Название: Weiter als der Ozean
Автор: Carrie Turansky
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783961224623
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Sie schloss die Augen und versuchte, diese schmerzhaften Bilder auszusperren. Das würde ihnen nie passieren. Morgen früh wäre alles wieder gut. Mama würde gesund werden, sie würde heimkommen, und sie wären alle wieder glücklich zusammen.
Katie schaute durch das Fenster, an dem der Regen hinablief, und suchte unten die Straße ab. Aber sie konnte Garth nirgends finden. Sie warf einen Blick auf die kleine Uhr im Regal über der Spüle und biss sich auf die Lippe.
Wo konnte er sein? Als er am Morgen die Wohnung verlassen hatte, hatte er ihr versichert, dass er nach Hause käme, sobald er die Waren für Mr Davies ausgeliefert hatte. Er war samstags normalerweise um eins, spätestens um zwei Uhr fertig, aber jetzt war es schon fast drei. Wo blieb er so lange? Hatte er Mr Davies überreden können, ihm einen Vorschuss zu zahlen, und war dann auf dem Rückweg gleich einkaufen gegangen? Sie atmete tief aus. Ja, das musste der Grund sein.
Sie ging zum Tisch hinüber, an dem ihre kleine Schwester saß und auf der Rückseite eines alten verknitterten Prospekts etwas malte. Grace summte, während sie mit ihrem Bild beschäftigt war, und schien in ihrer Fantasiewelt versunken zu sein. Katie legte Grace die Hand auf die Schulter, eine tröstliche Geste, die ebenso ihr selbst galt wie ihrer Schwester.
Grace blickte von ihrem Bild auf, die blauen Augen schimmerten sanft und unschuldig. „Wann kommt Garth?“
„Er wird bald hier sein.“ Katie zwang sich zu einem Lächeln. „Erzähl mir etwas über dein Bild.“
Grace deutete auf die Strichmännchen. „Das sind Mama und ich, und das bist du, und das ist Garth. Wir sind am See im Park und füttern Enten.“
Katie nickte und schluckte schwer. „Sehr schön.“ Sie blinzelte mit brennenden Augen. Wie schön musste es sein, klein zu sein und sich sicher zu fühlen und zu glauben, dass alles gut werden würde.
Sie hatte den ganzen Tag versucht, sich zu beschäftigen und sich wegen Mama keine Sorgen zu machen. Sobald die Schneiderei geöffnet hatte, war sie nach unten gegangen und hatte Mrs Palmer mitgeteilt, dass Mama im Krankenhaus lag. Die strenge Frau hatte sich anscheinend mehr Sorgen darum gemacht, wer jetzt die Näharbeiten erledigen würde, als um Mamas Gesundheit. Katie hatte angeboten, Mamas Arbeit zu übernehmen, aber Mrs Palmer wollte davon nichts hören. Mama hatte Katie gezeigt, wie man die kleinen kunstvollen Stiche nähte. Katie beherrschte sie inzwischen recht gut. Aber Mrs Palmer glaubte ihr das nicht.
Die Schneiderin hatte sie mit der Warnung nach Hause geschickt, dass sie aus der Wohnung über der Schneiderei ausziehen müssten, wenn Mama nicht bald wieder gesund werde und ihre Arbeit wieder aufnehmen könne. Mit den unbarmherzigen Worten der Frau im Ohr war Katie langsam die Stufen hinaufgestiegen. In der Wohnung hatte sie Laura einen Brief geschrieben, aber sie hatte keine Briefmarke gehabt und kein Geld, um eine zu kaufen. Sie hatte den Brief beiseitegelegt und Grace eine Geschichte vorgelesen, bevor sie die Wohnung aufgeräumt hatte, um alles für Mamas Rückkehr vorzubereiten. Sie musste bestimmt nicht lange im Krankenhaus bleiben.
Mittags briet sie die letzten Kartoffeln und die Zwiebel an und gab Grace die größere Portion. Sie hatte überlegt, etwas für Garth aufzuheben, aber normalerweise steckte Mrs Davies ihm eine kleine Wurst oder ein Scheibe Brot mit Butter zu, bevor er die Waren auslieferte. Katie hoffte, dass das auch heute der Fall war. Wenn nicht, müsste Garth hungrig zu Bett gehen.
