Название: Fettnäpfchenführer Ostfriesland
Автор: Sylvie Gühmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги о Путешествиях
Серия: Fettnäpfchenführer
isbn: 9783958892972
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»Scheint in jedem Fall windig zu sein.« Grietje lacht. Ups. Vermutlich schreit sie doch. Egal. »Ja, ich bin hier gerade auf der Bohrinsel.«
Am anderen Ende der Leitung herrscht Stille. Verzweifelt sucht Sonja nach einem Small-Talk-Thema. »Also dann braucht ihr die Amis ja nicht mal und habt euer eigenes Erdgas. Cool.« Heidenei, wann hat sie das letzte Mal »cool« gesagt? »Aber ist es nicht auch ein bisschen gefährlich, dass die Leute hier einfach so rumlaufen?« Gut. Offene Fragen sind immer gut.
Jetzt lacht ihre Kollegin schallend. »Ähm, Sonja, da muss ich dich enttäuschen – die Bohrinsel heißt nur noch so, gebohrt wird da schon seit ’64 nicht mehr.« Dann fügt sie schnell hinzu: »Aber ja, du hast recht, ganz ungefährlich ist es da nicht. Du hast Glück, dass das Wetter heute mitspielt, bei Sturm solltest du da lieber nicht stehen.«
Wat’n Mallöör
Links Holland, rechts Deutschland, einen Meter vor dem Meer – die Fahrt zur Bohrinsel lohnt sich. Bis Amerika ist es zwar noch ein ganzes Stück, allerdings wird Pogum trotzdem das Endje van Welt genannt, weil es die nördlichste Stelle des Rheiderlands ist. Die Straße endete hier früher am Wasser, am Mündungstrichter der Ems. 1964 wurden dann in Dyksterhusen, jenem Fleckchen Erde, das lediglich aus einer kleinen Reihensiedlung südlich Pogums besteht, Bohrungen durchgeführt, bei denen man Gas entdeckte. Das Vorkommen war aber so verschwindend gering, dass sich dessen Ausbeutung damals ziemlich schnell als unwirtschaftlich herausstellte. Der Name »Bohrinsel« blieb trotzdem erhalten. Und die Fahrt dahin lohnt sich: Die Halbinsel bietet einen wunderschönen Blick über das ostfriesische Wattenmeer, über Schlick, den weiten Himmel und Wildgänse. Nur sollten Touristen auch das Gefahrenpotenzial erkennen: Schon der Weg zur Bohrinsel ist bei Sturm nicht ungefährlich. Die Fluten holen sich dann die holprige Teerstraße zum Festland zurück, sodass ihnen der Rückweg abgeschnitten werden könnte.
3
LEERER GIBT’SNUR ALSKOMPARATIV
VOM MINENFELD OSTFRIESISCHERSTÄDTE UND BÜRGERNAMEN
Das Plätschern von Wasser weckt Sonja am frühen Morgen. Noch halb im Traum denkt sie an Bäche, die von Bergen plätschern, bis ihr einfällt, wo sie ist. Die ersten Sonnenstrahlen des Tages fallen als Lichtpunkte durch die weißen Spitzengardinen, als sie zögerlich ihre Zehenspitzen aus dem Bett schiebt. Sie gähnt herzhaft. Lange hat sie nicht geschlafen. Bis in die Nacht hat sie Kartons ausgepackt, um es sich ein wenig heimischer zu machen.
Wenn aufstehen doch nur einfacher wäre! Müde schlurft sie ans Fenster, um zu sehen, was sie geweckt hat: Ein kleiner Brunnen speit aus schwarz-goldenen Hähnen schon munter Wasser. Die Äste der Zierkirschen im Rathausinnenhof ragen noch kahl und knotig in die Luft. Wie muss das erst im Frühling sein, denkt sie. Der allerdings traut sich noch nicht so ganz heraus. Da haben wir was gemeinsam, denkt sie. Ein Morgenmensch ist sie noch nie gewesen. Die Restkälte des Winters macht es nicht gerade einfacher, das Bett zu verlassen. Zumal es dafür noch viel zu früh ist. Wo ihre geliebte Kaffeemaschine geblieben ist, weiß der Geier. Jetzt auf die Schnelle noch eine Umzugskiste zu öffnen käme vermutlich dem Öffnen der Büchse der Pandora gleich.
Zum Glück hat sie gestern auf dem Weg vom Deich zurück in ihr Marzipanhäuschen ein kleines Café direkt um die Ecke gesehen. Als sie daran vorbeiging, konnte sie die Kaffeebohnen schon riechen. Das hatte ihr die Befürchtung genommen, in Ostfriesland nur Tee trinken zu können. Wacker zieht sie sich den Mantel an und verlässt das Haus.
