Название: Abara Da Kabar
Автор: Emil Bobi
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783702580773
isbn:
Ich nickte, zwinkerte mit dem linken Auge und spielte den Ball zurück: Das mediale Geschäft sei ja immerhin die Wiege der politischen Hygiene.
Alle lächelten süffisant und Michaela übernahm den retournierten Ball erneut: »Ja, und nicht zu vergessen, dass man in der medialen Wiege auch die Kunst beherrscht, aus Hygiene Kosmetik zu machen und aus Sauberkeit Schönheit.«
Jetzt wurde das Gelächter so laut, dass andere Gäste ihre Köpfe drehten und vornehm schmunzelten. Der Ball lag wieder bei mir und ich wusste, dass ich jetzt vom Gas gehen musste, also sagte ich: »Sauber sein oder sauber aussehen – das ist die ewige Gretchen-Frage der Staatenlenker.«
Der Deutsche Prettner hob Einhalt gebietend die Hand und stimmte zu, dass die Wissenschaft heutzutage auch einen straffen Bildungsauftrag publizistischer Natur hätte, und also der Allgemeinheit gegenüber eine Pflicht zu erfüllen habe.
Elke Winter-Margulies hatte bisher nichts gesagt und kaum gelacht, sondern nur Michaela Halbmond und mich beobachtet. Ich sprach sie an: »Sie sind Paleolinguistin. Das ist ja ein schönes Wort.«
»Ja«, sagte sie gedehnt, »das habe ich am Anfang auch gedacht.«
»Aber es ist schon Wahnsinn«, sagte ich, »wieviel Wissen verloren geht, wenn Sprachen sterben und mit ihnen auch ihre Ideen verschwinden, ihre Erfahrungen, ihre Kulturen, alles einfach weg. Und sie stehen dann vor einem Totenschädel und müssen sich vorstellen, wie seine Aussprache geklungen haben könnte.«
Michaela Halbmond sagte nichts. Sie beobachtete die Reaktion ihrer Kollegin und wartete.
Elke Winter-Margulies hatte ihr studentisches Scheißdrauf-Gehabe beibehalten, das jetzt in ihren reiferen Jahren, wo sie zur etablierten Universitätslehrerin geworden war, etwas vulgär wirkte, aber immer noch suggerierte, dass man in das Establishment vordringen konnte, auch wenn man mit seiner ganzen Erscheinung dagegen demonstrierte. Dazu passte auch ihr gezogener Wiener Dialekt und sie redete mit weit geöffnetem Mund und einem Blubbern in der Kehle, als hätte sie den letzten Bissen noch nicht ganz verschluckt und bräuchte jetzt in dieser viel zu braven Nichtraucher-Gesellschaft endlich eine Zigarette. »Ja, ja, es gibt was Leichteres als Paleolinguistik«, sagte sie und ließ die Luft zwischen ihren geblähten Lippen entweichen, während sie mit dem Kopf wippte, »und nicht einmal die Totenschädel haben wir selbst ausgegraben, sondern die Archäologie.«
Sprachphilosoph Pflug stand leicht vornübergeneigt wie zu einer Verbeugung bereit, und nickte mitfühlend. »Herr Professor«, fragte ich ihn, »könnte man sagen, dass eine Sprache, wenn sie einmal verschwunden ist, gleichsam nie existiert hat? Oder ist das Gymnasiasten-Philosophie?«
Der Alte lächelte, als hätte ich versucht, ihm eine Falle zu stellen. Michaela Halbmond biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte mich mitgebracht, jetzt war sie für mich verantwortlich und nahm die Verantwortung mit dem Charme einer souveränen Gastgeberin.
Professor Pflug nickte. Meine Frage sei kein bisschen naiv, versicherte er. Vielleicht sah er sie als dümmliches Journalisten-Wortspiel, möglich aber auch, dass er an dem Gedanken irgendetwas zulässig fand. »Wenn wir alles wüssten, was wir schon wussten, wären wir deutlich gescheiter«, sagte er väterlich. Wenn man gar nichts in der Hand habe, gebe es auch nichts, was man als vergangen betrachten könne.
Da tauchte die geschäftige Marketing-Dame des Verlages auf und holte Co-Autor Heidenreich weg, um ihn Bücher signieren zu lassen, und das so forsch, dass der Mann sich nicht einmal verabschieden konnte und nur kurz die Hand hob. Ein Tablett mit zu zwei Dritteln gefüllten Sektgläsern schwebte vorbei, gefolgt von einem Tablett mit bunten Häppchen.
