Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Название: Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027203697

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СКАЧАТЬ Heimat selbst. Napoleon schüttelte mir die Hände, und ich griff in überglücklicher Stimmung mit voller Hand in Steuermanns Tabakskasten. Nochmals Hurra!

      In der Nacht von Dienstag zu Mittwoch tauchten die ersten Lichter von Liverpool auf. Wieder hatte der Sturm mit plötzlicher Gewalt eingesetzt, und wir mußten alle aufs äußerste aufpassen, um uns zwischen den Bojen, Feuerschiffen und Fahrzeugen aller Art hindurchzusteuern. Es war eine kritische Nacht. Obgleich wir mit größtem Eifer unsere Schuldigkeit taten, klappte doch alles nicht. Wir wurden nach oben geschickt, um die Segel festzumachen, die davonzufliegen drohten. Bei den Marssegeln waren die Zeisinge abgerissen. Wir halfen uns mühsam mit Schümannsgarn, das aber auch nicht gleich zur Stelle war. Ein erregtes Durcheinanderlaufen und Durcheinanderrufen. Einmal rannten wir fast ein Feuerschiff an. Ich hatte gerade den Ausguckposten abgelöst, aber das Feuerschiff noch rechtzeitig gemeldet. Es war also Schuld des Rudermannes, daß wir beinahe kollidierten, aber es war andererseits auch die kaltblütige Geschicklichkeit des Rudermannes, daß wir noch im letzten Moment haarscharf an dem Feuerschiff vorbei kamen.

      Kapitän Pommers rauhe Stimme rief: »Klar zum Ankern!«

      Der Alte hatte, wie immer in ernsten Momenten, seinen Kalabreser aufgesetzt.

      Wir eilten alle unter die Back, wo die Ankerkette in großen Buchten aufgeschossen lag. Segelmacher, Jahn und August bedienten das Spill, irgendein anderer den Stopper. Napoleon, Paul, Hermann und ich standen auf der Kette, um etwaige Verschlingungen derselben beim Auslaufen zu verhindern. Der Raum, in dem wir uns befanden, war düster und so niedrig, daß wir nur gebückt darin hocken konnten.

      »Steck' aus!« kommandierte der Kapitän vom Deck her.

      Die am Spill ließen den Anker polternd fallen. Die Kette rollte unter unseren Füßen hinweg, und wir mußten scharf aufpassen, um nicht mitgerissen zu werden.

      »Stopp!«

      Der Anker hielt. Die Kette lag still. Nur zeitweise machte sie ein paar Sprünge.

      »Zwölf Faden Wassertiefe!« sang derjenige aus, der auf der Back mit dem Lot hantierte.

      »Steck' aus!« – Wieder raste die Kette über die Spillwalze durch die Klüse hinunter.

      »Stopp!«

      August zog den Bremshebel an, aber das Schiff schoß jetzt in so schneller Fahrt dahin, daß die Kette nicht mehr hielt.

      Das war ein aufregender Moment. Wir auf der Kette standen in Gefahr, fortgerissen und durch die enge Klüse gequetscht zu werden. Die Kette, deren Ende nicht, wie das eigentlich sein sollte, befestigt war, mußte in wenigen Sekunden ausgelaufen sein, und abgesehen davon, daß sie ein Vermögen an Wert repräsentierte, wäre das Schiff dann haltlos irgendwo angetrieben.

      Der Alte kam aufgeregt unter die Back gestürzt, konnte aber auch nichts machen. Steuermann, der kreideweiß im Gesicht war und den die Verantwortung dafür traf, daß der Kettentamp nicht festgelascht war, schrie wie besessen: »Stopp ab! Stopp ab!«

      Aber die Kette rauschte weiter, und schon waren nur noch wenige Buchten übrig. In diesem Moment sprang der alte Segelmacher, der bisher keinen Ton gesagt hatte, der faule, bissige Norweger, plötzlich mit staunenswerter Geschicklichkeit vor, griff blitzschnell die schwere, sausende Kette mit beiden Händen und warf sie kaltblütig zu einer Schlinge über den Spillkopf.

      Ein Ruck, und die Kette stoppte. Das Schiff lag still.

      Bravo, Segelmacher!

      Er grinste aber schon wieder wie gewöhnlich und fletschte grimmig die Zähne.

