Название: Fettnäpfchenführer Ostfriesland
Автор: Sylvie Gühmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги о Путешествиях
Серия: Fettnäpfchenführer
isbn: 9783958892972
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»Ihr Kanal entwässert nicht mehr, er bewässert!« Die Anwohnerin ist außer sich. Wild gestikulierend steht sie am Ufer und zeigt auf das Entwässerungssystem. Sie rauft sich die Haare, stochert mit den Fingern in der Luft vor den Männern der Sielacht herum und schnauft. Ihr Grundstück sinke ab, die Mauern des Hauses seien freigelegt, dabei hätte all das die Altersvorsorge sein sollen.
Bewässert werde ich auch gerade, denkt Sonja. Nichts an ihr ist noch trocken, sie ist bis auf die Haut durchnässt. Wobei das in Anbetracht des Problems der Dame eher zweitrangig ist. Sie hat Mitleid. Dem Wetter scheint die Diskussion hingegen herzlich egal zu sein, es legt noch eine Schippe drauf. Um sie herum tanzt der Regen munter seine Pirouetten. Wenn es hier jeden Tag so gießt, wundert es sie eigentlich, dass das Haus überhaupt noch steht.
»Was sollen wir denn gegen den Niederschlag unternehmen, gute Frau?«, antwortet der Mitarbeiter der Sielacht. »Einen riesigen Regenschirm entfalten?« Zu allem Überfluss lacht er noch. Doch das ist der Tropfen, mit dem er das Fass zum Überlaufen bringt. Eine Einigung ist spätestens jetzt in weiter Ferne, genau wie die Klärung der Witterungsverhältnisse. Die Anwohnerin fuchtelt noch wilder mit den Händen in der Luft herum, während die Sielacht mauert.
Nachdem Sonja alle nötigen Informationen beisammenhat, verabschiedet sie sich mit Blick auf ihre ehemals beigefarbenen Wildlederschuhe und seufzt. Der Sielacht-Mitarbeiter folgt ihrem Blick und gibt ihr noch einen Spruch mit auf den Weg: »Es gibt kein schlechtes Wetter – nur schlechte Vorbereitung. Die können Sie wohl wegschmeißen.«
Sonja lächelt ihn schmallippig an. »Wieso geht dann das Haus hier unter, wäre das nicht eigentlich Ihr Job, die Vorbereitung?« Dann nickt sie der Frau zu und macht sich auf dem Weg zum Auto. So ein Hornochse. Auf die Idee, ihr seinen tollen Schirm zu leihen, ist er natürlich nicht gekommen.
Wat’n Mallöör
Der Norden: regnerisch, stürmisch, kalt. Denkt man ans Wetter in Ostfriesland, wird den wenigsten warm ums Herz. Doch was steckt eigentlich hinter dem Schlechtwetter-Mythos – ist es wirklich so schlimm?
Tatsächlich sind die Temperaturen durch die Lage an der Nordsee recht ausgeglichen, die Sommer warm, die Winter mild. So lagen die Sommertemperaturen der letzten Jahre gar über dem Bundesdurchschnitt. Trotzdem liegt auch die Niederschlagsmenge 100 Millimeter über dem Durchschnitt: Statistisch gesehen fallen im Laufe des Jahres rund 800 Millimeter Niederschlag. Im Landesinneren regnet es in den Sommermonaten Juni und Juli am meisten, auf den Inseln dafür erst im Herbst. Trotzdem ist es vor allem der Wind, der verglichen mit dem deutschen Durchschnitt häufiger und stärker weht. Deshalb gibt es in Ostfriesland auch häufiger Sturmgefahr.
Wer nun aber seinen Urlaub wegen schlechten Wetters abblasen möchte, trifft die falsche Entscheidung. Der Wind hat nämlich auch gute Seiten: Er sorgt für ständige Veränderung am Himmel – lange währt der Regen selten. Schnell treibt der Wind die Regenwolken davon. Außerdem stärkt das ostfriesische Reizklima das Immunsystem, nicht umsonst fahren Menschen mit Atemwegs- und Hauterkrankungen auf die Ostfriesischen Inseln. Die salzhaltige Luft wirkt zusammen mit den Temperaturschwankungen kleine Wunder. Und seien wir mal ehrlich: Was wäre Ostfriesland ohne die steife Brise, einen ordentlichen Regenschauer und die Schäfchenwolken am Himmel?
