Название: Elijas Lied
Автор: Amanda Lasker-Berlin
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Debütromane in der FVA
isbn: 9783627022846
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Und ich würde das nächste Mal schauen, wo ich hinlaufe, damit ich meine Schwester nicht verletze, sagt Loth spitz.
Loth hakt sich bei Elija unter und führt sie schneller durch das Moor.
Da sieht man es wieder, beginnt sie. Die Noa läuft dich einfach so über den Haufen.
Nicht mit Absicht, versucht Elija zu sagen. Aber das Wort Absicht konnte sie noch nie richtig aussprechen.
Jetzt haben wir uns, Elija, schwafelt Loth theatral und so laut, dass Noa es mehr als gut verstehen kann. Da brauchen wir deine rücksichtslose Schwester nicht. Wir zwei Invalidinnen, wir halten zusammen.
Als Noa das Wort Invalidinnen hört, wird sie wütend, holt auf, um nah hinter den beiden zu laufen. Sie weiß, wie Loth beim Sprechen riecht. Penibel sauber gehaltener Atem. Zahnpasta mit Minzgeschmack und Mundwasser. Nichts, was nach Loth riecht. Nichts, das mehr ist als steril.
Das Laufen ist für Elija anstrengend. Sie hat nicht so viel Ausdauer, und eigentlich wissen Loth und Noa das. Manchmal ist ihnen das aber egal. Und das weiß Elija auch. Sie stützt sich bei Loth ab.
Auf den sperrigen Knochen liegt ihr Arm unangenehm auf. Ob man blaue Flecken bekommt, wenn man Loth zu lange berührt?
Elija mag nicht, dass Loth nach gar nichts riecht. Nicht nach Schweiß, nicht nach Parfüm. Einfach nur nach T-Shirt-Stoff und Wasser. Vielleicht benutzt sie nur Oma-Seife und anonymes Waschmittel.
Elijas Durst wird stärker.
Morgens wacht sie jedes Mal auf, weil sie trinken muss. Neben ihrem Bett steht eine kleine Flasche. Sie ist halb gefüllt. Unten ruht das Wasser, und darüber fängt Elija die ersten Sonnenstrahlen. Sie glitzern in den Raum. Zum Schlafen dunkelt Elija das Zimmer nie ab. Sie mag, wenn sich der Tag Schritt für Schritt ausbreiten kann.
Wenn sie unter der Dusche steht und das Wasser auf ihren Kopf prasselt, streckt sie die Zunge raus und fängt ein paar Tropfen. Die schlingt sie gierig hinunter. Vom ersten Geschmack am Morgen hängt ab, ob es ein harter oder ein weicher Tag wird. Von der Größe der Tropfen, ob er schnell wird oder langsam. Elija liebt schnelle Tage, und deshalb hat sie die Brause so eingestellt, dass nur feine Tropfen hinauspurzeln.
Müde hängen die Brüste auf den großen Bauch. Sie mag es, sich von oben anzuschauen und die Fußspitzen hervorblitzen zu sehen. Zum Wachwerden trampelt sie in die kleine Pfütze in der Duschtasse. Das Wasser springt einmal nach oben, bevor es in die Kanalisation jagt. Elija lacht spitz.
Was ist?, fragt Mio.
Elija hört ihn nicht. Das Wasser ist zu laut. Es scheppert an ihren Ohren vorbei, schlägt auf die Schultern, poltert die Körperkurven hinunter. Vor den Augen macht es alles verschwommen. Elija kneift die Augen zu.
Ist alles gut? Mio schiebt den Vorhang zur Seite. Das Wasser spritzt in sein Gesicht.
Elija erschrickt, zuckt zusammen, lacht dann laut auf. Mios Gesicht ist voller Rasierschaum, nicht nur an den Wangen und am Kinn, sondern auch an der Stirn. Sie klatscht in die Hände, springt kurz hoch und rutscht beim Landen fast aus.
Pass auf, sagt Mio und hält sie fest.
Nichts passiert. Komm.
Ich bin schon angezogen.
Mio hat sein Gemütlichkeitsoberteil an und seine Jeans.
