca. »Meistens hat er mit Ada telefoniert.«

      »Wir werden die Schwestern anrufen. Ich möchte, dass sie herkommen und den Toten identifizieren.«

      Die Telefonistin wählte die Nummer der Belladonas. Sie machte das zufriedene Gesicht von jemandem, der einer besonderen Situation als Protagonist beiwohnt.

      »Hallo, ja, hier ist das Hotel Plaza«, rief sie in den Hörer. »Ein Gespräch für die Señoritas Belladona.«

      Am späten Nachmittag trafen die Schwestern ein, verstohlen, als hätten sie sich nur ausnahmsweise dazu durchgerungen, das Tabu oder den Aberglauben, der sie jahrelang daran gehindert hatte, Seite an Seite im Dorf aufzutauchen, zu durchbrechen. Sie wirkten wie zwei Repliken und glichen sich so sehr, dass ihre Symmetrie fast unheimlich war. Croce und die Schwestern hatten ein sehr vertrautes Verhältnis zueinander, das weit über den normalen Umgang im Dorf hinausging.

      »Wer hat euch informiert?«

      »Staatsanwalt Cueto hat mich angerufen«, antwortete Ada.

      Sie gingen nach oben, um die Leiche zu identifizieren. Mit dem weißen Laken sah sie aus wie ein Möbelstück. Saldías hob das Laken an. Das Gesicht des Toten hatte einen ironischen Ausdruck angenommen und war bereits sehr blass und starr. Keine der beiden Schwestern sagte ein Wort. Was auch nicht nötig war, sie sollten den Mann bloß identifizieren. Er war es. Alle wussten, dass er es war. Sofía schloss ihm die Augen und trat ans Fenster. Ada schien geweint zu haben, aber vielleicht lag es auch nur an dem Straßenstaub, der sich auf ihre entzündeten Augenlider gelegt hatte. Zerstreut betrachtete sie die Gegenstände im Zimmer, die offenen Schubladen. Eins ihrer Beine zuckte nervös, es sah aus, als schnellte eine Feder in die Luft. Das Zucken hatte nicht die geringste Bedeutung, aber als er es bemerkte, musste der Kommissar an Regina Belladona denken, Lucas Mutter. Dieselbe Bewegung mit dem Bein, als bündelte sich die ganze Verzweiflung in ihrem Körper. An einem Punkt ihres Körpers. Der Sprung in einem Glas. Plötzlich kamen ihm diese sonderbaren Sätze in den Sinn, als diktierte sie ihm СКАЧАТЬ