Ins Weiße zielen. Ricardo Piglia
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Название: Ins Weiße zielen

Автор: Ricardo Piglia

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783803143297

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СКАЧАТЬ gewesen sein«, folgerte Croce.

      Der Wunde nach zu schließen musste die Tatwaffe ein Gauchomesser gewesen sein, eins von diesen langen, die die Bauern beim Grillen verwenden. Ein Jagdmesser, wie es Tausende in der Provinz gibt.

      »Wahrscheinlich hat der Täter die Waffe in die Lagune geworfen«, fuhr der Kommissar abwesend fort. »Der Grund ist voll mit Messern. Als Kind bin ich oft dort getaucht und habe jedes Mal welche gefunden …«

      »Messer?«

      »Messer und Tote. Ein Friedhof. Selbstmörder, Betrunkene, Indianer, Frauen. Leichen über Leichen. Einmal habe ich einen Alten gesehen, mit langem, schlohweißem Haar, das weiter gewachsen war und im klaren Wasser wie Seide schimmerte.« Croce schwieg einen Moment. »Im Wasser verwest der Körper nicht, nur die Kleidung löst sich auf, deshalb treiben die Toten nackt zwischen den Algen. Ich habe fahle Leichen gesehen, die auf dem Grund standen, mit offenen Augen, wie große weiße Fische in einem Aquarium.«

      Hatte er das wirklich gesehen oder nur geträumt? Wie aus dem Nichts überfielen Croce diese Halluzinationen, und Saldías begriff, dass der Kommissar mit seinen Gedanken ganz woanders war, einen Moment lang mit jemandem sprach, der gar nicht da war, und Stimmen hörte, während er wütend auf dem Stummel seiner Toscano herumkaute.

      »In nicht allzu weiter Ferne, im Alptraum der Zukunft, werden sie aus dem Wasser steigen«, sagte er geheimnisvoll und lächelte, als käme er langsam wieder zu sich.

      Sie sahen sich an. Saldías schätzte den Kommissar und wusste, dass er sich ganz plötzlich in seinen Gedanken verlor. Es dauerte einen Moment, aber er kehrte jedes Mal aus seiner Welt zurück, so als litte er unter Narkolepsie. Duráns Leiche, die immer fahler und starrer wurde, sah aus wie eine Gipsfigur.

      »Decken Sie den Verstorbenen zu«, befahl Croce.

      Saldías breitete ein Laken über ihm aus.

      »Man hätte ihn einfach auf irgendein Feld werfen können, damit ihn die Geierfalken fressen, aber jemand wollte, dass ich ihn sehe. Man hat ihn absichtlich hier liegen lassen. Aber warum?« Croce schaute sich noch einmal im Zimmer um, als sähe er es zum ersten Mal.

      Bis auf eine halboffene Schublade, aus der eine Krawatte hervorschaute, gab es keinerlei Spuren einer Auseinandersetzung. Vielleicht hatte man sie eilig geschlossen, und als sich der Mörder umdrehte, hatte er die Krawatte übersehen. Der Kommissar machte die Schublade zu. Er setzte sich auf das Bett, ließ seine Gedanken umherschweifen und betrachtete zerstreut das Oberlicht, hinter dem sich ein Stück Himmel abzeichnete.

      Saldías nahm eine Bestandsaufnahme aller gefundenen Gegenstände vor. Fünftausend Dollar in einer Aktentasche, ein Haufen mit mehreren Tausend argentinischen Pesos auf der Kommode, daneben eine Uhr und ein Schlüsselanhänger, eine Zigarettenschachtel Marke Kent, ein Ronson-Feuerzeug, ein Päckchen Velo-Rosado-Kondome, ein US-amerikanischer Pass auf den Namen Anthony Durán, geboren am 5. Februar 1940 in San Juan. Dazu ein Ausschnitt aus einer New Yorker Zeitung mit den Resultaten der wichtigsten Ligen, der Brief einer Frau 9, ein Foto, auf dem der nationalistische Führer Pedro Albizu Campos eine Rede hält – hinter ihm die puertoricanische Flagge –, und das Foto eines Soldaten mit runder Brille in der Uniform der Marines. Außerdem gab es ein Buch mit Gedichten von Luis Palés Matos, eine Salsa-LP von Ismael Rivera mit der Widmung Meinem Freund Tony D., zahlreiche Hemden und Schuhe und mehrere Anzüge. Aber kein Notizbuch, wie Saldías dem Kommissar mitteilte.

      »Was ein Toter hinterlässt, ist nichts«, sagte Croce.

