Название: Abara Da Kabar
Автор: Emil Bobi
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783702580773
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»Ist das nicht die Wahrheit?«, fragte ich, »Sag du. Du bist die Expertin. Ich spüre nur etwas. Ich sehe nur etwas.«
»Da gleich?«, fragte sie und deutete auf einen kleinen Gastgarten, der kein Gastgarten war, sondern aus vier kleinen, auf den Gehsteig gedrängten Tischen bestand, die mit einem stilisierten Plastik-Gartenzaun der Marke »Knusperhäuschen« eingegrenzt und symbolisch von der Fahrbahn getrennt war. An einem der Tische saß ein älterer Mann vor seinem Glas und war intensiv mit sich selbst beschäftigt, suchte ruhelos in den Taschen seines Mantels, den er trotz der Hitze trug, rupfte an seinen schweißverklebten Haarresten, rutschte auf dem Sessel hin und her und verlagerte sein Gewicht, um sich Zugang zu weiteren Innentaschen zu verschaffen, in denen er ebenso wenig fand, wie in den anderen.
»Gibt’s da was?«, fragte ich, »ok, passt.«
Rechts neben dem Eingang hing eine blecherne, bunt emaillierte Werbetafel aus den Sechzigerjahren, aus der ein riesiges, überschäumendes Krügel Bier heraus kippte. Perspektivisch im Hintergrund lachte eine glückliche Hausfrau mit toupierten Haaren und roten Lippen. Drüber stand in geschwungenen Lettern: »Trinken Sie Bier!« Darunter hing eine schwarze Tafel, auf der mit Kreide das Angebot der Küche vermerkt war: Saures Rindfleisch mit steirischem Kernöl. Dann: Thunfisch-Carpaccio an Avocado-Sesam-Limetten-Teriyaki. Und ganz unten: Heidelbeer-Muffins auf Vanille-Schaum. Aber das Lokal schien verlassen, es war weit und breit kein Kellner zu sehen und es kam auch keiner.
Wir warteten. Ich fragte: »Tratschen deine Jowulu-Freunde gern? Ich meine, was reden sie und warum reden sie? Reden sie viel, oder nur dann, wenn es was zu sagen gibt?«
Sie entspannte sich im Sessel. Sie schien sich wohl zu fühlen und nahm sich eine Sekunde, um einzulenken. Bis dahin war sie im Small-Talk-Modus gewesen, hatte spielerisch über Hunger geklagt und beobachtend gelächelt. Jetzt senkte sich Konzentriertheit wie aufziehendes Gewölk auf ihren Blick. Sie biss sich auf die Unterlippe, die wie zerknittertes Seidenpapier Fältchen und Plättchen warf und sie fixierte mich mit dem unverwandten Interesse einer Ärztin, die ein Symptom entdeckt hatte. Wenn sie sprach, spürte ich das große Wissen, das nur leicht angezapft hinter ihren Worten bereit lag.
Eigentlich seien diese Jowulu-Leute sehr gesellig und gar nicht so asketisch und wortkarg, wie man das bei Völkern der Sahara gewöhnlich beobachte. Sie machten Witze, in der Nacht werde gefeiert und wenn Bier da sei, tranken sie es aus. Und wenn dann jemand stolpere, dann lachten sie. Sie seien uns Europäern viel ähnlicher, als ihr Äußeres nahelegen würde.
»Und was passiert, wenn es Streitereien gibt? Wie werden Missverständnisse ausgeräumt?«, fragte ich, »wie oft hörst du sie sagen: ›Du verstehst mich nicht‹? Ich meine, gibt es Diskussionen über sprachliche Unwegsamkeiten, die klären sollen, was jemand nun genau gesagt oder nicht gesagt hat, oder doch gesagt, aber nicht so gemeint hat?«
»Nur, wenn sie betrunken sind«, lachte sie, »und das ist gar nicht so selten.« Auch die Frauen, besonders die alten, langten ganz schön zu und zogen dazu gierig an Tabakpfeifen.
Michaela Halbmond blickte über die Schulter, um nach einer Bedienung Ausschau zu halten, aber da war nur der einsame Gast, der unverändert in seinen Taschen wühlte. Sie wandte sich wieder mir zu. Jetzt stach ihr Blick nicht mehr an mir vorbei in ein fernes Gedankenarchiv. Jetzt blickte sie mich offen und geduldig an, als wäre sie endlich bei mir angekommen. Sie hatte es nicht eilig, etwas zu sagen.
