Название: Ins Weiße zielen
Автор: Ricardo Piglia
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783803143297
isbn:
»Nichts ist mir geblieben«, sagte er, »und die anderen haben angefangen, sich zu zanken, und bringen sich gegenseitig fast um.«
Die Töchter, fuhr er fort, hielten sich aus dem Streit heraus, doch seine Söhne seien auf ihn losgegangen, als ginge es um ein Königreich. (Mich siehst du hier nicht mehr, hatte Luca geschworen. Ich werde dieses Haus nie wieder betreten.)
»Etwas hatte sich geändert nach Duráns Besuch und ihrem Gespräch«, sagte Madariaga, ohne sich an einen der Gäste im Besonderen zu wenden oder näher darauf einzugehen, worin diese Veränderung bestanden haben soll.
Zu der Zeit begannen die Dorfbewohner sich zu erzählen, er sei ein Kofferbote 6, der Geld bringe, das nicht sein eigenes sei, um heimlich die Ernte aufzukaufen, ohne Steuern bezahlen zu müssen. Es wurde behauptet, in dem Gespräch mit Belladona sei es um ebensolche Geschäfte gegangen und die Schwestern seien lediglich ein Vorwand gewesen.
Gut möglich, so etwas war keine Seltenheit, obwohl diejenigen, die das Schwarzgeld brachten oder abholten, in der Regel unsichtbar blieben. Es waren Typen, die aussahen wie Bankangestellte und mit einer Unsumme fremder Dollars in der Tasche unterwegs waren, um die Steuerbehörde auszutricksen. Es kursierten zahlreiche Geschichten über Steuerhinterziehungen und dubiose Devisengeschäfte. Darüber, wo das Geld versteckt und wie es befördert wurde und wer geschmiert werden musste – aber das war nicht das Problem, es spielte keine Rolle, wo sie das Geld bei sich trugen, denn wenn keiner sie verriet, konnten sie auch nicht erwischt werden. Und wer hätte sie verraten sollen, wenn alle an dem Geschäft beteiligt waren: die Bauern, die Großgrundbesitzer, die Viehauktionatoren, die Händler und die, die über die Preise in den Getreidesilos bestimmten?
Wieder betrachtete Madariaga den Kommissar im Spiegel, der nervös im Raum auf und ab lief, die Reitgerte in der Hand, bis er sich schließlich an einem der Tische niederließ. Saldías, sein Assistent, bestellte eine Karaffe Wein und eine Kleinigkeit zu essen, während Croce weiter Selbstgespräche führte, so wie er es immer tat, wenn er versuchte, ein Verbrechen aufzuklären.
»Er hatte eine Menge Geld bei sich«, sagte Croce, »deshalb wurde er ermordet. Sie haben dafür gesorgt, dass ihn die Pferderennen und besonders dieses Pferd aus Luján in den Bann zog.«
»Das mussten sie gar nicht, er war schon von Pferderennen begeistert, als er hier ankam«, bemerkte Madariaga lächelnd.
Manche behaupten, man habe ein Pferderennen nur für ihn organisiert, von dem er völlig besessen gewesen sei. Es stimmt wohl eher, dass man dieses Rennen, das bereits seit Monaten geplant war, vorverlegt hatte, damit Tony es besuchen konnte, und einige wollten darin eine Fügung des Schicksals erkennen.
Tony fand schnell heraus, dass es mehrere Sorten ausgezeichneter Reitpferde in der Provinz gab. Im Grunde genommen waren es drei: die kleinen, außergewöhnlichen Polopferde, die vor allem in der Gegend von Venado Tuerto gezüchtet wurden, die kreolischen Vollblüter aus den Stallungen an der Küste und die Pajarero-Rennpferde, die rasch beschleunigen, ungewöhnlich schnell, kurzatmig und ziemlich nervös sind und meist zu zweit gegeneinander antreten. Nirgendwo sonst auf der Welt findet man derartige Pferde oder Rennen.
Mit der Zeit lernte Durán die Geschichte der lokalen Pferderennen kennen.7 Er begriff schnell, dass in dieser Gegend mehr Geld gesetzt wurde als beim Kentucky-Derby. Die Großgrundbesitzer setzten auf Teufel komm raus, und die Landarbeiter verwetteten ihren gesamten Lohn. Die Rennen werden lange im Voraus organisiert, und die Leute sparen ihr gesamtes Geld für diesen Anlass. Es gibt Pferde, die ein hohes Ansehen genießen, jeder weiß, dass sie soundso viele Rennen an den und den Orten gewonnen haben, und dann setzt man auf sie.
