Название: Fettnäpfchenführer Ostfriesland
Автор: Sylvie Gühmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги о Путешествиях
Серия: Fettnäpfchenführer
isbn: 9783958892972
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KLOOKSCHIETER: WER ODER WAS IST MOIN?
Moin ist eine Grußformel, die vor allem im norddeutschen Raum verwendet wird und in Süddeutschland kaum auftaucht. Zwar wird sie mitunter im hanseatischen Raum benutzt und dort auch gern für sich beansprucht, allerdings stammt der Gruß laut Duden (und damit ist es ja wohl offiziell) aus dem Ostfriesischen. Dem Wörterbuch nach findet das Moin seinen Ursprung in der plattdeutschen Sprache und kann aus dem Wort moi abgeleitet werden. Das bedeutet so viel wie angenehm, gut oder schön. Nahe liegt die Vermutung, dass der kurze Gruß auf die Begrüßung Moi’n Dag zurückzuführen ist, was auf Plattdeutsch »schönen Tag« heißt. Aufgenommen wurde der Begriff in den Duden schon in den Achtzigern und gilt somit als allgemein anerkannter Gruß.
Wat’n Mallöör
Die arme Sonja. Zugegeben, den Besucher kann so ein schlichtes Moin schon mal irritieren. Wenn es ihn nicht gar brüskiert. Hat er etwas falsch gemacht? War er unhöflich? Wieso ist sein Gegenüber bloß so ruppig?
Tatsächlich hat das Moin weniger mit dem Besucher als mit dem Ostfriesen selbst zu tun. Denn Moin ist für den Ostfriesen nicht nur ein Wort – es bringt ihn, seine Lebenseinstellung und sein Wesen auf den Punkt. Gemeinsam mit Jo und einer Tasse Tee kann der nordwestdeutsche Hüne auf diese Weise Wochen überbrücken. Das Moin spiegelt also schlicht und ergreifend wider, dass der Ostfriese kein Freund großer Worte ist. Selten verschwendet er deshalb seine Zeit damit, die Begrüßung der Tageszeit anzupassen und etwa »Guten Morgen«, »Guten Tag« und »Guten Abend« zu unterscheiden oder wie Sonja gar »Grüß Gott« zu sagen. Sein geliebtes Moin wirft er zu jeder Tages- und Nachtzeit lässig in den Raum. Mit »Guten Morgen« hat das alles also nichts zu tun. Falls Sie Ihr Gegenüber nicht zum Schmunzeln bringen wollen, lassen Sie das »Guten Moin« lieber sein.
Es soll auch schon vorgekommen sein, dass sich zwei Ostfriesen begegnet sind und nie mehr als Moin zueinander gesagt haben. Schrecklich, nicht wahr? Aber denkt der Außenstehende einmal darüber nach – die Ostfriesen ersparen sich so einiges an Phrasendrescherei. Denn selten bleibt es bei einem bloßen Guten Tag. Oft folgt danach die Stille, der quälende Druck, das Gegenüber ohne triftigen Grund oder Willen nach seinen Belangen fragen zu müssen, höflich zu sein. Für einen Ostfriesen kommt das nicht in Frage. Er macht nichts, was er nicht machen muss. Ein Moin Moin oder das Moinsen, das gern in Hamburg verwendet wird, sind nichts für ihn. Es wäre Gesabbel. Drum hält er es auch lieber zeitökonomisch: Er begnügt sich mit einem kurzen und knackigen Moin und erstickt sogleich jegliche Art von Höflichkeitsfloskeln im Keim. Dabei ist er keineswegs ruppig, vielmehr hat er ein Gespür für die Art des Moins entwickelt, für den Tonfall, in dem sein Gegenüber sein Moin von sich gibt. Dem Klang entsprechend kann er entscheiden, wie er reagiert. Er hört eben genau hin. Ein bisschen ist es in Ostfriesland also wie in China, wo die Betonung der Silben über die Bedeutung der Wörter entscheidet. Da sag noch einmal einer, die Ostfriesen seien schlicht. Also darauf: eine Ode an das Moin.
2
EIN NEUANFANGAM ENDJE VANWELT
DAS NIEMANDSLAND ZWISCHENHOLLAND UND DEUTSCHLAND
Mühlen erheben sich aus dem flachen Land und lassen sanft ihre Flügel kreisen, Deiche werfen Falten in die sonst so ebenerdige Weite, und die Straßen, flankiert von Kanälen, sind auf dem fortwährenden Weg zum Horizont. Genau so hat sie sich das vorgestellt. Am Sonntagmorgen, unterwegs in ihrem alten Golf, der eher einem Kasten als einem winddynamischen Fortbewegungsmittel gleicht, durchpflügt Sonja rumpelnd die ostfriesische Landschaft und genießt die Ruhe, bevor am nächsten Tag die Arbeit losgeht.
