Название: Abara Da Kabar
Автор: Emil Bobi
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783702580773
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»Der Sprachfehler. Das Kommunikationssystem, das den Menschen zum Menschen macht, funktioniert nicht.«
Ok. Ist ja ok, sagte ich mir, ruhig Blut. Man kann ja jederzeit dazulernen. Man kann etwas Neues entdecken und dann ändern sich halt die Sachverhalte. Das ist Entwicklung. Jeden Tag werden neue Dinge entdeckt, die alte Denk-Gebäude zusammenfallen lassen. Ein Knochenfund, und schon muss die Geschichte umgeschrieben werden. Aber dann wird sie eben umgeschrieben und es geht weiter. Doch wenn die Sprache nicht das ist, was man dachte, dass sie ist, geht nichts mehr weiter. Dann ist nicht nur ein Knochen falsch, sondern alles. Absolut alles müsste umgeschrieben werden. Aber diesmal kann nichts umgeschrieben werden. Mit welcher Sprache denn?
Ich weiß nicht mehr, wie die Zeit an diesem Abend so schnell vergehen konnte. Es war schon lange nach Mitternacht, als ich in der Bäckerstraße stand und mich umdrehte. Der Lamborghini lauerte an der Ecke. Er röchelte unter dem Würgegriff seiner Bremsen und harrte der Entscheidung, in welche Richtung er nun hechten sollte. Die beiden Insassen schienen sich zu streiten. Er, der am Steuer saß, schüttelte heftig dementierend den Kopf. Sie, am Beifahrersitz, schnappte bekräftigend nach ihm und ihr Gesicht zuckte immer wieder in seine Richtung, als würde sie ihn anbellen. In den östlichen Himmel schlich das erste Violett und wie eine Wettererscheinung zog eine riesenhafte schwarze Wolke russischer Saatkrähen von Westen her lärmend über die Stadt auf dem Weg in den Prater, wo sie wie Früchte schwer in den Baumkronen hängen wollten.
Ich hatte Lust einzuschlafen und einige Tage vorher wieder aufzuwachen, damit sich alles als Traum herausstellen konnte. Ich musste lachen. Ich musste angreifen. Ich musste so tun, als sei alles nur eine Zeitungsgeschichte. Ich musste einfach nur einmal angreifen und dann weitersehen. Also griff ich an: Wo also lag der Fehler? Was genau funktionierte nicht? Was war das überhaupt: Sprache. Gab es Menschen der Sprache, die über ihr zentrales Informationsübermittlungssystem sagten, es funktioniere nicht? Linguisten? Denker? Dichter? Bauern? Räuber? Geisteskranke? Egal, ich würde sie finden.
Wo die Recherche langgehen musste, war klar, es gab ohnehin nur eine einzige Vorgangsweise: Hinfahren und nachschauen. Es gab keine Alternative zur Reporter-Absoluten des Hinfahrens und Nachschauens. Reportagen waren im Homeoffice nicht machbar. Nichts auf der Welt war so, wie es sich vom Schreibtisch aus gesehen darstellte. Alles änderte sich radikal, wenn man hinfuhr und nachschaute.
Ich wusste, was ich zu tun hatte. Es war mir nie unklar. Ich musste mich auf die klassische Suche nach dem verlorenen Schlüssel machen. Ich musste den Weg zurückgehen, den mein Untersuchungsgegenstand durch seine Geschichte genommen hatte, den Blick dabei immer konzentriert am Wegrand, und wenn da kein Schlüssel zu entdecken sein würde, würde mich mein Weg eben ganz zurück bis an seinen Anfang führen.
Ich ging davon aus, dass das Hirnprogramm »Sprache« nicht als Missgeburt auf die Welt gekommen war, denn das machte nun wirklich keinen Sinn. Das Menschengehirn war doch nicht eine Million Jahre lang gewachsen, um sich in die Lage zu bringen, die massenhaften Schaltungen der Sprachverarbeitung zu bewältigen, nur um dann nicht zu funktionieren. Ich glaubte an die Intelligenz der Natur und an die komplexe Sinnhaftigkeit ihrer Funktionsweisen. Nein, bei der Geburt der Sprache musste alles noch geklappt haben. Es musste unterwegs eine Panne aufgetreten sein. Vielleicht etwas wie ein Ur-Missverständnis, das sich fortgepflanzt und ausbreitet hatte wie ein Virus. Dann wäre das Problem kein technischer Defekt, sondern die Folge falscher Anwendung oder so. Wie konnte es überhaupt sein, dass die Sprache Lügen zuließ? Und wozu wurde sie denn erfunden? Weil den Hominiden langweilig war und sie ihre Nachbarn ausrichten wollten? Wohl kaum. Die Erfindung oder Entdeckung oder wie immer der Beginn der syntaktischen Laut-Kommunikation zu nennen war, musste doch im Kern dem Bedürfnis gefolgt sein, die Welt zu erklären. So dachte ich jedenfalls.