Das Dorfpferd war ein Grauschimmel von Payo Ledesma, ein sehr gutes Pferd, das jedoch keine Rennen mehr lief, wie ein ungeschlagener Boxer, der die Handschuhe an den Nagel gehängt hatte. Seit einiger Zeit schon versuchte ein Großgrundbesitzer aus Luján, der einen unbesiegten Rotbraunen besaß, es herauszufordern. Zuerst schien Ledesma nicht darauf eingehen zu wollen, doch am Ende fand er Gefallen an der Sache, er schlug ein, wie es so schön heißt, und nahm die Herausforderung an. Und irgendwie wurde Tony in die Sache verstrickt. Das andere Pferd, das aus Luján, hieß Tácito und hatte eine recht seltsame Vergangenheit. Es war ein Englisches Vollblut, das sich irgendwann verletzt hatte und seitdem nicht mehr als dreihundert Meter laufen konnte. Seine Karriere hatte auf dem Hippodrom von La Plata begonnen, und später hatte es das Derby der Jungpferde gewonnen. Doch eines Tages, an einem regnerischen Samstag, erlitt es während des fünften Rennens von San Isidro einen Unfall. Es stürzte und brach sich den linken Vorderfuß, der nie wieder richtig verheilte. Das Pferd war ein Nachkomme eines Nachkommens von Embrujo, weshalb es als Zuchthengst zum Verkauf angeboten wurde, doch der Jockey des Pferdes – und der Pfleger – nahmen sich seiner an und pflegten es so lange, bis es wieder laufen konnte, trotz der Verletzung und allem. Offensichtlich konnten sie den Großgrundbesitzer aus Luján davon überzeugen, das Pferd zu kaufen, und seitdem hat es noch kein einziges Zweier-Rennen verloren. Das war die Geschichte, die man sich erzählte, und das Pferd war in der Tat beeindruckend, ein Fuchs mit weißen Füßen, widerspenstig und verschlagen. Es hörte auf niemanden außer seinen Jockey, der mit ihm sprach wie mit einem Menschen.
Das Pferd wurde mit einem offenen Lieferwagen gebracht, und als man es auf der Koppel laufen ließ, bestaunten es die Bauern mit gebührendem Abstand. Ein Tier mit einem enormen Stockmaß, einer Decke über dem Rücken und einem bandagierten Fuß, störrisch und voller Energie, das die vor Schreck oder Wut weit aufgerissenen Augen unruhig hin und her bewegte wie ein richtiges Vollblut.
»Ja«, sagte Madariaga. »Ledesmas Grauschimmel gegen den Unbesiegten aus Luján. Irgendetwas ist dort passiert.«
3
ES WAR EIN KÜHLER SONNTAGNACHMITTAG. Aus der ganzen Gemeinde strömten die Bauern von ihren Höfen und Haziendas herbei und suchten sich einen Platz seitlich der Pferderennbahn, gleich hinter den Drahtzäunen, die die Strecke von den Häusern trennten. Man hatte ein paar Bretter auf zwei Böcke gelegt und verkaufte Empanadas, dazu wurde Gin und ein einfacher Landwein ausgeschenkt, der schon beim bloßen Anschauen zu Kopfe stieg. Das Feuer für das Asado war bereits entfacht worden, und man sah die vielen, an Grillkreuzen befestigten Rippenstücke und die Würste und anderen Vorspeisen, die man auf einer Plane auf dem Rasen ausgebreitet hatte. Es herrschte eine festliche Stimmung, und ein nervöses, freudig-angespanntes Stimmengewirr lag in der Luft, so wie immer, wenn ein lang herbeigesehntes Rennen bevorsteht. Nirgends waren Frauen zu sehen, nur Männer aller Altersstufen, junge und alte, Männer im reiferen Alter und Jugendliche, alle in ihren Sonntagskleidern. Die Landarbeiter trugen bestickte Hemden und Westen, die Großgrundbesitzer Wildlederjacken und Halstücher und die Dorfjugendlichen Jeans und um die Hüften geknotete Pullover. Unruhig wogte die Menge auf und ab, dann fingen die Männer an, auf die Pferde zu setzen, die Geldscheine in der Hand, zwischen den Fingern gefaltet oder hinter das Hutband gesteckt.
Auch viele Auswärtige waren gekommen, um sich das Rennen anzuschauen. Sie drängten sich am Ende der Strecke, in der Nähe des Zielstrichs, nicht weit entfernt vom Flussbett. An ihrer zurückhaltenden Art, dieser Unsicherheit von Leuten, die sich auf unbekanntem Terrain bewegen, erkannte man sofort, dass sie nicht von hier stammten. Aus den Lautsprechern eines lokalen Werbebüros – Die Stimme aller: Anzeigen, Sonderangebote und Feste – plärrten Musik und irgendwelche Mitteilungen. Schließlich wurde um einen kräftigen Applaus für Kommissar Croce gebeten, der bei dem Rennen der Zielrichter sein würde.
Begleitet von Saldías, seinem Schatten, erschien der Kommissar in Anzug СКАЧАТЬ