Название: Abara Da Kabar
Автор: Emil Bobi
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783702580773
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Es wurde gegen mich in einer Sprache verhandelt, von der ich nicht ein einziges Wort verstand. Alles andere lief so ab, wie ich es von Gerichtsprozessen kannte. Der Richter verlas stehend etwas, warf immer wieder den weiten Ärmel seines Talars zur Seite, der immer wieder zurückrutschte und sein Dokument halb verdeckte. Sein Oberkörper neigte sich ein wenig seitwärts und er las sehr schnell, als gebe es ohnehin keine Widerrede. Er strahlte die Souveränität und Entschlossenheit eines unnahbaren Regimes aus, das alle Rechte hatte und gegen mich vorging. Der Richter hielt inne und blickte auf. Eine sehr übergewichtige Person in ziviler Kleidung hatte sich von einer Sitzreihe zur Linken des Gerichtes erhoben und sagte zwei, drei kurze, unbeteiligte Sätze. Dann hob er die Hand zum Zeichen seiner Bitte um Geduld und blätterte mit der anderen Hand in seinen Unterlagen, ohne die erhobene wieder runterzunehmen. Dann zog er ein Blatt aus dem Aktenberg, hob es präsentierend hoch und kommentierte es mit einigen Knacklauten. Der Richter durchwühlte mit schnellen Bewegungen einen seiner Ordner, schien nichts zu finden und blickte wieder den Übergewichtigen an, der nun mich anschaute, während er ein kehliges Schleifgeräusch ausstieß, das mit einem abgewürgten Stöhnen endete. Ich entnahm seinen Lauten nicht einmal, ob es eine Frage oder eine Mitteilung war. Er wartete zwei Augenblicke und als von mir nichts zurückkam, wandte er sich gleichmütig wieder an den Vorsitzenden und nickte. Alles schien vorbereitet. Aber ich wusste nicht, was. Das einzige, was ich zu verstehen dachte, war das Nicken des Übergewichtigen, das wohl ein Ja bedeuten musste, obwohl nicht einmal das gesichert war, denn die Inder etwa schüttelten den Kopf, wenn sie etwas bejahten. Der Übergewichtige sah jedenfalls aus wie ein Verteidiger, vielleicht mein Pflichtverteidiger, der etwas bejaht hatte. Sonst wusste ich nichts. Ich wusste nicht, was man mir vorwarf, nicht einmal, ob man mir überhaupt etwas vorwarf. Sicher schien nur, dass es ein Strafgericht war, aber nicht einmal dafür hatte ich eine Bestätigung. Theoretisch konnte es auch ein Verfahren zur Gewährung eines lebenslangen Luxusurlaubes sein, aber dagegen sprachen die schwer bewaffneten Justizbeamten, die bewegungslos links und rechts neben mir standen und mit dem Kinn auf den Richtersenat zeigten. Sie erstickten meine Fluchtgedanken im Keim. Ich nickte Kontakt aufnehmend und einladend in Richtung des Gerichts. Ich bot gestisch meine volle Kooperation an. Vielleicht hatten sie ja recht. Das konnte man besprechen. Ich hatte nicht vor zu lügen und so hätte man vielleicht das Prozedere abkürzen können und Klarheit schaffen und Ordnung, was vermutlich alle wollten, auch ich, ich sicher, vielleicht noch mehr als sie. Außerdem, wer war schon frei von Schuld? Und ich, ganz offen gesagt, fühlte mich auch nicht schuldlos. Natürlich waren Fehler passiert, das wollte ich nicht bestreiten, es wäre ja unsinnig und unglaubwürdig und vielleicht strafverschärfend, jeder hat Verbrechen begangen, zumindest an der Demut, an der Aufrichtigkeit und Unterwürfigkeit, wenn schon nicht an Leib und Leben.
Der Lauf der Verhandlung rollte über mich hinweg, als wäre ich nicht da, als würde in meiner Abwesenheit gegen mich verhandelt. Ich versuchte zu sprechen, aber da kam kein Laut aus meinem Mund. Ich wollte dem Gericht bedeuten, ja, ok, ist ja gut, ich komme euch entgegen, man muss mich gar nicht zwingen, ich sträube mich nicht. Ich spürte das Verlangen, meiner Schuld einen Grund zu geben, dieses diffuse Gefühl des Schlechtseins, das sich in mir breitmachte, mit einem konkreten Vorwurf zu identifizieren und bereubar zu machen. So bat ich mit den Augen um Bestätigung meiner Schuld. Aber niemand achtete auf meine geblickte Aussage. Ich war bereit, mich schuldig zu bekennen, aber man hatte mich nicht gefragt. Ich wollte ein volles Geständnis ablegen, aber welche Sache betreffend? Oder einen Gegenbeweis antreten, aber wovon? Ich wollte schuldig sein, doch konnte ich es nicht, weil ich nichts verstand. Ich verstand diese Sprache nicht und ich hatte diese melodielosen Geräuschketten noch nie gehört. Aber sie schienen ausschließlich aus Konsonanten zu bestehen. Es war wie unter Wasser, es war, als würde ich nun doch nicht an einem Ufer stehen und über das Wasser hinweg zur Kanzel blicken, sondern unter Wasser sein, ohne Luftraum, durch den sich Laute hätten bewegen können.