KLOOKSCHIETER: FÜNF GOLDENE SCHIETWEER-TIPPS
Natürlich hat der Mann von der Sielacht recht: In Ostfriesland gibt es kein schlechtes Wetter, nur schlechte Vorbereitung. Und so wappnen Sie sich:
Gummistiefel. Auch wenn der Regen sich längst verzogen hat, der Boden bleibt nass, lassen Sie sich nicht täuschen. Durch die Marschlandschaft gleicht der Grund oftmals einem vollgesogenen Schwamm. Wildlederstiefel sind schön, aber schnell ruiniert. Besser Sie haben immer ein Paar Gummistiefel im Auto.
Eine wasserfeste Jacke. Wenn der Regen kommt, kommt er von allen Seiten. Eine Regenjacke mit Kapuze ist da allemal angebracht. Am besten bringen Sie sich, wenn Sie schon einmal da sind, einen Ostfriesennerz mit. Dazu mehr im nächsten Kapitel.
Zwiebellook. Vielleicht nicht unbedingt die schönste Art und Weise, sich zu kleiden, dafür aber die praktischste: Ziehen Sie sich so an, dass Sie einzelne Schichten bei Bedarf ablegen können. So schnell, wie der Regen kommt, verschwindet er manchmal auch wieder.
Kein Regenschirm. Ein Schirm ist nur bei Windstille eine gute Idee, ansonsten in Ostfriesland bedingt zu empfehlen. Er fliegt Ihnen schneller davon, als Sie gucken können.
Positiv denken. Bei höheren Temperaturen kann so ein schöner Sommerregen auch mal erfrischend sein: Arme ausstrecken, Nase in die Luft, einmal im Kreis drehen. Anderenfalls fluchen, Fersengas geben und ab zur Teetied. Wie sagt der Ostfriese so schön: Abwarten und Tee trinken. Bis der Tee getrunken ist, hat der Wind die Wolken bestimmt wieder gedreht.
9
DER WOLF IMSCHAFSPELZ
VOM VIELLEICHT GRÖSSTENOSTFRIESENSCHERZ: DEMOSTFRIESENNERZ
Sonja sieht misstrauisch nach draußen. Die Sonne ist seit einer halben Stunde nicht mehr zu sehen, verschwunden hinter ostfriesischen Wolken. Gut, dass heute Morgen noch Sonne angekündigt war und Sonja zwar Gummistiefel mit in die Redaktion genommen hat, aber keine regenfeste Jacke. Sich eine vernünftige Regenjacke zuzulegen hat sie gestern nach Redaktionsschluss nicht mehr geschafft.
Sie seufzt. Immerhin der Tee von Grietje hatte nach dem verregneten Termin gutgetan. Vielleicht steigt sie doch noch von Kaffee auf Tee um. So langsam kommt sie auf den Geschmack. Die schwarze Teeblatt-Mischung macht fast genauso wach wie Kaffee, und die hübschen Sahnewölkchen sind auch nicht zu verachten. Wenn da nur nicht die ganzen Regeln wären. Allerdings gibt die Forschung den Ostfriesen recht. Irgendwo hat sie mal eine Studie gelesen, in der Forscher der Frage nachgegangen sind, wieso Menschen im asiatischen Raum so alt werden. Tatsächlich verwiesen die Wissenschaftler am Ende auf die mehrmalige halbstündige Auszeit am Tag, die sich die Menschen für die Teetradition nahmen. Kein Wunder also, dass die Ostfriesen auf ihren Tee so versessen sind, vor allem wenn man bedenkt, dass sie sich nach den Regenschauern ja auch wieder aufwärmen müssen, denkt sie. Wieder geht ihr Blick zum Fenster.
»Wat starrste denn so missmutig aus dem Fenster, mien Leev? Kommt heute ’ne neue Folge?« Grietje schmunzelt.
»Nee, wohl eher eine Wiederholung, so wie das da draußen aussieht. Sag mir bitte, dass das nicht immer so ist.« Seufzend sieht sie zu ihrer Kollegin hoch, die sie nur ernst ansieht: »Doch, das ist 24/7 so. Das hört nie auf.«
Sonja stöhnt. »Ehrlich jetzt?« Sichtbar erschüttert schaut sie nach draußen. »Das ist ja genauso schlimm СКАЧАТЬ