Название: Elijas Lied
Автор: Amanda Lasker-Berlin
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Debütromane in der FVA
isbn: 9783627022846
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Loth wird schwindelig, sie streckt die Arme nach hinten, stützt sich auf der Spülmaschine ab. Die ruckelt, gibt keinen Halt.
Einsam?, Hanno lehnt im Türrahmen, schaut zu Loth. Sie zuckt zusammen.
Nein, sagt sie matt.
Ich bin aber einsam. Hanno kommt auf sie zu, lehnt sich an den Küchentisch.
Hast du nichts zu tun?, fragt Loth.
Hannos helle Augen mustern sie. Im hartgeschnittenen Gesicht leuchten sie hervor. An den Wangen wächst ihm ein kontrollierter Bart. Die Haare sind gescheitelt, gegelt. Werden sich den ganzen Tag kein bisschen bewegen. Erst wenn er unter der Dusche steht, können sie sich befreien, ausatmen und locker herunterhängen.
Doch, schon, sagt er kess. Der Aktionismus steht an erster Stelle, nicht wahr?
Loth sieht sich im Raum um, sucht etwas, womit sie ihn ablenken kann. Aber seine Augen bleiben starr auf ihrem Körper. Die angedeuteten Brüste, der flache Bauch, die Knochen, die an fast jeder Stelle hervorstehen. Das Piercing. Hanno will es in den Mund nehmen, erkennt Loth an seinen Augen. Sie stellt sich vor, wie er vor ihr niederkniet, ihre Oberschenkel berührt, den Nabel küsst und mit der Zunge über den Bauch fährt. Sie stellt sich vor, wie er sie anbetet und seine Augen sie bitten, ihn auszuhalten.
Hanno bleibt stehen.
Und wie sieht es mit deinem Aktionismus heute aus?, fragt sie.
Ach, ich habe gerade ganz private Ziele. Er beugt sich zu ihr vor.
Loth lehnt sich zurück. Drückt sich gegen die Spülmaschine.
Hanno hebt seine Hand und streicht eine ihrer Haarsträhnen zurück.
Loth, murmelt er verträumt. Schön, dass du eingezogen bist.
Sie lächelt, ihr Körper entspannt sich nicht. Sie mustert ihn. Der hellblaue Hemdkragen, der unter dem Pullover hervorlugt, die braune Stoffhose. Daran findet sie keine Information über ihn. Auch nicht in seinem Gesicht, nicht in der Art, wie er sie berührt.
Eine Weile hält Hanno inne. Seine Hand an ihrem Gesicht. Ihre kalten Wangenknochen und seine fleischigen Finger.
Dann weicht er zurück.
Der Aktionismus, du verstehst, sagt er flapsig, dreht sich weg, nimmt eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank. Er geht.
Und Loth atmet aus. Die Küche ist enger geworden, der Atem hat gerade noch genug Platz, um aus der Lunge zu kommen. Es wird heiß, schnell schnappt Loth nach der letzten Luft. Aber es ist nur verbrauchter Atem. Sie legt die Hand auf ihren Hals. Das hat sie gelernt, schon vor Jahren, und das soll sie beruhigen. Funktioniert nicht. Räume werden nicht davon größer, dass Hände auf Körperstellen liegen. Das ist doch klar. Loth macht die Augen zu. Die Spülmaschine fiept. Der Raum dreht sich. Loth hört, wie das saubere Geschirr nach ihr schreit, schrill und scheppernd. Das zieht durch den ganzen Kopf. Erschüttert das Gehirn.
Loth reißt die Augen wieder auf. Wütend öffnet sie die Maschine. Das Geschirr dampft noch. Ignorierend, dass es heiß ist, reißt sie Teller für Teller heraus, stellt sie in die Schränke. Als die Spülmaschine leer ist, flieht sie aus dem Zimmer. Sie braucht Luft.
Neun. Vierundzwanzig
Noa steht neben Elija. Mitten im Moor. Die Füße tief im Schlamm. Bis unter ihnen fester Grund kommt, sind es viele Meter. Eine Torfschicht über der anderen, und nichts, was Halt verspricht. Noa stellt sich vor, wie sie übereinanderliegen, die Brauntöne. Wie sie fest schlummern, durch nichts gestört werden. Außer durch sickerndes Wasser, bei der Schneeschmelze. Der Wind wischt leicht an Noa und Elija vorbei. Sie haben ihre Hände ineinandergelegt. Elija kichert. Sie schaut zum Berg. Er hebt sich über das Moor, ist aus tiefstem Grün. Tannenwald. Ab einer bestimmten Stelle die abgestorbenen Bäume. Grau stechen sie hervor. Als Kind weinte Elija, als sie das erste Mal so viele Tote sah. Die Mutter tröstete sie und sagte: Die wachsen wieder neu. Und Elija glaubte das. Bis sie das erste Mal auf einem Friedhof steht, da sagt die Mutter nicht: Die wachsen wieder neu. Sondern: Die haben Platz für uns auf der Erde gemacht. Da weint Elija nicht, nimmt nur die Hand der Mutter. So wie sie jetzt die von Noa nimmt.
Noa spürt Elijas Finger. Die schmiegen sich so schön in ihre.
Das erinnert Noa daran, wie sie mit Elija im Schwimmbad steht. Alle denken: Da ist Noa mit ihrer kleinen Schwester. Obwohl Elija die Ältere ist. In der kleinen Stadt kennen alle die Familie vom Waldrand. Die Familie mit dem behinderten Kind. Die Familie, die einmal im Monat in den Kindergottesdienst geht und mit dem vollgepackten Auto zum Zelten nach Italien fährt.
Elija finden alle süß. Wenn sie mit dem Fahrrad hinfällt, heben die Erwachsenen sie hoch. Wenn Noa fällt, rappelt sie sich selbst auf. Noa kommt alleine zurecht. Außer wenn sie mit Elija ins Schwimmbad geht und Elija zum Schwimmflügelanziehen überreden muss. Wenn Elija einfach so ins Schwimmerbecken springt. Und Noa hinterhermuss, um sie über Wasser zu halten.
Das Rauschen in der Schwimmbadhalle, der Chlorgeruch, der enge Anzug um den Körper. Noa steht alleine da mit Elija. Im Nichtschwimmerbecken. Muss alleine mit Elija üben. Aber die lernt es ja doch nicht, denkt Noa und zeigt ihr wieder und wieder, wie sie die Arme halten soll. Wie der Beinschlag geht. Wie sie sich aufs Wasser legen kann, ohne unterzugehen.
Elija guckt skeptisch. Versucht es, geht fast unter, strampelt wie ein Hund. Noa legt ihre Hand unter Elijas Bauch. Elija hält den Kopf über Wasser. Macht den Beinschlag falsch und die Arme irgendwie.
Nein, Elija, sagt Noa und versucht, geduldig zu klingen. Betet wie ein Mantra: anziehen, breit und strecken, herunter.
Das wirkt nicht. Elija strampelt weiter. Spritzt Noa dabei Wasser ins Gesicht und zieht die Aufmerksamkeit des ganzen Schwimmbads auf sich. Noa dreht den Kopf zur Seite. Das Chlor soll nicht in ihre Augen kommen.
Elija kann nicht mehr. Noa hilft ihr, sich auf den Boden zu stellen.
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