Jemand klopfte. Katie ging schnell zur Tür und öffnete.
Mrs Graham stand mit einem Korb am Arm vor ihr. „Hallo, Katie. Kann ich hereinkommen?“
„Natürlich. Waren Sie im Krankenhaus? Wie geht es Mama?“
Mrs Graham warf einen Blick auf Grace und lächelte schwach. „Hallo, Liebes. Ich habe dir etwas mitgebracht.“ Sie holte eine kleine Orange aus ihrem Korb und reichte sie Grace.
Das Gesicht des Mädchens strahlte auf. „Danke!“ Sie nahm die Orange, setzte sich an den Tisch und begann, sie zu schälen.
Mrs Graham bedeutete Katie, näher zu kommen, dann senkte sie die Stimme. „Ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Der Zustand deiner Mutter ist unverändert.“
Katie nickte leicht. Das war nicht die Nachricht, die sie sich erhofft hatte, aber Mama lebte, und das gab ihr Hoffnung.
„Ich habe mit dem Arzt gesprochen“, berichtete Mrs Graham weiter. „Er sagt, sie hat eine Lungenentzündung. Sie ist schwach, aber ihr Zustand ist stabil.“
„Können wir sie heute besuchen?“
„Zum Krankenhaus ist es ein weiter Weg, Liebes, und sie würden Grace sowieso nicht hineinlassen. Sie ist noch zu klein.“
Katie nickte seufzend. Warum hatte sie überhaupt gefragt? Sie konnten es sich nicht leisten, quer durch die Stadt zu fahren, und zu Fuß wäre es zu weit.
„Mach dir keine Sorgen. Deine Mutter wird gut versorgt, und mit der Zeit wird sie bestimmt auch wieder gesund werden.“ Mrs Graham holte eine weitere Orange aus ihrem Korb. Mit feucht glänzenden Augen reichte sie sie Katie. „Unser Herr wird auf sie aufpassen. Kümmere du dich um Grace und sprich brav deine Gebete.“
„Das werde ich.“ Katie nahm die kühle, glatte Orange, und ihr lief das Wasser im Mund zusammen.
Unter ihnen waren Stimmen zu hören. Dann polterten schwere Schritte die Treppe herauf.
Mrs Graham rief aus: „Gütiger Himmel, wer ist denn das?“
Die Tür wurde aufgerissen. Ein Polizist stapfte in die Wohnung und zerrte Garth am Arm hinter sich her.
Katies Herz zog sich zusammen, und ihr Blick flog von dem Polizisten zu Garth. Das Gesicht ihres Bruders war knallrot angelaufen, und er verzog grimmig die Lippen. Sobald er Katies Blick sah, biss er die Zähne zusammen und senkte den Kopf.
Der Polizist wandte sich an Mrs Graham. „Sind Sie Mrs Edna McAlister?“
„Nein, Sir. Ich bin Mrs Ruby Graham.“
Katie ballte die Fäuste. Was hatte Garth angestellt? Er konnte eigensinnig sein und spielte gern einen Schabernack, aber er hatte noch nie Schwierigkeiten mit der Polizei gehabt.
Mrs Grahams Gesicht wurde blass. „Was ist passiert?“
„Dieser Junge wurde dabei erwischt, als er in Pinkhams Bäckerei einen Laib Brot stehlen wollte.“ Der Polizist schüttelte Garths Arm. „Er hat gesagt, dass seine Familie Hunger leidet und dass er ihnen nur etwas zu essen bringen wollte. Aber hier sieht niemand so aus, als würde er hungern.“
Katies Gesicht begann zu glühen. Oh Garth! Du weißt doch, dass Mama nie wollen würde, dass du etwas stiehlst, egal wie viel Hunger wir haben.
„Ich hätte das Brot nicht nehmen dürfen, das war falsch.“ Garth schaute den Polizisten mit einem herausfordernden Blick an. „Aber ich habe nicht gelogen. Schauen Sie sich doch selbst um. Dann werden Sie feststellen, dass ich die Wahrheit sage. Wir haben wirklich nichts zu essen.“
Der Polizist ließ Garths Arm los und schritt durch die Küche. Er zog die Schränke auf und suchte die leeren Regale ab. Schließlich schnaubte er und wandte sich wieder an Mrs Graham. „Stimmt es, dass die Mutter der СКАЧАТЬ