Kannst du wieder ausziehen. Elija grinst frech. Das hilft immer. Schnell dreht sie das Wasser aus. Mio schlüpft aus der Kleidung, steigt zu Elija in die Dusche. Sie macht das Wasser wieder an. Warm läuft es an ihren Beinen entlang. Sie sehen sich nicht an, sie wissen so gut, wie sie aussehen, dass sie das nicht mehr brauchen. Unsicher schmiegt Elija sich an. Sie will nicht ausrutschen, und sie will nicht, dass Mio hinfällt. Er ist einen Kopf größer als sie, und seine Augen stehen noch enger beieinander. Fast, als hätte er nur ein großes Auge, denkt Elija manchmal. Elija glaubt sowieso, dass jeder Mensch ein Auge hat, mit dem er alles sehen kann, und dass die Augen sich trennen, je trauriger man wird. Die Augen von Loth und Noa liegen um einiges weiter auseinander als Elijas.
Mio wickelt seine Arme um sie. Sie sind kalt, wärmen sich jedoch schnell an ihrem Körper auf. Er ist müde. Mio wacht immer etwas später auf als sie und geht abends auch immer später ins Bett. Nach der Vorstellung ist er nicht so aufgedreht wie Elija, tanzt nicht über die ganze Hinterbühne und gibt nicht jedem einen Kuss. Er setzt sich zum Abschminken auf einen Stuhl und beobachtet Elija. Das reicht ihm.
Wenn sie einschlafen, mag er es, Elijas ruhigen Atem zu hören. Dann kann auch er einschlafen. Elija muss die Nacht für ihn freikämpfen.
Der Rasierschaum löst sich im Wasser auf. Die seifigen Reste treiben an ihm herunter. Sein Bauch und Elijas Bauch stoßen aneinander, wenn sie sich eng umarmen. Sie kichern. Dabei zittert Elijas Körper immer etwas mehr als seiner.
Bist du noch sauer?, fragt Mio.
Nein.
Ich habe das falsch gemacht. Gestern.
Nicht schlimm. Kann jedem passieren.
Elija mag, wie sich seine Haut anfühlt. Sie ist schuppig, immer trocken, und wenn er sich nicht eincremt, bröckelt sie ab. Mio ist ein Fisch. Nur im Wasser oder mit einer dicken Fettschicht auf der Haut wird er glatt. Wenn er vergessen hat, sich einen Schal umzubinden und durch den Winter stapft, ist sein Hals rau, wie ein alter, tief verwurzelter Baum. Und sein Ausatmen klingt wie das Zwitschern von uralten Vögeln.
Mit den Händen tastet Elija Mios Körper ab. Er ist genau wie sie rund an jeder Stelle. Er hat nichts, an dem sie sich stoßen könnte. Sein Körper ist so elastisch, dass er sich ganz um sie wickeln kann. Dann bekommt Elija zwar keine Luft, aber wenn sie ihm einmal auf die Schulter tippt, lässt er sie los.
Elijas Hand landet auf seinem Hinterkopf. Der ist ein bisschen spitz. Sie legt beide Hände darauf, vielleicht kann sie so hören, wie seine Gedanken hin- und herflitzen.
Mio denkt immer noch an die Vorstellung, weiß Elija. An die eine Szene, die er wieder verdorben hat. Heute Nachmittag bei der Nachbesprechung wird es Ärger geben. Keinen bösen Ärger mit Schimpfen, sondern dieses behutsame Einbläuen. So als wüsste Mio nicht, was er falsch gemacht hat. Das nervt Elija am meisten. Sie versteht nicht, warum alle immer so tun, als wären sie nicht wütend. Nach einer Kritik muss sowieso jeder weinen. Und wütendes Weinen macht den Körper frischer als kleines Schluchzen in der Ecke.
Auch Elija denkt an den Abend. An ihre Szene, in der nur sie auf der Bühne ist und alle Aufmerksamkeit sich auf ihr versammelt. In der sie tanzt. Ganz wild mit den Hüften und ganz zart mit den Armen und ihr Kopf sich schneller bewegt als ihre Gedanken. Sie spürt, wie alle sie anschauen und dass das ganze Publikum denkt: Das hätte ich der Elija gar nicht zugetraut.
Elija mag die verblüfften Blicke, die lassen ihre Augen funkeln. Elija wirbelt über die ganze Bühne, kommt in der Mitte zum Stehen, lässt sich auf den Boden fallen und kriecht nach vorne an die Rampe. Da kommt der Monolog. Ihr Monolog, den sie selbst entwickelt hat mit Kassandra, der Regisseurin. In ihren Worten und in ihrem Tempo und mit einem ganz besonderen Rhythmus. Hagar. Eine, die verstoßen wurde. Eine, die nicht mehr dazugehören soll, die in die Wüste geschickt wird. Allein, und im Bauch das Kind. Ismael. Auf der Bühne kann Elija eine Mutter sein. In echt kann sie das nicht.
Vorne, an der Rampe, schaut Elija dem СКАЧАТЬ