Название: Nirvana
Автор: Michael Azerrad
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
Серия: Rockbiographien
isbn: 9783854454281
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Kurt konnte die Miete nicht mehr zahlen und zog letztendlich mit einigen Monaten Rückstand im Herbst 1985 aus. Er war arbeitslos, besaß praktisch keinen Pfennig und verbrachte den Winter in der öffentlichen Bibliothek, wo er las und Gedichte schrieb. Am Abend kaufte er eine Packung Bier und ging zu einem Freund, wo sie sich betranken und er dann auf der Couch übernachtete. Manchmal schlief er auch in einem Karton an Dale Crovers Hintereingang, manchmal im Kombi von Chris und Shelli, oder er schlich sich ins Haus seiner Mutter, während sie bei der Arbeit war, und versteckte sich am Dachboden, um dort zu schlafen. Manchmal übernachtete er sogar unter der North Aberdeen Bridge, die in der Nähe von Wendys Haus über den Wishkah River führte.
Als Alleinstehendem standen Kurt Essensmarken im Wert von 40 Dollar pro Monat zu, aber er verwendete sie nur selten für den Kauf von Lebensmitteln. Er und seine Freunde schwärmten in der Stadt aus, kauften überall ein paar Süßigkeiten, und verwendeten das Restgeld für Bier. So eine Operation war die Arbeit eines ganzen Tages.
Er war ziemlich stolz darauf, ohne Arbeit und ohne Zuhause überleben zu können. Seine einzige Beschäftigung war es, Lebensmittel zu stehlen, Fische aus dem Fluß zu fangen, sich Essensmarken zu besorgen und von Zeit zu Zeit von seinen Freunden Makkaroni und Käse zu schnorren. „Ich lebte die Aberdeen-Version eines Punkrockers aus“, sagte Kurt. „Es war ganz einfach. Es war gar nichts im Vergleich dazu, was auf die Kids zukam, die in die Großstadt flüchteten. Es gab auch nie eine bedrohliche Situation, niemals.“ Kurt hätte es gereizt, nach Seattle zu ziehen, aber er traute sich nicht alleine in die große Stadt (schließlich war er bisher kaum über die Gegend Aberdeen-Montesano hinausgekommen), und niemand außer ihm war mutig genug mitzutun.
Manchmal besuchte er Wendy, sie machte ihm dann ein Essen. Sie sagte: „Wegen meiner Schuldgefühle – dass ich ihn verstoßen und zu seinem Vater geschickt habe – habe ich ihn immer verwöhnt. Er kam, und ich kochte schon. Weil ich mich schuldig fühlte, schrecklich schuldig.“
Wendy wurde wieder schwanger und war sehr verzweifelt, weil sie sah, was aus Kurt geworden war. „Ich habe mein erstes Kind komplett verpfuscht, was soll ich also mit einem zweiten?“, erinnerte sie sich an ihre Gedanken. „Und eines Tages, als ich schon hochschwanger war und gerade weinte, kam er und fragte mich, was los wäre, und ich erzählte ihm von dem fürchterlichen Gefühl, ein Kind in mir drinnen und eines draußen auf der Straße zu haben, und er kniete sich einfach hin, umarmte mich und sagte, dass es ihm gut ginge und ich mir keine Sorgen machen müsste und alles gut werden würde.“
In diesem Winter tat sich Kurt mit Dale Crover am Bass und Greg Hokanson am Schlagzeug zusammen, und sie probten ein paar seiner Sachen. Einmal trat das Trio, das Kurt Fecal Matter getauft hatte, im Vorprogramm der Melvins auf in der Spot Tavern von Moclips, einer abgelegenen Kleinstadt an der Küste. Nach einer Weile trennten sie sich von Hokanson, den sie ohnedies nicht sehr gemocht hatten. Die beiden begannen intensiv zu proben, sie wollten ein Demoband aufnehmen. Matt Luk in saß am Steuer des blauen Impala, mit dem sie nach Seattle zu Kurts Tante Mary – der Musikerin – fuhren, denn die hatte schließlich ein Vierspur-Tonbandgerät.
