Название: Davidstern und Lederball
Автор: Dietrich Schulze-Marmeling
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783895338809
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Diese Programmatik sollte Bensemann in seiner Zeit als »Kicker«-Her-ausgeber später entschieden vertiefen; in seinen jungen Jahren wirkte sie zuweilen wie eine ideologische Verbrämung für seinen ungestümen Tatendrang und persönliche Profilierungssucht. Das Arrangement mit der F.A. beispielsweise stand auf äußerst wackligen Beinen – noch unmittelbar vor der Anreise der Engländer verfügte er weder über eine halbwegs repräsentative Mannschaft noch über die den Engländern zugesagten finanziellen Garantien. Erst als der Berliner Verband seine Unterstützung zusagte, erst als sich Karlsruher Spieler entgegen dem Verbot ihres Verbandes zur Teilnahme bereit erklärten und erst als Ivo Schricker finanziell aushalf, konnten die Begegnungen stattfinden. Sie wurden zu einem Meilenstein in der deutschen Fußballgeschichte. Die Deutschen verloren zweistellig – doch sie erhielten erstmals einen prägenden Anschauungsunterricht über die taktischen und spielerischen Potenziale des modernen Fußballspiels.6
Die »pazifistische Sportidee«
Wenige Wochen später erfolgte die Gründung des Deutschen Fußball-Bundes, an der auch Bensemann mitwirkte, indem er als Delegierter teilnahm und für den Namen des neuen Verbandes verantwortlich zeichnete. Sein Antrag, den DFB an einer Teilnahme am Fußballturnier der Olympischen Spiele 1900 in Paris zu bewegen, wurde allerdings abgelehnt, obwohl sogar sein bisheriger Gegner Manning ihn unterstützte.
Mit der Konstituierung des DFB war die Zeit der in eigener Initiative handelnden Sportdiplomaten vorbei. Bensemann, der sich in weiser Selbstbeschränkung um keine Verbandsfunktion bewarb und den inzwischen offenbar auch Geldsorgen drückten, ging nach Großbritannien, wo er 13 Jahre lang als Sprach- und Sportlehrer an verschiedenen Internaten tätig war. Zwar tauchte er 1908 am Rande des ersten offiziellen DFB-Länderspiels in der Schweiz auf, wo er, obwohl inoffiziell und ungeladen anwesend, die Regie des Rahmenprogramms übernahm, doch sein Rückzug aus der deutschen Fußballszene war unübersehbar. Ganz offensichtlich hatte er sich auf Dauer in England eingerichtet und verfasste begeisterte Hymnen auf das britische Erziehungswesen und den Sportsgeist der an Public Schools geschliffenen Gentlemen.
Der Erste Weltkrieg zwang ihn, vermutlich ungewollt, nach Deutschland zurück. Er erlebte diesen Krieg zwischen allen Fronten stehend: »Ich habe ihn doppelt empfunden: Es waren Jahre der Trauer um meine eigenen Landsleute, deren Pyrrhussiege mir das Ende nicht verschleiern konnten; Jahre der Trauer um liebe Kollegen, liebe Schüler aus meiner … Tätigkeit in England.«7 Bensemanns Konsequenz war die Ablehnung engstirnigen Nationaldenkens: »Auf den Geburtsort eines Menschen kommt es so wenig an, wie auf den Punkt, von wo er in den Hades fährt.«8 Seine Hoffnung war, dass die Eigendynamik eines grenzüberschreitenden Sportverkehrs friedensstiftend wirken könnte: »Der Sport ist eine Religion, ist vielleicht heute das einzige wahre Verbindungsmittel der Völker und Klassen.«9
1921 schrieb er über den wieder in Gang kommenden Spielbetrieb: »Wenn man aber die Unmenge der internationalen Spiele betrachtet…, möchte man fast doch daran glauben, dass wir endlich wieder in unserem zerfleischten Europa einen wirklichen Frieden haben; nicht mehr den, der nur ein verdeckter Krieg ist, sondern einen wirklichen, wahrhaftigen Frieden. Unser Fußballsport hat den Frieden gemacht – das ist einmal gewiss.«10 Um bittere Erfahrungen reicher und um einige Unbesonnenheiten ärmer war Bensemann nach dem Weltkrieg wieder an jenem Punkt angelangt, der ihn bereits vor 1900 umgetrieben hatte: der Förderung internationaler Begegnungen und Propagierung einer »pazifistischen Sportidee«11. Als er 1920 seine Zeitung gründete, den »Kicker«, beschrieb er dessen Leitmotiv in vielfachen Varianten so: »Der ›Kicker‹ ist ein Symbol der Völker-Versöhnung durch den Sport.«12
Der »Kicker«
Während seiner langjährigen Abwesenheit war Bensemann in Teilen der süddeutschen Fußballszene zu einer legendären Figur geworden; man pries ihn als den »Mann, der sich wohl die größten Verdienste um den deutschen … Fußball erworben hat«.13 Zugleich verfügte er mittlerweile über hervorragende internationale Kontakte, die vor allem nach Ungarn, Tschechoslowakei, Österreich, in die Schweiz und die Niederlande reichten. Diese beiden Umstände – sein Renomee in Süddeutschland und sein Ansehen im Ausland – sorgten dafür, dass der »Kicker« trotz schwierigster Startbedingungen überlebte.