      Als ich an Deck kam, glaubte ich, ein Phantom zu sehen.

      Liverpool lag vor uns, ein märchenhaftes Gebirge von vielfarbigen Lichtern. Eine feenhafte Riesenillumination, terrassenförmig aufgebaut. So etwas hatte ich noch nie gesehen, und es wirkte nach der vorangegangenen Aufregung in der herrlichen Nacht mächtig auf meine Phantasie.

      Am andern Morgen kam ein Schlepper mit dem stolzen Namen »Tiger« längsseits, um uns ins Kanadadock zu bringen. Er brachte auch Zollbeamte mit. Unterwegs, während wir den Anker an Deck brachten und den Klüverbaum abnahmen, beobachtete ich das interessante Treiben in dem englischen Hafen, wofür mich der Steuermann verschiedene Male recht unsanft anhauchte. Er bedachte mich auch noch zu guter Letzt mit der unangenehmen Arbeit des Kohlenholens. Seine Schadenfreude prallte jedoch an meinem plötzlich erwachten übermütigen Humor ab. Ich stieg mit fidelstem Gesicht in den Kohlenschacht hinunter. Es war ja das letztemal.

      Als wir kaum im Dock festlagen, trafen wirklich Augusts Prophezeiungen ein, das heißt, wir wurden von einer Schar von Schustern, Schneidern und dergleichen belagert, die uns mit »Landsmann« und »Du« begrüßten, uns Geld anboten und sonstwie schön taten.

      Der erste, der ihnen ins Netz ging, war August. Er zog mit ihnen Arm in Arm an Land und kam abends stockbetrunken zurück.

      Der Pastor der deutschen Seemannsmission besuchte uns. Er verteilte religiöse Schriften und lud zum Besuch des Seemannsheimes ein. Jedoch fand er gar keine Beachtung, bei einigen sogar offenen Hohn.

      Am Abend stellte sich ein hagerer junger Landsmann ein, der Koch auf einem großen deutschen Segler war. Das Schiff lag nicht weit von uns. Wie er erzählte, war das Fahrzeug infolge langanhaltender Windstille hundertachtzig Tage von der Westküste Mexikos bis nach Liverpool unterwegs gewesen. Die Nahrungsmittel waren ausgegangen, und die ganze Besatzung bis auf vier Mann an Skorbut gestorben. Der junge Deutsche, ich glaube, er war aus Bonn, schilderte uns entsetzliche Szenen, die sich an Bord unterwegs zugetragen.

      Gleich nach unserer Ankunft wurden wir zum Kapitän gerufen und gefragt: Wer abmustern wolle.

      Alle bis auf Gustav und Willy traten vor. August und Napoleon blieben unentschieden aus Feigheit.

      Ich stand in der vordersten Reihe.

      Die »Elli« sollte von England aus mit einer Ladung Kohlen nach Brasilien und von da wieder nach Belize gehen.

      Am Donnerstag, dem 19. September um zwei Uhr, gingen wir zum Abmustern nach dem deutschen Konsulat. Ich hatte die Wollmütze mit der Kindertroddel auf.

      Augusts Gönner, die Halsabschneider, warteten wie Raubtiere am Konsulat, wo das verdiente Geld uns ausgezahlt werden sollte. Sie waren übermäßig besorgt, daß ihnen ihr Opfer durch die Lappen gehen könne.

      Besonders ein gewisser Lehmann war vor habgieriger Aufregung ganz außer sich.

      Während wir vor dem Konsulat in der Old Hall Street warteten, bot sich uns ein zerlumpter Mulatte als Stiefelputzer an.

      Obgleich es vorher geregnet hatte, warf er sich doch für eine Kupfermünze der Länge nach auf der schmutzigen Straße hin und brachte die alten versalzten Seemannsstiefel zu nie geahntem Glanz.

      Wir wurden einzeln der Reihe nach zum Konsul gerufen.

      August war der erste, der seine Heuer und sein Musterbuch erhielt. Als er herauskam, klammerte sich Lehmann an ihn fest und hielt ihm eine lange, eindringliche Rede mit dem kurzen Inhalt: »Geld her!«

      Auch Hermann und Paul mußten gleich bluten.

      Dann wurde ich hineinzitiert und erhielt als Heuer:

      Einunddreißig Mark!

      Der Alte СКАЧАТЬ