Mary war verblüfft über die Aggressivität in Kurts Gesang. „Sie hatte nie geahnt, dass ich so ein zorniger Mensch war“, sagte Kurt. Er nahm die Gitarren direkt in das Vierspur-Gerät auf – eine klassische Low-Budget-Technik des Punkrock, die er Jahre später bei „Territorial Pissings“ auf Nevermincl wiederverwendete. Sie nahmen sieben Nummern auf mit Titeln wie „Sound of Dentage“, „Bambi Slaughter“ oder „Laminated Effect“ (klanglich ein Mittelding zwischen Neverminds „Stay Away“ und dem MTV-Thema), aber auch eine verlangsamte Instrumentalversion von „Downer“, einer Nummer, die sich später auf dem Album Bleach fand. Das Fecal-Matter-Band enthielt einige der Zutaten, die Kurts spätere Musik auszeichneten – vor allem die ultraharten Gitarrenriffs, aber auch die atemberaubenden Tempi und die eigenartig knorrige und griesgrämige Art, einen Song aufzubauen – mit Anleihen sowohl bei den Melvins als auch bei Metallica. Man konnte noch nicht gerade von starken Melodien sprechen, und Kurts Gesang wechselte zwischen einem rauen Bellen und einem Gekreische, das einem das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Später probte Kurt das Fecal-Matter-Material mit Buzz Osborne am Bass und dem früheren Melvins-Schlagzeuger Mike Dillard, doch dann verlor Dillard das Interesse, und das endgültige Aus für das Projekt kam, als, so Osborne, „Kurt nicht mehr wollte, weil ich mich weigerte, eine Bassverstärkeranlage zu kaufen, und er mir daraufhin vorwarf, dass es mir nicht wichtig genug wäre.“
Kurt hatte in der Aberdeen Highschool einen Hardcore-Partygänger namens Steve Shillinger kennengelernt, dessen Vater dort Englischlehrer war. Shillinger war Kurt erstmals aufgefallen, weil er „Motorhead“ auf seine Mappe geschrieben hatte. Shillinger erinnerte sich an die Aufnahmen von Kurt mit Titeln wie „Suicide Samurai“ als „wirklich miese Heavy-Metal-Songs“. Bei ihrer ersten gemeinsamen Unternehmung – einem Metal-Church-Konzert – ließ ihn Shillinger sitzen, weil „es nicht genug zu saufen gab und ich ihn nicht so gut kannte.“
Steve Shillingers Freunde hatten die Gastfreundschaft seiner Eltern bereits überstrapaziert, also machte sich Kurt an seinen Bruder Eric heran. Die Shillingers hatten fünf Söhne und eine Tochter, und so war es keine Schwierigkeit, noch jemanden durchzufüttern. Im Endeffekt blieb Kurt ab dem Spätwinter 1985 acht Monate dort und verrichtete wie alle anderen seinen Teil der Hausarbeit.
Eric spielte auch Gitarre, und Steve Shillinger schwor, dass Eric und Kurt mit ihren Gitarren gemeinsam eine besonders markante Stelle von Iron Maidens „Rhyme of the Ancient Mariner“ über die Stereoanlage gespielt hätten. Sowohl Eric als auch Kurt bestritten das entschieden, aber Shillinger meinte: „Leute verleugnen oft ihre Vergangenheit.“
Die Shillingers hatten schon öfters „Herumstreuner“ aufgenommen, und normalerweise tauchte einen oder zwei Tage später ein besorgter Elternteil auf und fragte nach, ob ihr Kind da wäre. Diesmal nicht. Lamont Shillinger sagt: „Wir hörten nicht ein Wort von Kurts Mutter, solange er hier war.“
Im darauffolgenden Sommer intensivierte Kurt seine Laufbahn als Graffiti-Macher. Er war ein Vandale, seit er im siebten Jahrgang zu saufen begonnen hatte, aber das Werk dieses Sommers war, wie Kurt sagt, „das ultimative Statement“. Er zog sich tagsüber das Rock for Light-Album von den Bad Brains hinein, und am Abend betrank er sich und warf Acid-Trips – so ging das den ganzen Sommer lang. Er, Osborne, Steve Shillinger und andere begannen, mit Markerstiften bewaffnet, die Seitenstraßen von Aberdeen zu durchstreifen. Dabei schrieben sie Provokationen wie ABORT CHRIST oder GOD IS GAY auf die Wände oder besprühten Allrad-Jeeps (vor allem die mit Gewehrhalterungen) mit dem Wort QUEER (Schwuler), um die Rednecks zur Weißglut zu bringen. Oder sie schmierten, einfach um die Leute zum Narren zu halten, absichtlichen Nonsens irgendwohin.
Eines Abends entdeckten sie ein riesiges, reich verziertes Pink-Floyd-Graffito, das jemand mit großer Hingabe verfertigt haben musste. Dessen Minuten waren gezählt. „Wir waren überzeugte Punks“, erklärte Shillinger, „und wir hatten Spraydosen.“
Kurt hatte eine in Silber und Shillinger eine in Schwarz. Shillinger sprayte „Black“ über „Pink“, und Kurt sprayte „Flag“ über „Floyd“. „Die Hippies waren den ganzen restlichen Sommer hinter uns her“, sagte Shillinger voller Schadenfreude. „Wir waren wie gejagte Untergrund-Helden.“
Einmal war Kurt mit Osborne und Chris, der gerade HOMO SEX RULES auf die Wand einer Bank geschrieben hatte, auf einer Spraytour, als plötzlich aus dem Nichts heraus ein Polizeiauto auftauchte und Kurt im Scheinwerferkegel hatte. Chris und Osborne liefen weg und versteckten sich in einer Mülltonne, aber Kurt wurde erwischt und auf der Polizeistation verhört. Das Protokoll zählte den Inhalt seiner Taschen auf: ein Gitarrenplektrum, ein Schlüssel, eine Dose Bier, ein Ring und eine Kassette der militanten Punk-Band Millions of Dead Cops. Er bekam eine Geldstrafe von 180 Dollar und dreißig Tage auf Bewährung.
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