Anfangs war die wöchentlich erscheinende Zeitung ein reines Ein-Mann-Unternehmen, chaotisch verwaltet und von ewiger Geldnot verfolgt. Ihre Kernregion war Süddeutschland; die Redaktion residierte zunächst in Konstanz, dann in Stuttgart, Ludwigshafen und schließlich in der Fußball-Hochburg Nürnberg. Einen Großteil des Inhalts füllten regionale Beiträge, doch für Profil und Aufsehen sorgten vor allem die fundierten Korrespondentenberichte aus dem Ausland sowie die Leitartikel, die Bensemann allwöchentlich als »Glossen« veröffentlichte. Diese »Glossen« waren oft journalistische Meisterstücke, in denen Elemente der Nachricht, der Reportage, des Kommentars, der Satire, des Reiseberichts und der Leseransprache kühn miteinander vermengt wurden – nicht selten auf durchaus intellektuellem Niveau und immer wieder garniert mit Auskünften über die privaten Befindlichkeiten des Verfassers. Es waren »ungewöhnliche Arbeiten«, urteilte 50 Jahre später der bekannte Sportpublizist Richard Kirn, »das Bedeutendste, was je ein deutscher Sportjournalist geschrieben hat«.14 Im Nachhinein erschließt sich aus diesen »Glossen« nicht nur eine wichtige Epoche deutscher Fußballgeschichte, sondern auch das atemlose Leben eines »Weltbürgers«, über den Kirn schrieb: »Er war in den Luxusherbergen Europas zu Hause, Mittelpunkt jeder gastlichen Tafel, schwermütiger Wanderer, … nie in einer bürgerlichen Wohnung zu Hause.«15 In Eisenbahnwaggons fast pausenlos unterwegs zu den kontinentalen Fußballhochburgen, residierte Bensemann daheim in Nürnberg wie ein Patriarch fast sieben Jahre lang im Grand Hotel Fürstenhof, wo er regelmäßig zu üppigen Dinners lud und mit deutschen und internationalen Kickergrößen parlierte.
Walther Bensemann als Herausgeber des »Kicker«.
Vor allem in den ersten Jahren enthielten Bensemanns »Glossen« meist witzige und geistreiche Attacken gegen die Behinderung des Fußballbetriebs durch die Obrigkeit und gegen nationale Engstirnigkeiten. Oft stellte er dem auf internationalem Parkett beschränkt und polterig auftretenden Deutschen den polyglotten, souverän agierenden Engländer oder Schweizer gegenüber. Als deutschen Prototyp jener »Kulis einer Epoche, da der Untertan schweifwedelnd seine Inspiration von einer höheren Affenkaste empfing«, ließ Bensemann zuweilen eine Kunstfigur namens Kuhwedel durch seine »Glossen« stolpern und sich bei aller Tumbheit doch als »Salz der Erde« fühlen16. So sehr diese Satiren den liberalen und sozialdemokratischen Teil der »Kicker«-Leser СКАЧАТЬ