Michaela Halbmond war offenbar die Einzige, die verstanden hatte, worauf ich hinauswollte. »Es gibt keine Spuren, die zurückführen, das ist richtig« sagte sie in privatem Ton. »Fragen der Sprachentstehung verlieren sich im Dunkeln. Sprache gibt es seit hunderttausend Jahren, Schrift aber erst seit achttausend. Und da waren die Sprachen schon lange zu Ende entwickelt.«
Ich wusste, dass sie wusste, dass ich spürte, wie ansatzlos sie mich verstanden hatte. Sie überging diese Direktverbindung: »Es gibt viele Theorien, aber höchstens eine ist nicht falsch. Also beschäftigen wir uns lieber mit dem, was wir angreifen können. Wir nehmen die Sprache, heben sie gegen das Licht, drehen und wenden sie, wir zerpflücken alles, was wir zwischen die Finger bekommen, und zwar so lange, bis alle fast verrückt werden. Wir studieren die Konstruktionspläne, die Organisationsstrukturen, wir machen typologische Gliederungen, wir vergleichen alles mit allem und jedem, greifen uns an den Kopf, pressen unsere Lippen aufeinander und dann vergleichen wir weiter.«
Ich hing an ihren Lippen. »Ja«, sagte ich, »ich verstehe.« Ich setzte an, ihr ein bisschen zu erzählen, was ich in den Tagen davor gelesen hatte, da tauchte das Team einer Studenten-TV-Station auf, das über die Buchpräsentation berichten wollte und Michaela Halbmond entdeckt hatte. Sie baten um ein Interview. Ich wich zur Seite, um nicht in das Bild zu geraten, doch sie hielt mich am Unterarm zurück. Ich solle doch einfach dableiben. Während sich das Team in Stellung brachte und das Kameralicht anging, spielte ich den Halbmond-Pressesprecher, der seinen Star vor der Paparazzi-Meute beschützen musste: »Ich hoffe, ihr seid keine Fake-Journalisten«, maulte ich, »dass ihr mir ja nichts aus der Luft Gegriffenes oder aus dem Zusammenhang Gerissenes berichtet.« Während die auf Journalismus machenden Uni-Kids verunsichert waren, ob sie sich nun rechtfertigen mussten, grinste Elke Winter-Margulies schadenfroh und Michaela lächelte ihnen ermutigend zu. Im Interview parierte sie das Interesse an ihrer Person und lenkte es gekonnt auf die Buchautoren und deren Werk.
Als das Team abgezogen war, kam sie von selbst auf das Gespräch von vorhin zurück. Bezüglich Spuren in die Vergangenheit wolle sie ein interessantes Phänomen erwähnen, das bei abgelegenen Naturvölkern zu beobachten sei. Es betreffe den Zusammenhang zwischen Sprache und Denken und weise tatsächlich Reste früherer Entwicklungsstadien der Sprache auf.
Ich nickte aufmerksam. Davon könnten besonders Journalisten etwas lernen, schmunzelte sie, denn diese Naturvölker weigerten sich, über Menschen und Dinge zu sprechen, die sie nicht persönlich kannten. Sie lehnten es ab, sich über etwas zu äußern, das sich außerhalb ihres eigenen Wahrnehmungsbereiches befand, auch, wenn es sich logisch ergab. »Also ein Beispiel«, sagte sie, »man stellt, sagen wir, einem kaukasischen Nomaden folgende Denkaufgabe: ›In Afrika sind alle Menschen schwarz. Nairobi ist eine Stadt in Afrika. Welche Hautfarbe haben die Einwohner Nairobis?‹ Die Antwort des Kaukasiers ist eindeutig: ›Dazu können wir nichts sagen. Wir waren noch nie in Nairobi.‹« Ich prustete viel zu laut los.
Ihre Augen glitzerten und sie gab ein weiteres Beispiel. »Frage: ›In Österreich essen alle liebend gern Wiener Schnitzel. Herr Bauer ist Österreicher. Welche kulinarischen Vorlieben hat Herr Bauer?‹ Antwort des kaukasischen Nomaden: ›Wir wissen nicht, was Herr Bauer am liebsten isst. Wir haben ihn noch nie getroffen.‹« Ich bog mich. Und sie blickte mich an, als hätte sie an meinem Lachen etwas erkannt.
Sie kam in Fahrt und holte eine weitere Geschichte hervor. Lustig sei auch, wie sich Unterschiede in der persönlichen Wahrnehmung von Farb-Eindrücken in verschiedenen Sprachen äußerten, sagte sie. Doch plötzlich, noch bevor sie mit ihrer Ausführung beginnen konnte, legten sich von hinten zwei Hände mit rot lackierten Nägeln auf ihre Augen und sie hielt inne. Sie drehte sie sich um. Ihre Augen blitzten. Sie riss ihre Arme hoch und im nächsten Augenblick lagen sich zwei Freundinnen wie kreischende Schulmädchen in den Armen, die sich ewig nicht gesehen hatten. Sie fassten sich gegenseitig an die Wangen, rissen die Augen und die Münder auf und schüttelten ungläubig die Köpfe. Florence. Université de Paris. Jowulu. Gemeinsame Abenteuer, gemeinsam Geschichte geschrieben. Plötzlich wiedervereint.
»Warte«, СКАЧАТЬ