Die Kaffeerösterei Baum gleicht mit ihrem Innenleben einem Gemisch aus Industrie und dem Chic von Hamburger Speicherstadt-Cafés. Damit ist sie nicht nur ein wirklich hübsches kleines Café im Herzen der Altstadt, sondern auch ein Ort, an dem Besucher selbst gerösteten Kaffee bekommen. Als sie das erste Mal in Leer war, hat sie in der Innenstadt eine Zweigstelle mit einer gläsernen Rösterei gesehen. Mit dem Rücken zum Hafen liegend und der Front zur gepflasterten Gasse, fällt das Café in der Altstadt auf.
Der Geruch von Kaffee liegt in der Luft, als Sonja das Café mit der beigefarbenen Fassade betritt. Schlagartig regen sich ihre Lebensgeister. Mmh, lecker. Was würde sie nur ohne Kaffee machen? »Moin. Ganz schön hip, ihr Leerer. Einen Delfter Blue, bitte.« Sonja unterdrückt ein Gähnen, ist aber stolz, die Lektion von Samstag gelernt zu haben. So schnell sagt sie hier keinem mehr Grüß Gott. Doch wieder scheint sie irgendwas falsch gemacht zu haben, jedenfalls amüsiert sich ihr Gegenüber den funkelnden Augen zufolge prächtig. »Leerer gibt’s nur als Komparativ. Wo kommst du denn wech? Zwei siebzig, bitte. To go?« Verschlafen blinzelt Sonja den Kerl hinterm Tresen an. »Wie bitte?«
»Na, to go – Jasses, zum Mitnehmen halt.«
»Nee, also ja, schon to go, aber was war das andere?«
Doch als der Barista nachhaken will, hat sich Sonja schon den Delfter Blue vom Tresen geschnappt und mit dem Becher in der Hand und einem Runzeln auf der Stirn den Rückzug angetreten. Verwirrt blickt der junge Mann der schwingenden Eingangstür hinterher. Dann zuckt er mit den Achseln und murmelt eher zu sich selbst: »Nu proot ik al maal up Engelsk.«
Wat’n Mallöör
Zwar steppt in Leer nicht gerade der Bär – semantisch gesehen hört da die Gemeinsamkeit Leers mit dem gleichlautenden Adjektiv aber auch schon wieder auf. Leerer als Begriff für die Einwohner von Leer gibt’s nicht – zumindest, was Leer in Ostfriesland betrifft. Nicht-Ostfriesen fallen schnell auf, indem sie bei den Bewohnern Leers von Leerern und nicht, wie es richtig ist, von Leeranern sprechen. Ein Fettnäpfchen, das bei den Bürgern aus Weener ebenfalls droht: Auch hier heißt es Weeneraner. Trotzdem handelt es sich bei diesem Fettnäpfchen um ein zumindest sehr nachvollziehbares, denn die Ostfriesen stiften in ihrer Inkonsequenz ordentlich Verwirrung: Bei den Bewohnern Emdens spricht man nämlich von Emdern und nicht von Emdenern oder Emderanern, ebenso heißt es Norder bei den Bürgern Nordens und auf gar keinen Fall Nordener – wat’n Mallöör.
4
NICHT ALLE,DIE IM NORDENLEBEN, LEBENAUCH INNORDEN
… UND WER VON NORDEN AUS NACHSÜDEN FÄHRT, FÄHRT NACH NORDEN
Zur Begrüßung der neuen Mitarbeiter haben die Kollegen sich in größerer Runde versammelt. Leider scheint Sonja der einzige Neuzugang zu sein. Da stehen sie nun, die neuen Kollegen, und begutachten sie, die Süddeutsche. Sie stehen in der Teeküche, die genau so und nicht etwa Kaffeeküche genannt wird, im Halbkreis um sie herum und mustern sie von Kopf bis Fuß, als wäre sie das auserkorene Objekt einer Studie über eine neue Spezies. Dabei sind sie diejenigen, die pro Kopf schon eine halbe Kanne Tee intus haben, das hat Sonja genau gesehen. Und dankbare Small-Talk-Partner sind sie auch nicht, eher die Sorte harter Brocken. Mehr als ein Moin und ein paar Jo hat sie noch nicht herausbekommen – und das als angehende Journalistin. Immerhin, die eine Kollegin, die sich ihr als Grietje vorgestellt und sie rumgeführt hat, ist ein wenig redefreudiger. Zumindest schien das Eis gebrochen, als Sonja von ihrem geliebten Golf erzählte.
KLOOKSCHIETER: DER OSTFRIESE UND SEIN VW
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