Название: Davidstern und Lederball
Автор: Dietrich Schulze-Marmeling
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783895338809
isbn:
Doch zurück zur Resolution der süddeutschen Spitzenklubs. Als der Reichskommissar Hans von Tschammer zu Osten am 10.5.1933 kundtat, »in der Arierfrage muss ich mir die endgültige Lösung noch vorbehalten«, hatte längst, »vom gesamtgesellschaftlichen Klima inspiriert« (Artur Heinrich), der Verdrängungsprozess jüdischer Sportler aus den Vereinen eingesetzt. Der Judenboykott vom 1. April, das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums samt sog. Arierparagraf vom 7. April, die Umsturz-Stimmung, die hemmungslose antisemitische Propaganda und die brutale Verfolgung der Opposition hatten eine Stimmung geschaffen, in der die Sportverbände nur zu willfährig das vollzogen, was letztlich auch im Sinne der Nationalsozialisten war.
Voraus eilen die mächtige Deutsche Turnerschaft, Amateurboxer und Berufsboxer, Deutscher Kanu-Verband, Deutscher Schwimm-Verband etc. Der DFB-Vorstand, Datum 9.4.1933, »fordert von seinen Vereinen, mit allen Kräften an der nationalen Erneuerung mitzuarbeiten«. Am 19.4.1933 ist im »Kicker« zu lesen: »Der Vorstand des Deutschen Fußball-Bundes und der Vorstand der Deutschen Sportbehörde halten Angehörige der jüdischen Rasse (…) in führenden Stellungen der Landesverbände und Vereine nicht für tragbar. Die Landesverbände und Vereine werden aufgefordert, die entsprechenden Maßnahmen, soweit diese nicht bereits getroffen wurden, zu veranlassen.« Der Reichssportkommissar Tschammer war noch nicht einmal ernannt – und insofern gab es keine offizielle Direktive –, als jüdischen Fußballsportlern verdeutlicht wurde, dass für sie in den sog. paritätischen Vereinen kein Platz mehr sei. Der Süddeutsche Fußball- und Leichathletik-Verband schloss die jüdischen Klubs aus, es folgte der Südostdeutsche Fußball-Verband, die Stadt Hannover forderte die Vereine zur Einführung des so genannten Arierparagrafen auf, der Ende 1933 für die Berliner Vereine galt. Südbadische Vereine hatten (nach Schwarz-Pich) am 12.4.1933 verlangt, den so genannten Arierparagrafen sofort einzuführen. Die Presse in Mannheim und Umgebung sei – von wem? – aufgefordert worden, keine Berichterstatter jüdischen Glaubens mehr zu Fußballspielen zu schicken.
Als Tschammer sich wieder zum Thema äußerte, hatte alles längst seinen Lauf genommen. Der Reichssportkommissar laut »Kicker«-Bericht im Mai 1933 im Rundfunk: »Ich will nicht über einen Kamm scheren, aber dass es dem jüdischen Turner und Sportler im neuen Deutschland nicht möglich ist, eine führende oder mitbestimmende Stellung einzunehmen, hat er unterdessen selbst eingesehen.« Am 24.5.1933 äußert Tschammer, sollten Vereine sich weigern, jüdische Mitglieder auszuschließen, müsse man scharf vorgehen – Ausnahme seien bekannte Mitglieder. Aber auch da hatte die Realität bereits die Absichten überholt: Der »Kicker«-Chefredakteur, Würz-burgs bester Fußballer, Ulms bester Mittelstürmer, bekannte Vereins-Funktionäre hatten längst keinen Platz mehr im Sport im »neuen Deutschland«.
Sanktioniert wurde all das, was bereits geschehen ist, mit der »Einheitssatzung des Deutschen Verbandes für Leibesübungen« im Januar 1935, Tschammer ist seit dem 19.7.1933 Reichssportführer. Danach können keine jüdischen Sportler mehr von den Vereinen dieser Organisationen aufgenommen werden. Falls der jeweilige Klub in eigener Initiative die Satzung um den so genannten Arierparagraphen ergänzen würde, hätte dies den Ausschluss jüdischer Mitglieder zur Folge.
Mannheim: Herbergers Gönner
Mit der Erklärung der süddeutschen Spitzenklubs begann der Exodus der Mitglieder jüdischen Glaubens aus den Fußballvereinen. So war es auch beim traditionsreichen VfR Mannheim, der im Ruf eines »Judenklubs« stand, nach dem Zweiten Weltkrieg Deutscher Meister war (1949) und sich 2002 aus finanziellen Gründen von der 3. Liga in die 5. Liga zurückzog. Die Rasensportler waren der »Stadtverein« (andere schreiben vom »Geldverein«) und standen als Repräsentanten der Bürgerschicht damit im Gegensatz zum Lokalrivalen SV Waldhof, der aus dem proletarischen Milieu kam.