Da sah ich den Gerichtsschreiber. Er saß zur Rechten des niederösterreichischen Vorsitzenden aus dem Bangkok Hilton und blickte nun auf. Ich wunderte mich, ihn bis dahin nicht wahrgenommen zu haben, denn schon sein Aussehen wirkte, als käme er aus einer gänzlich unbekannten Kultur. Seine lange, gebogene Nase erinnerte an einen Schnabel, seine Augen waren außergewöhnlich groß und außergewöhnlich schwarz und sein kommentarloser Blick war klar wie Gebirgsluft. Er musste einer hierarchischen Ebene entstammen, die Dimensionen drüberstand. Er, und nur er, war hier der wahre Vorsitzende, auch, wenn er wie ein Besucher wirkte. Und dann erkannte ich ihn: Tehut. Es war Tehut. Der Erfinder der Schrift. Der Protokollchef des Totengerichts. Tehut, der Schreiber.
Da klopfte es. Ich öffnete die Augen und sah das gequält lächelnde Gesicht eines alten rumänischen Bettlers, der mir durch die verschmierte Windschutzscheibe zunickte und die Hand aufhielt. Die Sonne stand schon hoch und im Wagen war es heiß geworden. Mein Kopf steckte unter einer schmerzenden Trockenhaube. Mir war übel, Schweiß verklebte mich von oben bis unten und ich war erleichtert, in Wien zu sein und angebettelt zu werden. Ich öffnete die Wagentür. Die kühlende Luft auf meinem nassen Körper fühlte sich an, als würde ich Wasser aus dem Paradies trinken.
Mein Traum befand sich noch in der Nähe und hallte nach. Erinnerungsgefühle aus einer fremdartigen Tiefe wehten herauf und ich spürte eine vergessene Vertrautheit, wie ein Wiedersehen mit meinen entferntesten Augenblicken, die weiter weg waren als ich jemals gewesen war und möglicherweise selbst aus Träumen stammten. Ich schleppte mich hinunter zum Donaukanal und ließ mich im Schatten nieder. Es stank nach Urin, duftete nach Lindenblüten und roch nach den fauligen Dieselabgasen der Fähre, die Richtung Bratislava abgelegt hatte und mit winkenden Urlaubern an Deck lautlos vorbeizog. Die bunten Graffitis an den Ufermauern verschwammen, wenn sie nicht schon verschwommen waren. Ich war zufrieden, als wäre ich durch ein Ziel gegangen. Aber ich wollte nur noch kotzen. Da sah ich, dass der Bettler noch da war und mir eine Flasche Wasser unter die Nase hielt. Ich trank und dann kam ein dicker, gelblicher, verklumpter Strahl aus meinem Mund wie aus einem Abwasserrohr. Alles wurde leichter. Und der Bettler lachte begeistert mit zahnlosem Mund und kindlich glänzenden Augen.
War ich aufgewacht, obwohl die Verhandlung weiterlaufen sollte? Hatte der Bettler bewirkt, dass das Verfahren vertagt wurde, um in der Zukunft weitergeführt zu werden? Oder erinnerte ich mich nicht mehr an alles und es war auch zu einem Urteil gekommen? Hatte man mich verurteilt? Es dürstete mich nach Gewissheit wie nach Wasser. Ich hoffte, verurteilt worden zu sein, ich hatte Lust, verurteilt worden zu sein und ich wollte es wissen. Vor allem die Urteilsbegründung hätte mich interessiert. Mehr noch als das Strafausmaß. Fast wäre ich gern verurteilt gewesen, nur um zu erfahren, wofür und zu was. Dieses Gericht schien viel über mich zu wissen, sehr viel. Und ich wollte es auch erfahren. Aber es gelang mir nicht, weitere Bilder des Traumes auszugraben. Sie entfernten sich, verloren ihre Lautstärke und Fragwürdigkeit. Nur das Gefühl tiefer, alter Verwandtschaft blieb noch lange und wurde nur langsam schwächer. Ich fuhr in meine Wohnung und fiel ins Bett.
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Als ich am späten Nachmittag erwachte, dachte ich, das Piepsen meines Mobiltelefons gehört СКАЧАТЬ