Название: Abara Da Kabar
Автор: Emil Bobi
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783702580773
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Ich kochte Kaffee, schluckte Tabletten, setzte mich an den Schreibtisch und begann, in den Archiven internationaler Zeitungen und einiger Universitäten nach Beiträgen zum Thema »Sprache« zu suchen. Ich überflog, las quer, tauchte da und dort tiefer, ließ wieder ab und ging weiter. In keinem einzigen dieser Texte klang auch nur entfernt etwas an, das in meine Richtung deutete. Nirgendwo war die Rede von einem Kommunikationsproblem, das vom System ausging. Der Tenor lautete: Die Sprache ist ein rätselhaftes Wunderwerk, ein Geheimnis. Sie schenkt uns die Kommunikation und nicht ein Kommunikationsproblem.
Obwohl ich längst wusste, dass ich an eines der ganz großen Themen geraten war, sah ich erst jetzt, wie gewaltig riesig es wirklich war. Es reichte bis an den Horizont und ging daher vermutlich auch darüber hinaus. Alle Protagonisten des Denkens, Forschens und Schaffens sämtlicher Epochen und aller Kulturen vom Altertum bis herauf in die Gegenwart äußerten sich über die Sprache. Sprache ist … begannen sie alle und dann folgte etwas Hellsichtiges, Ergreifendes, sprachlich Virtuoses, nachdenklich, malerisch, angestrengt, wütend, kategorisch, tastend, resignierend, originell, leidend, bohrend, anbetend, verdammend, verstiegen. Tausende Jahre lang hatten sie ihre Gedanken über das ungreifbare Phänomen aufgetürmt, immer höher und höher. Je mehr darüber gesagt wurde, desto größer war das Thema geworden. Das reichte von den Sehern des indischen Altertums, den persischen und äthiopischen Welterklärern, den Intelligenzbestien des alten Athen, den esoterischen Deutern des Mittelalters, sämtlichen Philosophen, Dichtern und Künstlern bis herauf zu den Empirikern der jüngsten Jahrhunderte und schließlich den modernen Linguisten, Kunstschaffenden und Schreibern der Gegenwart. Alle erklärten, was sie dachten, dass Sprache war. Und alle hatten eines gemeinsam: Sie versuchten sprachlich in einen Bereich vorzudringen, wohin ihre Sprache nicht reichte. Alles, was sie tun konnten, war, mit schöner literarischer Kunstfertigkeit und beeindruckender philosophischer Kraft zu umschreiben, dass sie es nicht wussten. Und fast niemand ließ sich herab, genau das zu artikulieren. Einer schon: »Anatomieren magst du die Sprache, doch nur ihr Kadaver, Geist und Leben entschlüpft flüchtig dem groben Skalpell.« Ok, schön, dachte ich. Aber das brachte mich auch nicht weiter. Geist und Kadaver und Skalpell. Was sollte ich damit?
Ich wollte jetzt ja nicht die Sprachwissenschaften in ihrer Gesamtheit studieren, sondern machte mich mit der herkömmlichen Ahnungslosigkeit des Journalisten am Beginn seiner Recherche auf eine gezielte Suche nach Spuren meiner eigenen Gedanken. Doch ich fand nicht viel. Nur ein oder zwei der radikalsten Denker gaben Äußerungen von sich, in denen etwas durchklang, das bei mir anschlug. Nietzsche zertrümmerte die gesamte Sprachromantik mit wenigen Hieben: Die Sprache sei ein Instrument der Lüge und diene zur Vertuschung eigener Verwerfungen. Und einige Mystiker unterstellten, die Sprachenvielfalt diene zur Verhinderung von Kommunikation.
Aber wirklich sicher waren nur die Priester. Sie wussten es. Die Sprache war ein Geschenk Gottes und die Sprachverwirrung zu Babel eine Strafe desselben. Und so war das Thema das gesamte Mittelalter unter priesterlichem Verschluss geblieben, bis im späten achtzehnten Jahrhundert erste Mutmaßungen offen ausbrachen, die Sprache sei ein Werk des Menschen. Der Mensch selbst habe sie erfunden und entwickelt. Wahrscheinlich durch Nachahmung von Naturlauten in Verbindung mit körperlichen Zeichen und Gesten. Die Linguistik war geboren.
