Название: Fettnäpfchenführer Ostfriesland
Автор: Sylvie Gühmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги о Путешествиях
Серия: Fettnäpfchenführer
isbn: 9783958892972
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Vermutlich war das ihr Kommando, ihm zu folgen. Eilig läuft sie ihm hinterher, bis er in seinem Büro vor einer leicht vergilbten Landkarte stehen bleibt. Also doch. Sonja sinkt in sich zusammen.
Mit verschränkten Armen mustert ihr Chef die Karte und schmunzelt, als er danach ihr Gesicht sieht. »Aber Frau Häberle, nun schauen Sie doch nicht so, als befänden Sie sich auf dem Weg zum Schafott. Ich möchte Ihnen nur kurz etwas erklären.«
In diesem Moment hat er wirklich etwas Oberlehrerhaftes an sich. Er hebt seinen Zeigefinger und fährt damit über die Karte. »In Ihrem Bericht schreiben Sie von Ost-Friesland, Frau Häberle. Wir sind hier aber nicht in Ost-Friesland.« Wieder guckt er sie über den goldenen Rand seiner Brillengläser mit einem Funkeln in den Augen an.
»Nicht? Aber Otto kommt doch aus Emden, und der ist Ostfriese«, sagt sie langsam und fühlt sich spätestens jetzt zurückversetzt in die Schule.
Ihr Chef fährt mit dem Finger über die Landkarte, die sie nun als Ostfriesland erkennt oder zumindest als Ostfriesland zu erkennen glaubt, weiter nach rechts gen Osten. »Wo sind wir hier?« Erwartungsvoll schaut er sie an.
Ihr Schlüsselbein muss mittlerweile die Farbe einer reifen Tomate haben. »Im Osten Ostfrieslands? Ich komme nicht mehr mit.« Irgendwie schwant ihr, dass gleich etwas völlig Bescheuertes kommt.
»Herrlich«, sagt ihr Chef und reibt sich die Hände, wobei er sie an Rumpelstilzchen erinnert, das ums Feuer tanzt. »Ostfriesland, also die Region, in der Sie nun arbeiten und leben und über die Sie geschrieben haben, liegt westlich von Friesland. Sie haben in der Ortsangabe im Text übrigens von Ost-Friesland, also Ostfriesland mit Bindestrich gesprochen.« Beim letzten Ostfriesland betont er überdeutlich jede Silbe, bevor er ihr den Todesstoß versetzt. »Das macht hier kein Mensch.«
Stirnrunzelnd schaut Sonja ihn an. »Okay. Verstehe«, sagt sie gedehnt und denkt dabei nur eins: Die spinnen, die Ostfriesen.
Wat’n Mallöör
Ganz einfach: Ostfriesland liegt westlich von Friesland. Oder doch nicht so einfach? Am besten, wir fangen von vorne an. Als Frieslande werden im Allgemeinen die Siedlungsgebiete der Friesen bezeichnet, die sich entlang der deutschen und niederländischen Nordseeküste erstrecken. Insgesamt werden die Frieslande in drei Gebiete unterteilt: das niederländische Friesland, das östliche Friesland und Nordfriesland, worunter die schleswig-holsteinische Region um die Insel Helgoland fällt. Die geografische Beschreibung für das östliche Friesland (Ost-Friesland) ist der Grund dafür, warum es um den Begriff Ostfriesland herum reichlich Missverständnisse gibt. Ost-Friesland ist mitnichten gleichzusetzen mit Ostfriesland.
Nach landläufiger Meinung wird der Begriff Ostfriesland gern großzügig verwendet und impliziert dann neben dem eigentlichen Ostfriesland (ohne Bindestrich) auch den Landkreis Friesland und die Stadt Wilhelmshaven sowie je nach Lesart auch noch das Ammerland. Das ist in vielerlei Hinsicht nicht korrekt. Denn die Bewohner Ostfrieslands, die teetrinkenden Hünen aus dem Norden, sind aus deren Sicht nur jene, die aus den Landkreisen Aurich, Leer und Wittmund sowie aus der kreisfreien Stadt Emden stammen – oder von den Ostfriesischen Inseln. Zumindest von fast allen Ostfriesischen Inseln. Denn die Insel Wangerooge ist zwar bedingt durch die geografische Lage ebenfalls den Ostfriesischen Inseln zugehörig, zählt politisch gesehen aber zum Oldenburger Friesland. Die Grenzen Ostfrieslands (abgesehen von Wangerooge also) verlaufen jenseits von Wittmund in der Nähe von Westerstede bei Oldenburg und unterhalb von Leer.