      Das war das Geheimnis, das jedem Verbrechen innewohnt, die Überraschung desjenigen, der stirbt, ohne darauf vorbereitet zu sein. Was hatte er nicht zu Ende bringen können? Wen hatte er zuletzt gesehen? Man musste immer bei dem Opfer ansetzen, es war die erste Spur, ein mattes Licht.

      Im Bad befand sich nichts Besonderes, ein Flakon Actemin, ein Fläschchen Valium, eine Schachtel Tylenol. Im Wäschekorb entdeckten sie einen Roman von Ben Benson, Revolte im Zuchthaus, eine Straßenkarte der Provinz Buenos Aires vom Automobilclub, einen Büstenhalter und ein Plastiktütchen mit amerikanischen Münzen.

      Sie kehrten ins Zimmer zurück. Bevor der Leichnam fotografiert und zur Autopsie in das Leichenschauhaus gebracht werden würde, mussten sie noch einen schriftlichen Bericht anfertigen. Eine ziemlich undankbare Aufgabe, mit der der Kommissar seinen Assistenten beauftragte.

      Croce lief im Zimmer auf und ab, schaute sich hektisch um, ohne den Blick irgendwo verweilen zu lassen, und murmelte in einer Art anhaltendem Flüstern unverständliche Worte vor sich hin, als dächte er laut nach. »Irgendwas stimmt mit der Luft nicht«, sagte er. Sie ist gefärbt, eine Art Regenbogen im Sonnenlicht, blaue Luft. Was war das?

      »Siehst du das?«, fragte er Saldías, während er den Blick langsam durch das Zimmer schweifen ließ.

      Er deutete auf die fast unsichtbaren Staubpartikel, die in der Luft schwebten. Saldías hatte den Eindruck, als sähe Croce die Dinge mit ungewöhnlicher Schnelligkeit, als wäre er den anderen stets eine halbe Sekunde (ein halbes Tausendstel einer Sekunde) voraus. Der Kommissar folgte der Spur des hellblauen Staubs – ein zarter, von der Sonne bewegter Nebel, den er wie eine Fährte auf dem Boden betrachtete –, bis er in den hinteren Teil des Zimmers gelangte. An der Wand hing ein schwarzes Stoffquadrat mit gelben Arabesken, eine Art Batiktuch oder Wandteppich von schlichter Machart. Es war offensichtlich, dass es sich um keinen Zimmerschmuck handelte, sondern dass hier etwas verdeckt werden sollte. Ein leichter Luftzug, der ins Zimmer strömte, bewegte die Borten des Wandteppichs.

      Croce löste den Stoff mit seinem Federmesser, das er am Schlüsselring bei sich trug, und entdeckte, dass sich hinter dem Stoff ein Schiebefenster verbarg. Es ließ sich mühelos öffnen und führte zu einem Schacht. Man sah ein Seil. Einen Flaschenzug.

      »Der Lastenaufzug.«

      Saldías sah ihn mit großen Augen an.

      »Früher konnte man sich das Essen aufs Zimmer bestellen, wenn man wollte. Man brauchte nur unten anzurufen, und das Essen kam mit dem Aufzug.«

      Sie lehnten sich über den Rand der Öffnung. Zwischen den Seilen drang leises Stimmengewirr und das Rauschen des Windes zu ihnen herauf.

      »Wohin führt der?«

      »Zur Küche und zum Keller.«

      Sie zogen den kleinen Aufzugskasten mit dem Seilzug bis zum Rand des Schiebefensters herauf.

      »Zu winzig«, sagte Saldías. »Da passt keiner rein.«

      »Sag das nicht«, entgegnete Croce. »Mal sehen«, und er lehnte sich noch einmal in den Schacht. Er sah einen schwachen Lichtschimmer zwischen den Spinnweben und das schachbrettartige Muster eines Fliesenbodens.

      »Komm mit.«

      Sie fuhren mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss und folgten einer Treppe, die zu einem Gang im Souterrain hinunterführte. Dort befanden sich die alten, schon seit geraumer Zeit nicht mehr genutzten Küchen und der Heizkessel. An einer Seite stand eine Tür offen, die zu einer Kammer mit gekachelten Wänden und einem alten, leeren Kühlschrank führte. An der Abzweigung am Ende des Ganges befand sich hinter einem Gitter die kleine Telefonzentrale des Hotels. Auf der anderen Seite gab eine halb geöffnete Tür den Blick auf einen Lagerraum mit nicht mehr gebrauchten oder vergessenen Gegenständen und alten Möbeln frei. Der Raum war geräumig und hoch und hatte einen schwarz-weißen Fliesenboden. An der hinteren Wand führte eine mit einem Rollladen verschlossene Luke zum Schacht des Lastenaufzugs, der früher einmal, an zahlreichen СКАЧАТЬ