Ich versank in den Recherche-Unterlagen. Nach drei Tagen war ich eingeraucht mit Sprachgeschichte. In meinem Kopf drehten sich Satzfetzen, die sich selbstständig gemacht hatten. Am frühen Morgen nach der dritten Nacht, ich war halb wach und hörte die Vorgänge in meinem Hirn mit großer Lautstärke, da fügten sich einzelne herumschwirrende Brocken zu einer sauberen Ordnung und ergaben plötzlich ein Bild, das ich zu erkennen glaubte. Ich dachte den Grund für die Angst der Priester zu sehen und ich sah die Gefahr, die es für sie bedeutete, wenn ihnen Fragen nach der geheimnisvollen Macht der Laut-Kombinationen gestellt wurden. Mir leuchtete ein, wie sehr die Menschwerdung selbst, jawohl, die Menschwerdung und nichts Geringeres als die Menschwerdung, mit der Aneignung von Sprache einherging. Was Sprache konnte, lief darauf hinaus, dem Gott der Priester die Erschaffungskompetenz zu entziehen.
Schon klar, nicht alles, was es gab, war auch nachweisbar, aber alles, was nachweisbar war, gab es auch wirklich. Und sie, die Sprache, war es nun einmal nachweislich gewesen, die im Hirn des Menschen eine Kette neuer Fähigkeiten aktiviert hatte, die ihn, den Menschen, allen anderen Wesen der Natur so konkurrenzlos überlegen macht. Diese Kettenreaktion war die Mutter aller Kettenreaktionen und sie war eine Nebenwirkung der Sprache.
Eine Faust schlug gegen meine Wohnungstür. Ich stieg aus dem Bett. Der Gasmann begehrte Einlass, als hätte er einen Durchsuchungsbefehl. Ich hatte die vorgeschriebenen Wartungsarbeiten an der Gastherme nie durchführen lassen, musste nun glaubhaft lügen und war dankbar, dass die Sprache vorsätzliche Unwahrheiten zuließ. Furchtbar die Vorstellung von einer Sprache, die wie ein Geheimdienst in meinem Kopf saß und mich daran hinderte, mich zu verstecken. Aber dann griff ich zur noch einfacheren Lösung. Ich öffnete nicht.
Ich hatte wirklich zu tun. So war das also mit der Sprache, dachte ich. Hochinteressant. Was von all dem Gelesenen am besten ineinander passte, machte ich zu meiner Meinung. Ich trank kalten Kaffee. Ich kratzte in Tomatensauce eingetrocknete Nudelreste vom Rand der Pfanne. Ich starrte aus dem Fenster.
Meine Recherche bekam Eigendynamik. Eines ergab das andere und so hantelte ich mich immer weiter in einen Stoff hinein, in dem es wie in einem Schlund immer tiefer nach unten ging und ich bald das Gefühl bekam, selbst verschluckt zu werden. Ich telefonierte drauf los, fixierte Gesprächstermine, hinterließ Nachrichten, ersuchte um Rückrufe, verschickte Mails mit allgemeinen Fragen, bat um Interviewtermine oder um Hinweise auf mögliche Gesprächspartner. In einer der Zeitungsgeschichten, auf die ich gestoßen war, fiel mir die Sprachhistorikerin Michaela Halbmond auf, weil sie aus Wien stammte und mit dabei gewesen war, als man in den Achzigerjahren in Westafrika eine unbekannte Sprache entdeckt hatte. Eine Sprach-Entdeckerin also. Gleich hier um die Ecke. Am Institut für Linguistik fand sich jemand, der mir ihre Telefonnummer verriet. Ich wählte sie. Besetzt.
Sprachentdeckungen waren mehr als selten geworden. Die junge empirische Wissenschaft hatte innerhalb eines Jahrhunderts alles fast restlos wegentdeckt. Sie registrierte Abertausende lebende Sprachen, verglich und katalogisierte sie, definierte ihre baulichen Strukturen und gliederte sie über grammatische, semantische oder lexikalische Ähnlichkeiten in Familien, Gruppen und Untergruppen und entschied, ob ein Einfluss etwa balto-slavisch oder vielleicht indo-iranisch war.
Ich wählte die Nummer von Michaela Halbmond. Es war besetzt. Ich schrieb an Noam Chomsky, dann schrieb ich an Salikoko Mufwene. Als ich auf Senden drückte, läutete mein Telefon und einer jener Sprachexperten im weitesten Sinn, die ich anfangs nicht erreicht hatte, rief zurück.
Er war ein Geistlicher und ein besonderer Mensch. Seit vielen Jahren hatte er mich mit vertraulichen Informationen aus der Kirche versorgt, die sich bei Überprüfung stets auf Punkt und Beistrich bestätigten. Er war ein erbarmungsloser Kirchenkritiker, denn er wollte sich seine Kirche nicht von jenen nehmen lassen, die sie veruntreuten. Wenn er den Vatikan bloßstellte, kam das ganz ruhig und ohne Feindlichkeit daher, aber СКАЧАТЬ