Wilhelmshaven und Jever, Letzteres vor allem bekannt für sein Bier, zählen nicht zu Ostfriesland – dafür aber zu Ost-Friesland, was übrigens auch ein Kunstbegriff ist, der sich nie richtig hat durchsetzen können. Wenn sich die Einwohner der beiden Kommunen Jever und Wilhelmshaven nicht als Friesländer, Friesen oder Wilhelmshavener betiteln, liegt der Schwerpunkt bei der Betonung ihrer Herkunft übrigens meist eher auf dem Oldenburgischen. Ansonsten wird die Region auch als ostfriesische Halbinsel bezeichnet.
Aber um noch eine Schippe draufzulegen: Als Friesland wird nicht nur das oben aufgeführte Gebiet bezeichnet, sondern auch ein Landkreis namens Friesland. Den Namen Friesland wiederum verdankt der Landkreis seiner Lage im friesischen Teil Oldenburgs. So kommt es zu der noch verwirrenderen Tatsache, dass sich Friesland, also der Landkreis Friesland, östlich von Ostfriesland befindet und Ostfriesland sich, wie eingangs erwähnt, westlich von Friesland (zumindest von dem Landkreis). Die Trennungslinie zwischen Ostfriesland und dem oldenburgischen Landkreis Friesland ist eine historische Grenze, auch Goldene Linie genannt, die zwischen dem ehemaligen Fürstentum Ostfriesland und der Grafschaft Oldenburg verläuft.
Aber genug der Verwirrung. Zusammengefasst sollten Außenstehende die Friesen und die Ostfriesen nicht in einen Topf werfen, auch wenn die Friesen sich im Osten befinden – ansonsten riskieren sie das eine oder andere Schmunzeln oder eben auch mal ein Augenrollen.
8
EINHIMMELWEITERUNTERSCHIED
ES GIBT KEIN SCHLECHTES WETTER,NUR SCHLECHTE VORBEREITUNG!
Sonja ahnt, warum es so viele Synonyme und Ausdrücke gibt, die den Regen beschreiben. Bisher hat es fast täglich auf eine andere Art geregnet. Mal tröpfelt es, dann strömt es. Und heute: Bindfäden augenscheinlich. So etwas hat sie noch nie gesehen. Dass es mal so richtig gießt, natürlich, aber das, was sich draußen vor den Fenstern der Redaktion abspielt, besitzt eine andere Dimension. Der Regen reißt nicht einmal mehr ab, bevor er auf die Erde trifft, er ähnelt wirklich vom Himmel aus gesponnenen Fäden. Fasziniert schaut sie zu. »Du siehst aus, als würdest du fernsehgucken. Habt ihr in Bayern keinen Regen?« Grietje schaut ihr neugierig über die Schulter.
Seit gut zwei Wochen wohnt Sonja jetzt in ihrem kleinen Häuschen in der Altstadt von Leer. Gestern hat sie alle Kartons ausgepackt, die Sachen verstaut und festgestellt, dass sie sich wirklich wohl fühlt. Sie mag die Backsteinhäuschen in Ostfriesland. Sie wirken sauberer als die verputzten Häuser in Süddeutschland, deren Fassaden schnell schmutzig werden. Die wenigen verputzten Bauten in der Leeraner Altstadt dagegen werden penibel in Schuss gehalten.
Mit Grietje versteht sich Sonja bisher am besten, was zum einen daran liegt, dass sie in etwa demselben Alter sind, zum anderen an ihrer direkten und herzlichen Art. Ihre Kollegin Nantje aus der Sportredaktion mag sie ebenfalls, mit ihr wird sie nur leider wenig zu tun haben, da sie gerade im siebten Monat schwanger ist und bald in den Mutterschutz geht. Ansonsten sind die Kollegen zwar nett, aber etwas wortkarger.
Sonja schaut über die Schulter zu Grietje. »Schwäbische Alb, wenn ich bitten darf. Das liegt in Baden-Württemberg, und dazwischen liegt ein himmelweiter Unterschied, genau wie zwischen dem Regen bei uns und bei euch. Der haut einen glatt aus den Socken.« Augenscheinlich hat der Wind gedreht, denn gerade in diesem Moment hämmert der Regen gegen die Scheibe. »Sieh dir das mal an.« Hätte sie nur nicht so lange aus dem Fenster geschaut und über den Regen sinniert. Das hätte ihr vielleicht den Termin mit der Anwohnerin erspart, deren Haus regelmäßig überschwemmt wird.
Zwanzig Minuten später steht sie samt neuen Stoffturnschuhen im Fehntjer Morast. Die Brille beschlagen, von allen Seiten durchnässt, versucht sie gegen Regen und Wind schreiend zwischen Sielacht und Anwohnerin zu vermitteln. Dass sie aber auch nicht dazulernt.
KLOOKSCHIETER: DIE SIELACHT СКАЧАТЬ