»Es geht mir um die Kluft«, sagte ich, »um diese Kluft, die überall ist, wo Menschen sprechen. Die mitten durch jeden Satz verläuft, den Menschen aussprechen und mitten durch jeden Satz verlaufen ist, den Menschen jemals ausgesprochen haben. Die Kluft, die alles aufspaltet in das, was sie sagen und das, was sie meinen.«
Sie hatte längst verstanden. Sie lächelte ernst und nickte langsam. Wenn sie »Ja« sagte, sank ihr Ton in einem Bogen nach unten und nahm etwas zärtlich Zusicherndes an, fast etwas Tröstendes. »Ja«, sagte sie, »ich mag diese Leidenschaft in deinen Gedanken. Sie sind bestechend und unbescheiden, wie es sich gehört, wenn du bereit bist für die Revolution. Käme jemand in meinem Fach mit sowas daher, würden alle den Kopf schütteln, obwohl wir, genau betrachtet, eigentlich dasselbe sagen.«
Sie nahm mich ernst. Ich war erleichtert.
»Gibt es einen Weg zurück?«, fragte ich. Sie wusste ansatzlos, was ich meinte, das hatte sie bei der Buchpräsentation schon verstanden. Sie zuckte mit den Schultern, dann schüttelte sie den Kopf. Einen Weg zurück zum Anfang? Das sei es doch, was die gesamte Forschung suche. Einen Weg zurück zum Anfang gebe es nicht, aber einen Anfang, das schon.
»Ja?«
»Ja. Der Zaun im Zoo. Dort ist der Anfang. Das ist die Grenze.«
»Gehst du mit mir in den Zoo?«
»Ja, wenn du möchtest«, schmunzelte sie, »gehe ich mit dir in den Zoo.«
Am Zaun im Zoo sei das Ende und der Anfang, da, wo das Tierreich ende und das Menschenreich beginne. »Ich bin nur eine Erbsenzählerin«, sagte sie, »eine I-Tüpfchen-Reiterin. Wir sagen, ›Okay, der eine sagt Muh, der andere Mäh, hochinteressant, das müssen wir analysieren‹. Aber wir verstehen wenig über die großen Hintergründe. Es gibt kein Sprachmuseum mit Fossilien, es gibt keine Verbindung in die ältere Geschichte, von der man etwas über die Gegenwart lernen könnte.«
»Aber das Menschsein beginnt mit der Sprache«, fragte ich dazwischen, »das sagst auch du, oder?«
»Natürlich. Das Menschsein beginnt mit dem bewussten Denken, das Denken beginnt mit dem Begreifen und Begreifen heißt nichts anderes als Begriff geben. Versprachlichen. Einen diffusen Bedeutungsinhalt in die Form von Worten bringen. Formulieren. Ohne Sprache gibt es kein Verstehen. Ohne Begriffe keine konkreten Gedanken, keine eigenen Vorstellungen. Nichts. Kein Menschsein. Nur fließende Reize und Eindrücke, die nichts bedeuten, weil sie nicht benannt sind. Tierhafte Wahrnehmung.«
Ihr Telefon läutete. Sie holte es hervor und stellte es ab. Sie kramte in ihrer Umhängetasche nach einem Pflegestift und zog ihn über ihre Lippen. Dann schob sie den Stift wieder in die Tasche und holte ein bunt ornamentiertes Terminbüchlein hervor, blätterte kurz darin, fand, was sie suchte, und legte es wieder zur Seite.
Ich sagte nichts, ich hatte Angst, dass sie schon wieder weg musste. Aber sie überlegte nur. Und dann nahm sie mich und führte mich zurück. Sie beschrieb, was am Zaun passierte. Sie machte mir klar, was ablief, wenn Sprache in ein Leben eingriff, das noch keine Sprache kannte. Sie zeichnete den Übergang von der außersprachlichen Wahrnehmungswelt der Tiere zur erkennenden, verstehenden Sicht der Menschen. Und so sagte sie: »Stell dir vor, du versuchst zu meditieren. Du sitzt da und tust nichts. Ok?«
»Ok.«
»Du bist still. Du sitzt da und bewegst dich nicht und versuchst nichts zu tun und nichts zu denken. Einfach nur zu sitzen, sonst nichts. Du entspannst dich und wartest darauf, dass du ruhiger wirst. Dein Atem wird zunächst heftiger, dann ruhiger. Dein Puls verlangsamt sich. Du fährst deine inneren Dialoge herunter und lässt, so gut du kannst, deine aktiven Gedanken ruhen.«
Sie machte eine Pause und sah mich nachdenklich und geduldig an. Dann sprach sie weiter: »Je entspannter und ruhiger dein Inneres wird, desto deutlicher siehst und spürst du es: Du wirst durchströmt von Reizen, die du nicht abstellen kannst. Ein endloser Strom von Eindrücken zieht durch dich hindurch. Einem Tier geht es gleich, es wird durchströmt von namenlosen Eindrücken, es sieht und spürt, aber es ist ihm nicht bewusst, was es sieht und spürt. Das Tier sieht einen СКАЧАТЬ