Wie in so vielen anderen Fällen auch existiert beim VfR kein Vereinsarchiv, in dem Unterlagen aus der Zeit der Weimarer Republik und der Nazizeit auffindbar wären. Schwarz-Pich berichtet, die führenden Männer des VfR hätten sich bei den jüdischen Vereinsmitgliedern entschuldigt, als diese von ihren Funktionen »entbunden« wurden. Karl Geppert vom VfR, in den 1920er Jahren 3. Vorsitzender des DFB und im Vorstand des Süddeutschen Fußball-und Leichtathletik-Verbandes (SFV), besuchte 1934 Fußball-Pionier Walther Bensemann in dessen Schweizer Exil und soll den in ärmlichen Verhältnissen lebenden Emigranten finanziell unterstützt haben. In Richard »Little« Dombi (Kohn) besaß der VfR in den 1920er Jahren einen jüdischen Trainer, der in Süddeutschland bereits erfolgreich bei den Sportfreunden Stuttgart gearbeitet hatte und später u.a. als Coach des Deutschen Meisters Bayern München (1932) und als »De Wonderdokter« bei Feyenoord Rotterdam Berühmtheit erlangte.
Bekannt ist weiter, dass einer der Förderer des Vereins Max Rath war, ein jüdischer Textilgroßhändler. Nach VfR-Erfolgen ließ er den Spielern oft je zehn Mark zukommen, dies entsprach dem Tageslohn eines Facharbeiters. Er unterstützte den Stürmer und Nationalspieler Josef Herberger, der 1921 von Waldhof zum VfR an den Platz an den Brauereien gewechselt war. Herberger und Ehefrau Eva wohnten seit 1923 mietfrei in einem Haus, dessen Eigentümer Max Rath war. Auch Otto Nerz, der spätere Reichstrainer, ging im Hause Rath in den 1920er Jahren aus und ein. Nerz war zu der Zeit SPD-Mitglied und 1918 Jugendleiter der Partei in Mannheim gewesen. An der Universität Heidelberg hatte er neben dem Hauptfach Medizin auch hebräische Grammatik studiert. Als Nerz bereits in Berlin lebte, erhielt er im Geschenkpaket von Rath und der jüdischen Firma Eppstein & Gerstle, einer Wäsche-, Blusen- und Kleiderfabrik, Anzugstoffe aus Mannheim. Vom Trainer beim VfR und Tennis Borussia Berlin, einem Verein mit zahlreichen jüdischen Mitgliedern, stieg Otto Nerz 1926 zum Trainer der DFB-Auswahl auf.
Bei Max Rath, dem Gönner von VfR, Nerz und Herberger, drang im Frühjahr 1933 die SA in die Wohnung ein. Als er den SA-Männern sein Eisernes Kreuz 1. Klasse entgegenhält, befahl der SA-Führer nach einem Bericht von Sohn Paul Rath den Rückzug. Max Rath und seine Frau Martha sind jedoch 1940 nach Gurs in Südfrankreich deportiert und 1942 in Auschwitz ermordet worden.
Otto Nerz, der einstige Sozialdemokrat, trat am 10. Juni 1933 der SA bei (Rang: Oberführer) und schloss sich 1937 der NSDAP an (ebenso Herberger am 1.5.1933). Im Fußball-Jahrbuch 1937 feierte Nerz die Machtübernahme der Nationalsozialisten (»Schlag auf Schlag wurde nun alles hinweggefegt, was bisher einem Aufbau im Weg stand«), und im Sommer 1943 veröffentlichte der Professor einen dreiteiligen antisemitischen Beitrag im »12-Uhr-Blatt« in Berlin, in dem es im Hinblick auf die 1920er Jahre hieß: »Auch im Sport betätigt sich der Jude als Kapitalist«, er habe zersetzenden Einfluss auf das Vereinsleben, sei »Schieber hinter der Kulisse« und habe die Sportpresse dominiert.
1945 verhaftet, starb Otto Nerz am 19. April 1949 im Sonderlager Sachsenhausen bei Oranienburg in der sowjetischen Besatzungszone.
Ulm: »Aktiver Betrieb rückläufig«
Ein anderer Traditionsverein des Südens war der Ulmer FV 94, eben 1894 aus dem 1890 gegründeten Ulmer Privat TV hervorgegangen, als sich die Fußballer selbstständig machten. Der UFV, 1939 mit Turnerbund 1846, TV 1868 und SpVgg 1889 zur TSG Ulm 1846 zwangsvereinigt, ist heute vergessen. Er hatte zahlreiche jüdische Mitglieder, wie die Festschrift »125 Jahre SSV Ulm 1846« im Jahre 1971 (und 1996 erneut mit demselben Text) berichtet. So heißt es für 1932/33: »Durchführung der Rassengesetze. Ausscheidung zahlreicher Mitglieder im Verein. Unter ihnen gute alte Freunde und Mitarbeiter, die viel am Aufbau des Ulmer Sports geleistet haben. Viel Unruhe im Verein. Aktiver Betrieb in vielen Belangen rückläufig. Im Fußball Ligaklasse gerade noch erhalten.«
Die »Dokumentation über die Verfolgung der jüdischen Bürger von Ulm«, für die Heinz Keil zahlreiche Emigranten befragte, führt 1961 an: »Fast in allen Erhebungsbogen, die zurückgesandt wurden, ist eingetragen, dass die Befragten dem UFV 94 angehört haben.« Langjähriger Vorsitzender des Vereins (und ebenso Vorsitzender des Ulmer Ruder-Club) ist bis zu seinem Tod der bekannte Arzt Dr. Hugo Wallersteiner, vom Hetzorgan »Der Stürmer« als »Musterjude von Ulm« beschimpft. Sohn Kurt Wallersteiner (geb. 1919), später in den USA Chemiker СКАЧАТЬ