Ich sah mich bei einem Naturvolk, von dessen Sprache ich kein Wort verstand und es dennoch kennen und verstehen lernte, ohne eine Vorstellung zu haben, wie das funktionieren sollte. Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich zurück musste zum Ursprung. Ich benötigte einen Lokalaugenschein bei den Anfängen der Menschen-Sprache. Aber wie das gehen sollte, wusste ich noch weniger. Der Weg zurück war nicht nur versperrt. Es gab ihn nicht. Genauer gesagt war er nicht einmal denkbar. Sprachen kamen und gingen und die meisten von ihnen hinterließen schon deshalb keine Spuren, weil sie keine Schrift kannten. Und Wörter waren Muster aus Schallwellen, die im Wind verschwanden. Gesprochene Sprache war deformierte Luft. Davon blieb nichts als Luft. Da gab es nichts auszugraben, von dem man rückschließen konnte.
Na, viel Glück, dachte ich in der Morgendämmerung auf der Straße stehend. Ich schüttelte den Kopf. Entschuldige, fragte ich mich, bitte um Verzeihung, Herr Ober-Reporter, wo geht es hier zurück zum Ursprung der Sprache? Gehst du da vorne an der Ecke links oder rechts?
Es wäre untertrieben zu sagen, ich sei vor dem Nichts gestanden. Einmal verschwundene Sprachen waren so verschwunden, dass sie eigentlich nie existiert hatten. Nicht nur die Sprache als solche war Vergangenheit, auch ihre Geschichte hatte sich aufgelöst und selbst die Erinnerung an ihre Geschichte war verloren, weil auch Erinnerung nichts als gespeicherte Sprache war. Ich stand vor einer Sprach-Vergangenheit, die selbst nicht mehr existierte. Wie sollte ich rekonstruieren, was früher war, noch vor meiner eigenen Sprache? Abertausende von ihnen waren gekommen und gegangen. Sie verzweigten sich wie die Äste einer Baumkrone, hielten einige Jahrhunderte, veränderten sich und ihre Benutzer und verschwanden wieder. Sie starben ab und hinterließen keine Hinweise auf ihre Existenz. Sogar die meisten Sprachen der Gegenwart kannten übrigens keine Schrift und verschwanden eine nach der anderen mit ihren Sprechern noch spurloser als die Sprecher. Wo sollte ich also in der Vergangenheit einen Fehler finden, wenn es das Umfeld selbst nicht mehr gab, in dem er passierte?
Ich ging nach rechts. Hinunter zum Schwedenplatz und über die Brücke auf die andere Seite des Donaukanals, wo ich mein Fahrzeug geparkt hatte. Ich nahm den Strafzettel nicht von der Windschutzscheibe, er würde von selber verschwinden, sobald ich den Scheibenwischer einschaltete. Denn es begann wieder leicht zu regnen.
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Ich startete den Wagen nicht. Ich griff nach dem Hebel rechts am Sitz, legte mich mit der Rückenlehne flach und schlief sofort ein. Ich träumte und der Traum war von großer Klarheit und Lautstärke. Da war ein junger Niederösterreicher, den ich aus dem wirklichen Leben kannte, ich meine, kennen ist ein bisschen viel gesagt, ich hatte ihn nur einmal getroffen, als ich ihn vor Jahren in einem Gefängnis in Bangkok besuchte, das man Bangkok Hilton nannte, um über ihn zu berichten. Ich schrieb eine Serie über im Ausland inhaftierte Österreicher, die auf der ganzen Welt verstreut mit ihren geplatzten Träumen im Gefängnis saßen. Der noch kindlich wirkende Niederösterreicher war bei der versuchten Einreise von Laos nach Thailand mit einem Kilo Heroin festgenommen und zu hundert Jahren Haft verurteilt worden. Als ich ihn besuchte, hatte er sieben Jahre abgesessen und der thailändische König hatte seine Strafe im Zuge einer Amnestie halbiert. Er hatte also noch dreiundvierzig Jahre zu sitzen und weil er aus einer Familie stammte, die sich seit seiner Kindheit nie um ihn gekümmert hatte und er von ihr also nichts, nicht einmal einen Brief, erwarten durfte und auch sonst niemanden in seiner Heimat hatte, er also wirklich allein war, hielt er sich mit der Vorfreude am Leben, mit den Jahren einer der einflussreicheren Langzeithäftlinge zu werden und in den Genuss eines Privilegs zu kommen, das nur solchen Häftlingen vorbehalten war: eine ein bis zwei Quadratmeter große Bodenfläche im Gefängnishof bebauen zu dürfen und eines Tages seine eigenen Tomaten zu ernten. In meinem Traum tauchte er nun als Richter auf.
Er thronte inmitten der Beisitzer wie auf einer Kanzel im Hintergrund, vor der sich ein Meer befand. Eine Wasserfläche jedenfalls, über die man zum Gericht hin blickte. Gerichtsdiener trugen Akten herein und СКАЧАТЬ