Nachdem sie bereits gut zwanzig Minuten damit verbracht hat, vor einer offenen Klappbrücke darauf zu warten, dass die sich wieder schließt, reicht es ihr mit der Ruhe. Ungeduldig trommelt sie mit den Fingern aufs Lenkrad, bis sie mit großen Augen beobachtet, wie ein riesiger Dampfer an ihr vorbeischwebt.
KLOOKSCHIETER: OZEANRIESEN MADE IN GERMANY
Die Kreuzfahrtbranche boomt – mehr Deutsche als je zuvor verbringen auf den riesigen Schiffen ihren Urlaub. Die Meyer Werft, ein in Papenburg ansässiges Familienunternehmen, ist in punkto Schiffbau federführend. Urlaubern und auch Einheimischen bietet die Überführung der Riesen immer wieder ein Spektakel. Für Ostfriesland ist die Meyer Werft von großer Bedeutung – mit etwa 3.000 Beschäftigten und weiteren Zulieferern stemmt das Unternehmen neben Volkswagen in Emden die meisten Arbeitsplätze in der Region. Trotzdem ist die Werft in Anbetracht der aus dem Schiffbau resultierenden Umweltaspekte nicht unkritisch zu sehen. Seit den Achtzigern werden die Überführungen von Naturschützern kritisiert, da für die Auslieferung der Schiffe das Wasser in einem Teilabschnitt der Ems aufgestaut werden muss, was negative ökologische Folgen mit sich bringt.
Nachdem sich die Brücke wieder geschlossen hat, fährt Sonja los, biegt nach dem Überqueren rechts ab und folgt einem Schild, auf dem in schwarzen Lettern Bingum steht. Als sie der Straße folgt, passiert sie weitere Schilder mit Jemgum, Midlum, Critzum und Hatzum. Wenig überraschend ist es, dass auch das nächste kleine Dorf auf die Silbe um endet: Ditzum.
Sonja kichert. Ob sie statt in Ostfriesland in Gallien gelandet ist? Jetzt färbt Max’ Leidenschaft für Asterix und Obelix schon auf sie ab. Aber stünde auf dem nächsten Schild Kleinbonum, würde sie das nicht wundern. Schließlich weigern sich die Ostfriesen auch tapfer, Deutsch zu sprechen – unbeugsam wie das kleine Dorf in Gallien. Jedenfalls hat sie irgendwo gelesen, dass noch gut fünfzig Prozent der Einheimischen Platt sprechen, wobei es offenbar ein starkes Stadt-Land-Gefälle gibt. In Anbetracht der schwindenden Dialekte ein Zeichen des Widerstands. Sonja hofft, dass sie nicht wie die römischen Besetzer im Comic an diesen Eigenarten scheitert. Sie runzelt die Stirn.
Tatsächlich reiht sich nach Ditzum noch Pogum nahtlos ein, bevor sie eine schmale Straße erreicht, die diese Bezeichnung eigentlich nicht verdient hat. Gegenverkehr wäre zumindest unschön, denkt Sonja. Eilig schlängelt sie sich über den Deich hinunter zu einer Betonplattform.
Als sie aussteigt, befindet sie sich auf einer Halbinsel. Der Wind zerrt an ihren Haaren und presst ihr die Klamotten an den Leib. Die Nordsee leckt unter graublauem Himmel an den Pflastersteinen. Hinter ihr rotieren in der Ferne die Blätter von Windrädern, die Silhouetten vermischen sich vor dem Himmel mit flügelschlagenden Wildgänsen. Zwei Sitzbänke und ein Münzfernrohr stehen verlassen am Rande des Plateaus. Von hier aus gibt es nur noch viel Nordsee, bis irgendwann Amerika kommt. Die Sitzbank scheint Sonja wie gemacht für einen Ort der großen Träume. Ein Schild zieht ihre Aufmerksamkeit auf sich, als plötzlich ihr Handy klingelt. Sie zieht die Handschuhe aus und fingert ungelenk nach dem Handy in ihrer Jackentasche.
Das Telefon zwischen Wange und Schulter eingeklemmt, versucht sie sich gleichzeitig wieder die Handschuhe anzuziehen. Mann, ist der Wind eisig. »Ja, hallo?«
»Moin, Sonja. Hier ist Grietje.« Ist das nicht ihre neue Kollegin aus Leer?
»Du, ich wollte dich nur einmal persönlich anrufen, um dich hier zu begrüßen und zu sagen, dass es reicht, wenn du morgen um zehn Uhr in der Redaktion in Leer bist. Ich hoffe, du hast dich schon ein wenig eingelebt?« Die Stimme am anderen Ende der Leitung klingt zaghaft, aber freundlich.
»Oh, СКАЧАТЬ